Im Maul des Abgrunds Marginalien zum Erzählkonzert »Hinab in den Maelström« von Jörg Auberg Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Daß es ›so weiter‹ geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende sondern das jeweils Gegebene. Walter Benjamin1 In seinem Standardwerk zur Erfahrung der Modernität im 19. und 20...
Richard Brautigan: Forellenfischen in Amerika
Trouvailles (I) Vom Spiel mit dem Buch als Buch Nachbetrachtungen zu Richard Brautigans Roman »Forellenfischen in Amerika« von Jörg Auberg Kürzlich erstand ich in dem exquisit bestückten Versandantiquariat Abendstunde, das von Wolfgang Schäfer in Ludwigshafen betrieben wird, ein Exemplar von Richard Brautigans Roman Forellenfischen in Amerika, der 1971 in der...
Ernst Schoen: Tagebuch einer Deutschlandreise 1947
Unversöhnliche Erinnerungen Ernst Schoens Tagebuch einer Deutschlandreise 1947 von Jörg Auberg In einer mit dem Titel »Staats-Räson« überschriebenen Notiz kurz nach seiner Rückkehr nach Westdeutschland in den späten 1940er Jahren umriss Max Horkheimer das »verstärkte Leiden« jener Menschen, »die schon zivilisiert waren und nun aufs neue durch die Mühle müssen«1 Diese...
Richard Ford: Valentinstag
Endstation Realismus Richard Fords Pentalogie über die Mittelschichtsdämmerung von Jörg Auberg In seinem drei Jahre vor seinem selbstgewählten Tod erschienen Essay Was wird Literatur? im Jahre 2001 hielt der Literaturkritiker Lothar Baier der zeitgenössischen Literatur einen »quietistischen Biedersinn« vor. »Kritik im Sinn fundamentaler, von analytischem...
Marseille Transfer
Marseille Transfer Im Labyrinth von Exil und Widerstand während der 1940er Jahre von Jörg Auberg Prolog Im Oktober 1970 schrieb Alfred Kantorowicz zur Vorgeschichte seines Erinnerungsbuches Exil in Frankreich: Merkwürdigkeiten und Denkwürdigkeiten: Die wunderlichen Umstände, die mein Entkommen aus dem besiegten Frankreich nach den USA ermöglichten, liegen jetzt 30...
Blick zurück nach vorn
Blick zurück nach vorn Eine Bücherlese des zurückliegenden Jahres 2022 von Jörg Auberg The Beat Goes On u den verdienstvollen Unternehmungen des Rowohlt-Verlages gehört die Pflege des »klassischen Erbes« im sonst vornehmlich auf Profit und Rendite ausgerichteten Holtzbrinck-Konzern. Seit Jahren werden Werke von Autoren, welche die »Marke« Rowohlt...
Thomas Pynchon: Sterblichkeit und Erbarmen in Wien
Seit Jahrzehnten grübeln Pynchonologen darüber, warum Thomas Pynchon die Kurzgeschichte »Mortality and Mercy in Vienna«, die er er 22-jähriger Student im Frühjahr 1959 im Studentenmagazin Epoch der Cornell University veröffentlichte, niemals für eine Republikation in Betracht zog. Für den im Jahre 1984 herausgegebenen Band Slow Learner (dt...
Die Masken des Genies
Die Masken des Genies Thomas Manns Exiljahre in Princeton und Kalifornien von Jörg Auberg In seiner Aphorismensammlung Minima Moralia insistierte Theodor W. Adorno, dass jeder Intellektuelle in der Emigration ausnahmslos beschädigt sei und sich permanent dieser Beschädigung bewusst sein müsse. »Er lebt in einer Umwelt, die ihm unverständlich bleiben muß, auch wenn er...
Tom Gauld: Revenge of the Librarians
Bernd Eilert: Meine Île de Ré
Bretonisches Chill-Out Bernd Eilerts Hommage an die Île de Ré von Jörg Auberg Nachdem ich die erste Hälfte des Sommers (mehr oder minder) damit verbracht hatte, durch den hartnäckigen Zitatenbeton von Paul Austers Stephen-Crane-Biografie In Flammen mich zu bohren und das Name-Dropping-Panoptikum von Colm Tóibíns Thomas-Mann-Roman The Magician zu ertragen, stieß...
Marcel Reich-Ranicki: Ein Leben, viele Rollen
Der Grosse Zampano Marcel Reich-Ranickis Rollen in kritischen Zeiten von Jörg Auberg In der Literaturgeschichte der Bundesrepublik nimmt Marcel Reich-Ranicki die Rolle des »mächtigen Literaturkritikers« ein, wie Helmut Böttiger in seiner persönlich gehaltenen Literaturgeschichte der 1970er Jahre unterstrich1. In der Retrospektive war er in den Augen von...
Die Politik der Rackets
Herrschaft oder Anarchie Kai Lindemann durchleuchtet die Praxis der Rackets von Jörg Auberg Der Begriff »Racket« hat im gängigen Sprachgebrauch mittlerweile eine Reihe von Bedeutungen. In erster Linie wird er mit dem Tennisschläger in Verbindung gebracht. Darüber hinaus bezeichnet er (unter anderem) eine Programmiersprache, eine Social-Media-Audio-App (»Let’s Make a...
Peter Burschel: Die Herzog August Bibliothek
Die Bibliothek zwischen Kultur und Barbarei Peter Burschels Geschichte der Herzog August Bibliothek In seiner Sozialgeschichte des Wissens beschrieb Peter Burke Gottfried Wilhelm Leibniz als die Inkarnation eines Universalgelehrten, der den Philosophen mit dem Bibliothekar in sich vereinte. Als Bibliothekar der 1572 gegründeten Herzog August Bibliothek (HAB)...
Mordecai Richler — Eine Straße in Montreal
Erinnerung und Befreiung Mordecai Richlers autobiografische Erzählungen über St. Urbain von Jörg Auberg Das Montrealer Viertel um die St. Urbain Street war – dem kanadischen Filmregisseur Ted Kotcheff zufolge – für Mordecai Richler das, was für William Faulkner Yoknapatawpha war: seine Domäne der Erinnerung und literarischen Fiktion.1 Hatte er sich in seinem...
Defining the Age — Daniel Bell, His Time and Ours
Verloren und abtrünnig Daniel Bells Lamento einer verblassten Geschichte von Jörg Auberg Der Sozialwissenschaftler Daniel Bell (1919–2011) gilt als ein prototypischer Repräsentant der New Yorker Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der nicht nur den Weg von der »alten Linken« in den 1930er Jahren zum Neokonservatismus der Reagan-Ära beschritt, sondern auch den...
Hommage an Cineaste
Kritik und Gegenöffentlichkeit Seit 1967 setzt die Zeitschrift Cineaste Massstäbe in der Filmpublizistik von Jörg Auberg »Kurzum, der Filmkritiker von Rang ist nur als Gesellschaftskritiker denkbar.« Siegfried Kracauer 1 Im Sommer 1967 erschien die erste dreißigseitige Ausgabe der New Yorker Filmzeitschrift Cinéaste (damals noch in der französischen...
Philip Oltermann: The Stasi Poetry Circle
Der Club der roten Dichter Philip Oltermann erzählt die seltsame Geschichte eines Stasi-Poeten-Zirkels Wie aus grauer Vorzeit wabern diese Worte in die Gegenwart. »In einer Welt«, schrieben Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1950, »in der die Gedanken mehr als je in Zweckzusammenhänge verflochten sind, genügt es nicht vom Frieden zu reden. Man muß fragen, wer vom Frieden...
Joseph McBride — Billy Wilder: Dancing on the Edge
Vom Zyniker zum Moralisten Joseph McBride und Noah Isenberg werfen einen neuen Blick auf das Werk Billy Wilders von Jörg Auberg In der klassischen Filmgeschichtsschreibung wird Billy Wilder immer wieder als Zyniker etikettiert. In ihrer Geschichte des Films (1962) sahen die beiden Filmhistoriker Ulrich Gregor und Enno Patalas in Filmen wie The Seven Year Itch (1955), Some...
George Orwell: Reise durch Ruinen
In einer Welt der ungeheuerlichsten Verbrechen und Katastrophen George Orwells Reportagen aus deutschen Ruinenlandschaften In seinem letzten »Brief aus London«, den er im Sommer 1945 an die Redaktion der New Yorker Zeitschrift Partisan Review schrieb, verlieh George Orwell seiner Verwunderung Ausdruck, dass in den zurückliegenden Jahren die ungeheuerlichsten Verbrechen...
Helmut Böttiger — Die Jahre der wahren Empfindung
Das Verschwinden der Dialektik Helmut Böttigers »Jahre der wahren Empfindung« von Jörg Auberg »Wer nur etwas von Literatur versteht, versteht auch davon nichts.« Lothar Baier 1 Die Erinnerung an die literarischen 1970er Jahre in Deutschland verbindet sich zum einen mit »Großschriftstellern« wie Heinrich Böll, Günter Grass, Arno Schmidt oder Uwe Johnson und zum...