O trefflicher Minierer!
William Shakespeare, Hamlet
Ursprünge
In ihrem Titel spielt die Zeitschrift Moleskin Blues auf die Figur des subversiven Maulwurfs an, der sich im Untergrund seine Gänge gräbt, dann und wann einen Blick nach oben wirft, ohne sich vom »Minieren« abhalten zu lassen.
Vor allem in der sozialistischen Historiographie ist er der verschrobene Agent der Geschichte und der Revolution. In seiner berühmten Schrift »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« rekurriert Karl Marx in seiner Analyse der Februarrevolution in Frankreich auf Shakespeare: »Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. […] Sie vollendete erst die parlamentarische Gewalt, um sie stürzen zu können. Jetzt, wo sie dies erreicht, vollendet sie die Exekutivgewalt, reduziert sie auf ihren reinsten Ausdruck, isoliert sie, stellt sie als einzigen Vorwurf gegenüber, um alle ihre Kräfte der Zerstörung gegen sie zu konzentrieren. Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf.«1
Im Mai 1917, als im »von Moderluft erfüllten Europa«die russische Revolution begann, brach sich in den Augen Rosa Luxemburgs »das große historische Gesetz« Bahn. »Alter Maulwurf, Geschichte, du hast brav gearbeitet!«2, schrieb sie in dem Artikel »Der alte Maulwurf«.
Vom »kleinen Maulwurf« zum Kadaver
Eine dezidierte Natur‑, Kultur- und Sozialgeschichte liefert Steve Gronert Ellerhof in seiner Abhandlung über Maulwürfe, die in der Reihe »Animal Series« des englischen Verlages Reaktion Books erschien. Darin gibt Ellerhoff nicht allein einen detailreichen Überblick über Evolution, Natur und wissenschaftliche Erforschung der Maulwurf-Spezies, sondern erzählt auch von den Mythen und Allegorien, die das rätselhafte Maulwurfwesen in den menschlichen Vorstellungen hervorgerufen hat. In einem besonders empfehlenswerten Kapitel seines Buches »verfolgt« Ellerhoff die Figur des Maulwurfs in der Literatur und Popularkultur — wie etwa bei Autoren wie Kafka oder in abseitigen Western wie El Topo (1970), in populären Zeichentrickfilmen wie in der tschechischen Serie Der kleine Maulwurf (Krtek) ders Zeichners Zdeněk Miler — oder als bauarbeitender »Max Maulwurf« auf Plakaten der Deutschen Bahn oder als Charakter des »Untergrunds« auf Graffiti des politischen oder sozialen Widerstandes. Darüber hinaus beleuchtet Ellerhoff den Maulwurf im letzten Kapitel auch als Verfolgten, der von den Maulwurfsjägern (den »taupiers«) erlegt und auf Stacheldrahtzäunen wie Trophäen der Ausrottung ausgestellt wurde.3
Elemente einer kritischen Taupologie
In seinem Essay Résistances (2001) beleuchtet der französische Philosoph und trotzkistische Aktivist Daniel Bensaïd (1946–2010), der im Pariser Mai 1968 zu den herausragenden Akteuren gehörte, den metaphorischen Maulwurf in seinen verschiedenen Ausprägungen. Das erste Kapitel des Essays trägt den bezeichnenden Titel »Ich widerstehe, also bin ich«. In seiner Typologie beschreibt Bensaïd den Maulwurf als einen Charakter, der sich durch Zähigkeit und Geradlinigkeit auszeichnet und sich durch keine Widrigkeiten der Realität wie Steine oder Wurzeln aufhalten lässt. Zum anderen sieht Bensaïd ihn als stetigen Kämpfer, den keine Rückschläge von seiner »Mission« abzubringen vermögen. In seiner Symbiose aus Utopie und Messianismus sieht sich Bensaïd explizit in der Tradition Walter Benjamins, und der Maulwurf erinnert mit seiner beharrlichen Widerständigkeit an Herman Melvilles Figur Bartleby, auch wenn der Maulwurf im Entwurf Bensaïds zielorientierter ist. Er wirkt im Untergrund, im Garten oder Feld, ist kein Träumer oder romantischer Verweigerer, sondern ein stetiger Arbeiter. Ständig bewegt er sich zwischen Himmel und Erde, Licht und Schatten.4
Über die historisch-revolutionäre Metaphorik hinaus ist der Maulwurf auch Sinnbild des aufmerksamen Beobachters, der früh seismographische Bewegungen wahrnimmt. In einer Passage in Honoré de Balzacs Roman Verlorene Illusionen über die Tugend und Korruption der Intellektuellen im arbeitsteiligen Betrieb des kapitalistischen Marktes heißt es: »In dem Bereich, innerhalb dessen ihre Fähigkeiten sich entwickeln, besitzen die Männer von Geist die Rundumsicht einer Schnecke, den Spürsinn eines Hundesund das Gehör eines Maulwurfs – alles um sie herum sehen sie, spüren sie, hören sie.«5
In den 1970er Jahren löste der Maulwurf die Ikone Marx auf den Einkaufstüten des »Verbandes linker Buchhändler« ab. In nicht-revolutionären Zeiten gewann der Maulwurf, schreibt Uwe Sonnenberg in seiner voluminösen wie lesenswerten Studie des linken Buchhandels in den 1970er Jahren, »mit seiner Fähigkeit zur Bodenauflockerung und Hügelbildung stets neue Vorbildfunktion«.6
Genüsse im »Untergrund«
Darüber hinaus ist der Maulwurf jedoch nicht fortwährend mit seiner wühlenden Arbeit im Untergrund beschäftigt. Darin erinnert die kleine Crêperie namens »La Taupinière« im Herzen von Vannes im bretonischen Distrikt Morbihan. Dort muss man in den Untergrund absteigen, um kräftige Galettes und süße Crêpes genießen zu dürfen.
Sterben über den Gängen
Ungeachtet dieser Verherrlichung und Heroisierung ist der Maulwurf nicht allerorts gut gelitten. In seiner Prosasammlung Gesammelte Maulwürfe (1972) beschrieb Günter Eich seine Version des Maulwurfs in vielen Schattierungen. »Was ich schreibe, sind Maulwürfe«, heißt es in der »Präambel« des Buches, »weiße Krallen nach außen gekehrt, rosa Zehenballen, von vielen Feinden als Delikatesse genossen, das dicke Fell geschätzt.« Entgegen der Heroisierung des Maulwurfs stellt Eich von Beginn an klar: »Meine Maulwürfe sind schädlich, man soll sich keine Illusionen machen. Über ihren Gängen sterben die Gräser ab, sie machen es freilich nur deutlicher.«7 Damit ist die Aufgabe dieser Zeitschrift beschrieben.
Jörg Auberg
(wird fortgesetzt)
Nachweise
- Karl Marx, »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, in: MEW, Bd. 8 (Berlin: Karl Dietz Verlag, 2009), S. 196 ↩
- Rosa Luxemburg, »Der alte Maulwurf«, in: Spartakusbriefe, hg. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Berlin/DDR: Dietz Verlag, 1958), S. 322–329 ↩
- Steve Gronert Ellerhoff, Mole (London: Reaktion Books, 2020) ↩
- Daniel Bensaïd, Résistances: Essai de taupologie générale (Paris: Fayard, 2001) ↩
- Honoré de Balzac, Verlorene Illusionen, übers. Melanie Walz (München: Hanser, 2014), S. 112 ↩
- Uwe Sonnenberg, Von Marx zum Maulwurf: Linker Buchhandel in Westdeutschland in den 1970er Jahren (Göttingen, Wallstein, 2016), S. 330 ↩
- Günter Eich, Gesammelte Maulwürfe (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1972), S. 7 ↩