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Aus den Archiven: Der gelbrote Zombie

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AchiveNach dem mit dem Grim­me­preis prä­mier­ten Film »Die März-Akte« legen Jörg Schrö­der und Bar­ba­ra Kalen­der eine kom­pri­mier­te Geschich­te des März-Ver­la­ges in Buch­form vor.

 

 

von Jörg Auberg

 

 

Bis zum heu­ti­gen Tag ist der März-Ver­lag ein Uni­kum in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Ver­lags­land­schaft. Schon im Okto­ber 1972 räso­nier­te Die­ter E. Zim­mer in der Zeit dar­über, wie wohl ein Ver­lag beschaf­fen sei, »der aus dem Nichts ent­steht, auf der Stel­le sei­ne Linie fin­det, einen gan­zen Hau­fen inter­es­san­ter Bücher publi­ziert, die oft nir­gend­wo anders unter­zu­brin­gen gewe­sen wären, des­sen unver­wech­sel­ba­re Buch­aus­stat­tun­gen — die knall­gel­ben Umschlä­ge mit den roten und schwar­zen Let­tern — von allen mög­li­chen ande­ren Ver­la­gen sofort scham­los kopiert wer­den, der also irgend­wo einen Nerv der Zeit getrof­fen haben muß.« Wenig spä­ter sah sich der März-Ver­le­ger Jörg Schrö­der jedoch genö­tigt, vor­läu­fig die Segel zu strei­chen und Kon­kurs anzu­mel­den, was die Zeit zur etwas vor­schnel­len Kon­do­lenz ani­mier­te: »Ein etwas leicht­fer­ti­ges, aber ins­ge­samt recht ver­dienst­vol­les Ver­lags­un­ter­neh­men ist damit, nach Schrö­ders Wor­ten, end­gül­tig im Eimer.«

Von Unwi­der­ruf­lich­keit konn­te jedoch kei­ne Rede sein: Von 1975 bis 1980 ver­trieb der Post-1968er Buch­ver­sand Zwei­tau­send­eins exklu­siv die Bücher des März-Ver­la­ges, ehe Schrö­der die Zusam­men­ar­beit auf­grund inhalt­li­cher und öko­no­mi­scher Dif­fe­ren­zen auf­kün­dig­te. Wie ein Zom­bie tauch­te der März-Ver­lag immer wie­der auf – zuletzt in einem Pro­jekt »März Rel­oa­ded« des Wetz­la­rer Ver­la­ges »Büch­se der Pan­do­ra«, wobei März nicht nur von sei­nem Mythos als »Zen­tral­pres­se der Revol­te« (wie ihn das Nach­rich­ten­ma­ga­zin Der Spie­gel 2002 lob­hu­del­te) zehrt, son­dern auch von der allent­hal­ben vor­herr­schen­den Retro­ma­nie, in der die Revol­te in einem grob­kör­ni­gen free­ze frame zu einem stän­di­gen wie­der­keh­ren­den Moment der ver­lo­re­nen Zeit gerinnt.

Im bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Kul­tur­be­trieb ist März – nicht zuletzt auf­grund sei­nes ein­zig­ar­ti­gen typo­gra­fi­schen Signets – zu einer außer­or­dent­li­chen Mar­ke gewor­den, die von einem spe­zi­fi­schen Zeit­geist durch­drun­gen ist und vor allem als Pro­jek­ti­ons­flä­che für gesell­schaft­li­che Erin­ne­run­gen fun­giert. Im kul­tu­rel­len Gedächt­nis steht März für das »Unbe­ha­gen« gegen­über einer insti­tu­tio­na­li­sier­ten und schein­bar obso­le­ten Moder­ne und das post­mo­der­ne »Any­thing goes«.

Eine dezi­dier­te poli­ti­sche oder ästhe­ti­sche Linie gab es in Schrö­ders ver­le­ge­ri­schem Pro­gramm nicht: Im März-Uni­ver­sum fan­den sich Autoren der ame­ri­ka­ni­schen Sub­kul­tur wie Ken Kesey, Micha­el McClure, Gerard Malan­ga oder Robert Crumb, aber auch Ver­tre­ter der tra­di­tio­nel­len Lite­ra­tur wie Ralph Elli­son oder Upt­on Sin­clair; der Anar­chist Augus­tin Souchy stand neben dem Par­tei­kom­mu­nis­ten Wil­li Mün­zen­berg; aus­ge­wie­se­ne Lin­ke wie Gün­ther Amendt, Her­mann Peter Piwitt, Hein­rich Han­no­ver und Peter Chot­je­witz wur­den eben­so ver­legt wie Bücher über das Okkul­te. Zudem ver­folg­te Schrö­der ein eigen­wil­li­ges Geschäfts­mo­dell: Über einen deut­schen Able­ger der fran­zö­si­schen Olym­pia Press (die nicht allein Autoren wie Wil­liam S. Bur­roughs, Samu­el Beckett oder Vla­di­mir Nabo­kov ver­leg­te, son­dern auch die pro­fit­träch­ti­ge por­no­gra­fi­sche Rei­he der »Green­backs« ver­öf­fent­lich­te) woll­te er die por­no­gra­fi­sche Wel­le der Zeit nut­zen, und mit­tels der Gewin­ne aus der deut­schen Olym­pia Press den März-Ver­lag finan­zie­ren. Die­se »Bin­dung« kos­te­te schließ­lich dem ers­ten März-Ver­lag die Exis­tenz, als sich Schrö­der mit dem Ver­le­ger der Olym­pia Press, Mau­rice Giro­di­as, über­warf und Kon­kurs anmel­den musste.

Maerz-VerlagAus die­ser Zeit rührt Schrö­ders Eti­ket­tie­rung als »Por­no-Lin­ker« (wie ihn der Kri­ti­ker Mar­tin Lüd­ke 1977 titu­lier­te), als ruch­ba­re Figur im Kul­tur­be­trieb, als noto­ri­scher Que­ru­lant, der per­ma­nent gegen die Usan­cen des Metiers ver­stieß, um am Ende doch nur zu vom Betrieb zu pro­fi­tie­ren. »Auf dem Jahr­markt der Eitel­kei­ten ist Schrö­der sicher einer der lau­tes­ten Pfau­en«, schrieb Jörg Fau­ser (des­sen Roman Topha­ne von Schrö­der ver­schmäht wur­de) 1982 im Ber­li­ner Stadt­ma­ga­zin tip. »In sei­nen Erzäh­lun­gen kommt er uns zwar sati­risch begabt, aber völ­lig humor­los, unfä­hig zur Selbst­iro­nie, zu den lei­sen Tönen, die viel­leicht genau­er tref­fen, eben total dumpf.« Die­ses Urteil, das ver­mut­lich aus dem Res­sen­ti­ment des Zurück­ge­wie­se­nen gebo­ren wur­de, lässt sich nun mit dem Buch Immer radi­kal, nie­mals kon­se­quent: Der März Ver­lag – erwei­ter­tes Ver­le­ger­tum, post­mo­der­ne Lite­ra­tur und Busi­ness Art revi­die­ren, in dem Schrö­der auf knapp 160 Sei­ten die Geschich­te des März-Ver­la­ges erzählt. Ohne sich selbst als Legen­de der Ver­gan­gen­heit zu insze­nie­ren (als den ihn die Apo­lo­ge­ten der Pop­li­te­ra­tur gern zeich­nen, um ihn für sich zu ver­ein­nah­men), wirft Schrö­der einen kri­ti­schen, zuwei­len durch­aus selbst­iro­ni­schen Blick auf die eige­ne Geschich­te und räumt Feh­ler ein.

Die Genia­li­tät Schrö­ders besteht nicht allein dar­in, dass er den Ver­le­ger als Künst­ler (der auch immer Unter­neh­mer ist) ent­wirft, son­dern dass er sich mit trot­zi­ger Beharr­lich­keit dem Unbill der Zeit (der mal als öko­no­mi­scher Zusam­men­bruch, mal als Herz­in­farkt in Erschei­nung trat) ent­ge­gen­stell­te, neue Ideen und Prak­ti­ken »gene­rier­te« und der Nie­der­la­ge wider­stand. Zudem ver­fügt Schrö­der über eine ein außer­or­dent­li­ches Talent, sei­ne sub­jek­ti­ve Geschich­te der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Kul­tur aus dem Blick­win­kel eines »Out­laws« zu erzäh­len, der über ein pro­fun­des Wis­sen über die Gesetz­mä­ßig­kei­ten des Betrie­bes ver­fügt (in dem er agiert und den er zur glei­chen Zeit mit gue­ril­la­haf­ten Prak­ti­ken unter­läuft). Dane­ben besticht die von Schrö­der und sei­ner lang­jäh­ri­gen Lebens- und Arbeits­part­ne­rin erstell­ten »Biblio­gra­fie sämt­li­cher März-Aus­ga­ben nach Aut­op­sie«, in der nicht allein die publi­zier­ten März-Titel mit den abge­bil­de­ten Buch­um­schlä­gen auf­ge­nom­men sind, son­dern auch die Pro­jek­te, die auf­grund der Liqui­da­ti­on des Ver­la­ges nicht mehr rea­li­siert wer­den konn­ten, sowie die seit 1990 erschei­nen­den Bän­de der Rei­he »Schrö­der erzählt«.

Lei­der drängt sich zwi­schen Schrö­ders Erzäh­lung und der März-Biblio­gra­fie ein Text des Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lers Jan-Fre­de­rik Ban­del (der den Ver­lag Phi­lo Fine Arts lei­tet) mit dem Titel »Nach­März oder Eine klei­ne März-Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik«, der für den Leser nach der Lek­tü­re des Schrö­der-Tex­tes zum Kul­tur­schock wird. Wäh­rend Schrö­der das Metier des Erzäh­lens beherrscht, ist Ban­del nicht mehr als eine ideo­lo­gi­sche Text­ma­schi­ne, die neben der Gene­rie­rung von 364 Fuß­no­ten vor allem von Kli­schees und Klas­si­fi­ka­tio­nen durch­drun­ge­nen, von aka­de­mi­scher Zähig­keit mit ver­schla­ge­ner Pat­zig­keit ver­meng­ten Tex­ten pro­du­zie­ren kann. Ban­del weiß von »gut­lin­ken Agit­prop-Stra­te­gien der Zeit« oder von den »zen­tra­len Publi­ka­ti­ons­stra­te­gien um 1968« zu berich­ten, was letzt­lich in Behaup­tun­gen wie »Raub­dru­cker lie­fer­ten gan­ze Biblio­the­ken für die Stu­den­ten­bu­den« mün­det. Ban­del ver­fügt nicht über die intel­lek­tu­el­len und sprach­li­chen Mit­tel, um die Geschich­te des März-Ver­la­ges im Kon­text der poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen der Bun­des­re­pu­blik in den 1970er und 1980er Jah­ren adäquat zu beschrei­ben. Dies macht das Buch zum Ärger­nis, das Jörg Schrö­der und Bar­ba­ra Kalen­der als auch dem Leser hät­te erspart wer­den sol­len. Auch Ver­le­ger kön­nen Bücher ruinieren.

 

 

Bibliografische Angaben:

Jörg Schrö­der, Bar­ba­ra Kalen­der und Jan-Fre­de­rik Ban­del: Immer radi­kal, nie­mals kon­se­quent. Der März Ver­lag – erwei­ter­tes Ver­le­ger­tum, post­mo­der­ne Lite­ra­tur und Busi­ness Art. Ham­burg: Phi­lo Fine Arts, 2011. 331 Sei­ten, 25 Euro.

 

 

Zuerst erschie­nen in:  satt.org  (Okto­ber 2011) 

© Jörg Auberg

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