Moleskin Blues

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  • Marseille TransferMar­seil­le Trans­fer23. August 2023Mar­seil­le Trans­fer Im Laby­rinth von Exil und Wider­stand wäh­rend der 1940er Jah­re von Jörg Auberg Pro­log Im Okto­ber 1970 schrieb Alfred Kan­to­ro­wicz zur Vor­ge­schich­te sei­nes Erin­ne­rungs­bu­ches Exil in Frank­reich: Merk­wür­dig­kei­ten und Denk­wür­dig­kei­ten: Die wun­der­li­chen Umstän­de, die mein Ent­kom­men aus dem besieg­ten Frank­reich nach den USA ermög­lich­ten, lie­gen jetzt 30 Jah­re zurück. Das Drum und Dran die­ser Aben­teu­er, die Hun­dert­tau­sen­de zu bestehen hat­ten, ist ein in Deutsch­land wenig bekann­tes, auch im Aus­land schon fast ver­ges­se­nes Ran­ken­werk der Zeit­ge­schich­te. Es ist an der Zeit, auch dar­an zu erin­nern, denn es gibt nicht mehr vie­le Erleb­nis­zeu­gen.1 Die Bezeich­nung »Emi­grant« wur­de zum Stig­ma. »Wir waren läs­tig wie Ter­mi­ten«, lässt Erich Maria Remar­que sei­nen Erzäh­ler Schwarz im Roman Die Nacht von Lis­sa­bon über die Flücht­lin­ge sagen, »und fast nie­mand war da, der für uns noch sei­ne Stim­me erhob.«2 Emigrant*innen ström­ten über den unbe­setz­ten Teil Frank­reichs nach Mar­seil­le, der zum letz­ten Flucht­ort im nazis­ti­schen Euro­pa wur­de. Nach einem bit­te­ren Wort des poli­ti­schen Akti­vis­ten und KZ-Über­­­le­­ben­­den David Rous­set waren Mar­seil­le und Ausch­witz »die bei­den ein­zi­gen offe­nen Häfen Euro­pas«.3 Den­noch bedeu­te­te das Errei­chen des alten Hafens von Mar­seil­le nicht ein Ent­kom­men in die Frei­heit, denn die Stadt war (wie es in Remar­ques Roman heißt) ein »Jagd­platz der Gen­dar­men und Gesta­po. Sie fin­gen die Emi­gran­ten vor den Kon­su­la­ten ab wie Hasen.«4 Ledig­lich ein Bruch­teil der Emigrant*innen fand Zugang zu den Pas­sa­gen auf den Schif­fen in die USA oder nach Latein­ame­ri­ka, und selbst die Flücht­lin­ge, denen es gelang an Bord zu gelan­gen, lie­fen Gefahr (wie Kan­to­ro­wicz schrieb), wie­der her­un­ter­ge­holt zu wer­den.5 Kan­to­ro­wicz gehör­te zu den weni­gen Glück­li­chen, die ein Hap­­py-End in New York erleb­ten. Schaut auf die­se Stadt In einer Skiz­ze über Mar­seil­le, die im Jah­re 1929 in der Zeit­schrift Neue Schwei­zer Rund­schau erschien, cha­rak­te­ri­sier­te Wal­ter Ben­ja­min die süd­fran­zö­si­sche Stadt als »gel­bes, ange­stock­tes See­hunds­ge­biß, dem das sal­zi­ge Was­ser zwi­schen den Zäh­nen heruas­fließt«. Ben­ja­min zeich­net das Bild einer Stadt­ma­schi­ne im Zer­fall, die in einem »Gestank von Öl, Urin und Dru­cker­schwär­ze« die Bewoh­ner dehu­ma­ni­siert und zer­stört. »Das Hafen­volk ist eine Bazil­len­kul­tur; Last­trä­ger und Huren men­schen­ähn­li­che Fäul­nis­pro­duk­te. Im Gau­men aber sieht es rosa aus. Das ist hier die Far­be der Schan­de, des Elends.«6 Den Text emp­fand er im Gegen­satz zu ande­ren urba­nen »Denk­bil­dern« aus die­ser Zeit schwach, doch war es ein zäher Kampf um Wor­te: Die­ser Stadt »einen Satz abrin­gen zu kön­nen«, sei »schwe­rer als aus Rom ein Buch her­aus­zu­ho­len«7 Wäh­rend Ben­ja­min den all­täg­li­chen Geist der urba­nen Spek­ta­kel in Mar­seil­le mit sur­­re­al-gro­­tes­ker Über­zeich­nung ein­zu­fan­gen such­te, fokus­sier­te sich Sieg­fried Kra­cau­er in sei­ner Ana­ly­se »Zwei Flä­chen« (1926) auf die Ober­flä­chen­geo­me­trie, die Öde und Träg­heit des urba­nen Raums. »Eine Mau­er ist der Vor­bo­te des Plat­zes. Schlaf­los hält sie sich auf­recht und ver­rie­gelt das Laby­rinth.«8 In sei­nem Text beschrieb Kra­cau­er Mar­seil­le als »Flucht­ort aller Per­spek­ti­ven«9. Ein Jahr­zehnt spä­ter wur­de die Stadt für unzäh­li­ge Flücht­lin­ge zur letz­ten Hoff­nung auf ein Ent­rin­nen aus der Höl­le des deut­schen Nazis­mus. »Man kann ohne Über­trei­bung behaup­ten, daß die mensch­li­che Zivi­li­sa­ti­on nie zuvor von so vie­len Gefah­ren bedroht wor­den ist wie heu­te«10, schrie­ben Leo Trotz­ki und André Bre­ton 1938. Für Ben­ja­min gab es kein Ent­kom­men ans ret­ten­de Ufer, wäh­rend Kra­cau­er die Mona­te in Mar­seil­le in »Qual und Elend« ver­brach­te. Aber trotz »Unsi­cher­heit, Armut und Gefahr, mit der im Vichy-Fran­k­­reich gestran­de­te jüdi­sche Flücht­lin­ge« kon­fron­tiert waren, nahm er – wie die Film­his­to­ri­ke­rin Miri­am Han­sen mit Erstau­nen fest­stell­te – sein film­äs­the­ti­sches Pro­jekt »Theo­rie des Films« in sei­nen Mar­­seil­­le-Noti­z­­bü­chern ent­warf, in der er die Moder­ne als »ver­stei­ner­te, gefro­re­ne Land­schaft der Geschich­te« ent­schlüs­sel­te.11 Die Unter­ge­gan­ge­nen und die Geret­te­ten Bevor vie­le Flücht­lin­ge aus der Stadt nach Sobi­bor depor­tiert wur­den und die deut­schen Besat­zer das Hafen­vier­tel von Mar­seil­le 1943 spreng­ten, orga­ni­sier­te das Emer­gen­cy Res­cue Com­mit­tee (ERC) unter Lei­tung des jun­gen New Yor­ker Jour­na­lis­ten Vari­an Fry in Mar­seil­le die Flücht­lings­hil­fe vor Ort. Unter­stützt von einem Netz­werk gleich­ge­sinn­ter Ein­zel­per­so­nen und Orga­ni­sa­tio­nen, wen­de­ten Fry und sei­ne Kolleg*innen lega­le und ille­ga­le Mit­tel an, um Flücht­lin­ge über die Pyre­nä­en nach Spa­ni­en oder Por­tu­gal und schließ­lich in die USA zu schleu­sen. Ursprüng­lich nur mit einer kur­zen Lis­te von Per­so­nen ange­reist, denen er hel­fen soll­te, war er bin­nen kur­zer Zeit mit einer gro­ßen Zahl von Künstler*innen, Schrifsteller*innen und Intel­lek­tu­el­len kon­fron­tiert, die über ihn eine Aus­rei­se nach Nord- oder Süd­ame­ri­ka zu orga­ni­sie­ren hoff­ten. Fry blieb in Mar­seil­le für drei­zehn Mona­te, stets unter Über­wa­chung der Vichy-Her­r­­schaft, ehe er im Sep­tem­ber 1941 aus Frank­reich aus­ge­wie­sen wur­de.12 Zu denen, die Fry ihre Aus­rei­se ver­dank­ten, gehör­ten Han­nah Are­ndt, Franz Wer­fel, Hein­rich Mann, Hans Sahl, Golo Mann, Lion Feucht­wan­ger, Max Ernst, Marc Chagall, Arthur Koest­ler, Mar­cel Duch­amp, André Bre­ton, Clau­de Lévi-Strauss, Max Ophüls, Sieg­fried Kra­cau­er und vie­le ande­re. Wenn es Frys ERC nicht gege­ben hät­te, schrieb Vic­tor Ser­ge in sei­nen Memoi­ren, hät­te eine nicht unbe­trächt­li­che Anzahl von Flücht­lin­gen nur die Mög­lich­keit gehabt, vom höchs­ten Punkt der Schwe­be­fäh­re ins Meer zu sprin­gen.13 Lan­ge gehör­te Fry in den Jahr­zehn­ten der Ver­drän­gung von Schuld und Kol­la­bo­ra­ti­on nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges zu den ver­ges­se­nen Hel­den, die im Kal­ten Krieg schmäh­lich behan­delt wur­den.14 Erst 1967, im Jah­re sei­nes Todes, wur­de Fry in Frank­reich in Aner­ken­nung sei­ner Ver­diens­te in die Ehren­le­gi­on auf­ge­nom­men, und 1994 als bis dahin ein­zi­ger US-Staats­­­bür­­ger als einer der »Gerech­ten unter den Völ­kern« in Isra­els Holo­­caust-Mahn­­mal Yad Vas­hem geehrt. In ihrem his­to­ri­schen Roman The Flight Port­fo­lio aus dem Jah­re 2019 (der die Vor­la­ge zu der sechs­tei­li­gen Net­f­lix-Serie Trans­at­lan­tic bil­de­te) ver­such­te Julie Orrin­ger ihm und dem ERC ein Denk­mal zu set­zen, wobei sie sich jedoch in die typi­schen Pas­ti­ches der his­to­ri­schen Erzäh­lung ver­irr­te, in der ein anti­qua­ri­sches Inter­es­se die Wir­kung des his­to­ri­schen Romans über­la­gert, indem Geschich­te auf Kurio­si­tä­ten und »name drop­ping« redu­ziert wird, ohne »der his­to­ri­schen Echt­heit« (wie Georg Lukács insis­tier­te) Genü­ge zu tun.15,  In einer Kri­tik schrieb Cyn­thia Ozick, dass The Flight Port­fo­lio eher Hitch­cock denn Geschich­te, mehr Ver­stri­ckung denn Erzäh­lung sei.16 Exem­pla­risch ist die Sze­ne, in der Fry die Nach­richt vom Tod Wal­ter Ben­ja­mins erreicht, wobei Ben­ja­min in die­ser Erzäh­lung eher die lite­ra­risch-wis­­sen­­schaf­t­­li­che Iko­ne der post-1968er Jah­re ist denn die rea­le his­to­ri­sche Figur des ver­folg­ten und mit­tel­lo­sen Emi­gran­ten von 1940. Vari­an drop­ped into a chair and clo­sed his eyes. Wal­ter Ben­ja­min, the Ger­man Jewish phi­lo­so­pher, cri­tic, scho­lar; Ben­ja­min, who­se work had bur­ned with a quiet and per­sis­tent fire in Varian’s mind sin­ce he’d first encoun­te­red it in col­lege; Ben­ja­min, who­se name crow­ned his list, and who was rumo­red to wri­te a new book.17 Orrin­ger ver­sucht ein his­to­ri­sches Ambi­en­te zu evo­zie­ren, indem sie his­to­ri­sche Figu­ren wie Han­nah Are­ndt, Hein­rich Blü­cher oder Lisa Fit­ko auf ihre his­to­ri­sche Pas­­ti­che-Büh­­ne zitiert, Zusam­men­hän­ge in einem Gemisch aus Gerüch­ten, Sen­ti­men­ta­li­tät und mas­sen­kul­tu­rel­len Zuschnit­ten des geschicht­li­chen Indi­vi­du­ums fik­tio­na­li­siert und dekon­tex­tua­li­siert (für Ben­ja­min auf der Flucht war Mar­seil­le eine Stadt über­füllt mit Flücht­lin­gen und beherrscht von einer »Atmo­sphä­re der Unru­he«18). Sowohl als Roman­schrift­stel­le­rin wie auch als His­to­ri­ke­rin schei­tert Orrin­ger an ihrem Sujet. »Wie Orpheus muß der His­to­ri­ker in die Unter­welt hin­ab­stei­gen, um die Toten ins Leben zurück­zu­brin­gen«19, beschrieb Kra­cau­er die Auf­ga­be der Historiker*innen, doch Orrin­ger begnügt sich mit Plat­ti­tü­den und Gerüch­ten, mit denen sie ihre his­to­ri­schen Figu­ren durch das Zwie­licht der toten Stadt in Süd­frank­reich treibt. Zurück bleibt die »kal­te Asche der Jah­re«20, jedoch kein Leben. »Nur dem Geschicht­schrei­ber wohnt die Gabe bei«, insis­tier­te Ben­ja­min, »im Ver­gan­ge­nen den Fun­ken der Hoff­nung anzu­fa­chen, der davon durch­drun­gen ist: auch die Toten wer­den vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und die­ser Feind hat zu sie­gen nicht auf­ge­hört.«21 Die­se Geschich­te stellt einen Trüm­mer­hau­fen dar, doch Orrin­ger fühlt sich bemü­ßigt, die Trüm­mer in einem »Geschichts­fake« des Illu­si­ons­thea­ters zu über­tün­chen, die Kata­stro­phen des 20. Jahr­hun­derts mit stoff­li­chen Mit­teln des 19. Jahr­hun­derts, einer »Beseelt­heit, wel­che die Stof­fe ver­schwim­men läßt«22 (Ador­no) ver­klärt, anstatt die bür­ger­li­che Gesell­schaft als ver­bre­che­ri­sches Gesamt­sub­jekt zu demas­kie­ren. Mehr als zehn­mal nennt Orrin­ger den Namen der Avan­t­­gar­­de-Zei­t­­schrift Hound and Horn (1927–34), um Frys Ver­bun­den­heit mit der Avant­gar­de in sei­ner Har­­vard-Stu­­den­­ten­­zeit zu Beginn der 1930er Jah­re zu unter­strei­chen. Fry gehör­te selbst zur Redak­ti­on die­ser Vier­tel­jah­res­schrift, die Tex­te von James Joy­ce, T. S. Eli­ot, John Dos Pas­sos, e. e. cum­mings, Pablo Picas­so, Ger­tru­de Stein und Wil­liam Car­los Wil­liams publi­zier­te. Immer wie­der repe­tiert Orrin­ger den Titel der Zeit­schrift wie eine Beschwö­rung der Avant­gar­de vor ihrer Insti­tu­tio­na­li­sie­rung durch die Kul­tur­in­dus­trie, wobei die Avant­gar­de eine inhalts­lee­re Stam­mes­for­ma­ti­on bleibt, die von der »Wich­tig­tue­rei des Betriebs« liqui­diert wird.23 Avant­gar­de ist bei Orrin­ger Hie­ro­gly­phe, Trans­pa­rent und Gene­ra­ti­ons­fra­ge, weni­ger das Auf­bre­chen von Kon­ven­tio­nen und die Ent­wick­lung neu­er Per­spek­ti­ven. »Eine Gene­ra­ti­on ist eine Mode«, schrieb Harold Rosen­berg, »aber die Geschich­te ist mehr als Kos­tüm und Jar­gon.«24 Das Feh­len einer his­to­ri­schen Refle­xi­on und die Ein­fäl­tig­keit der Dar­stel­lung his­to­ri­scher Ereig­nis­se prä­de­sti­nier­ten den Roman für eine kul­tur­in­dus­tri­el­le Auf­be­rei­tung im Strea­ming­kos­mos einer geschichts­fer­nen, bit­ori­en­tier­ten, auf Impul­se und Zei­chen alert reagie­ren­den Gene­ra­ti­on, die im Sin­ne von Stream­li­ning und Digi­ta­li­sie­rung mehr an Typen denn an Inhal­ten oder gar his­to­ri­scher Erfah­rung inter­es­siert ist. Sowohl der Roman als auch die spä­te­re Net­f­lix-Serie ope­rie­ren mit Abzieh­bil­dern einer fal­schen his­to­ri­schen Rea­li­tät: Wie die Pro­du­zen­tin Anna Win­ger in einem Inter­view sag­te, geht es nicht um die Emi­gra­ti­on von »gewöhn­li­chen Men­schen«, die vom nazis­ti­schen Regime ver­folgt wur­den, son­dern um eine »Eli­te« von »Flücht­lings­ko­ry­phä­en«25. In Trans­at­lan­tic erschei­nen ledig­lich Intel­lek­tu­el­le und Künst­ler als ret­tungs­wür­di­ge Indi­vi­du­en. Die Men­schen­ver­ach­tung die­ser Flücht­lings­po­li­tik the­ma­ti­sier­te bereits Erich Maria Remar­que in sei­nem Roman Die Nacht von Lis­sa­bon: Sie wis­sen , daß kein Visum erteilt wur­de, wenn nicht nach­ge­wie­sen wer­den konn­te, daß man sehr gefähr­det sei, oder wenn man nicht in Ame­ri­ka auf eine Lis­te bekann­ter Künst­ler, Wis­sen­schaft­ler oder Intel­lek­tu­el­ler gesetzt wur­de. Als ob wir nicht alle gefähr­det gewe­sen wären – als ob Mensch nicht Mensch wäre! Ist der Unter­schied zwi­schen wert­vol­len und gewöhn­li­chen Men­schen nicht eine fer­ne Par­al­le­le zu den Über­men­schen und den Unter­men­schen?26 Die­se Pro­ble­ma­tik brin­gen weder Roman noch Strea­ming­se­rie zur Spra­che. Wie Max Hork­hei­mer beob­ach­te­te, gehor­chen sowohl »Eli­ten« (Ange­stell­te und Erfüllungsgehilf*innen des Pro­duk­ti­ons­ap­pa­rats) als auch »Mas­sen« einer Appa­ra­tur, »die in jeder Situa­ti­on nur eine Reak­ti­on für sie offen­läßt«27 In einer Kri­tik für die trotz­kis­ti­sche Web­sei­te World Socia­list Web Site lob­te Joan­ne Lau­rier, dass Trans­at­lan­tic-Produzent*innen, »eine Geschich­te des ent­schlos­se­nen Wider­stands gegen Grau­sam­keit und Auto­ri­ta­ris­mus in einem der tra­gischs­ten Momen­te der Geschich­te« in Sze­ne zu set­zen, wobei Lau­rier jedoch unter­schlägt, dass sich die Dar­stel­lung die­ses Wider­stan­des ledig­lich auf eine mino­ri­tä­re Eli­te der Flücht­lin­ge in den frü­hen 1940er Jah­ren bezieht. Der viru­len­te Bazil­lus der Pan­de­mie In den frü­hen 1930er Jah­ren hat­te der liber­­tär-sozia­­lis­­ti­­sche Autor Dani­el Gué­rin Rei­sen nach Deutsch­land unter­nom­men, die er in sei­nem Buch La peste bru­ne in den Kapi­teln »Vor der Kata­stro­phe« (1932) und »Nach der Kata­stro­phe« (1933) beschrieb. Der Aus­druck der »brau­nen Pest« bezeich­ne­te spä­ter auch die Nazi-Okku­­pa­­ti­on Frank­reichs, die Albert Camus in sei­nem Roman Die Pest alle­go­risch beschrieb.28 Am Ende gibt es kei­ne Befrei­ung, ist sich Camus’ Prot­ago­nist Dok­tor Rieux gewiss: Viel­mehr wer­de der Pest­ba­zil­lus nie­mals aus­ster­ben oder ver­schwin­den, son­dern auf den Tag der Reani­ma­ti­on war­ten, »an dem die Pest zum Unglück und zur Beleh­rung der Men­schen ihre Rat­ten wecken und erneut aus­sen­den wird«29 Der Bazil­lus wirkt wei­ter. Wäh­rend der Coro­­na-Pan­­de­­mie soll­ten mit dem staat­li­chen Hilfs­pro­gramm »Neu­start Kul­tur« (ähn­lich wie mit dem Fede­ral Wri­ters Pro­ject in den USA wäh­rend der Depres­si­on) Ver­la­ge und Autor*innen unter­stützt wer­den. Mit nahe­zu 94 Mil­lio­nen Euro wur­den Pro­jek­te im Lite­ra­tur­be­reich unter­stützt. Wie die Recher­che eines Teams des Sen­ders Deutsch­land­funk Kul­tur jedoch an Licht brach­te, schau­ten die büro­kra­ti­schen Appa­ra­te der Kul­tur­för­de­rung nicht so genau hin, wem sie mit För­de­rungs­mit­teln unter die Arme grif­fen: Unter ande­rem konn­ten ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche und rechts­extre­me Buch­pro­jek­te wie »Deutsch­land – ver­ra­ten und ver­kauft« (geför­dert mit 10.000 Euro) oder »Kul­tur­kampf um das Volk« (geför­dert mit 7.500 Euro) publi­ziert wer­den und sind über die übli­chen Por­ta­le des Buch­han­dels erhält­lich.30 Aus dem Staats­fonds finan­zier­te auch der sich als »unkon­ven­tio­nell, eigen­wil­lig, kämp­fe­risch« dekla­rie­ren­de und als »›ver­le­ge­ri­sches U‑Boot in den Tie­fen des Bücher­meers‹« bezeich­nen­de Ver­lag Edi­ti­on Nau­ti­lus die Über­set­zung des Romans Pla­net ohne Visum von Jean Mala­quais (der zuerst im Jah­re 1947 erschien)31 Die Ver­lags­wer­bung preist den Roman als »ver­ges­se­nes Meis­ter­werk der fran­zö­si­schen Exil­li­te­ra­tur« an, bewirbt es markt­schreie­risch als »Agen­ten­thril­ler und Milieu­stu­die«, als »packen­des Epos der Men­schen ohne Papie­re, des­sen ele­gan­te Spra­che und sti­lis­ti­schen Reich­tum Nadi­ne Püschel meis­ter­haft ins Deut­sche über­tra­gen hat.«32 Der Ver­­lags-PR folg­te auch das deut­sche Feuil­le­ton, deren Autor*innen Elo­gen auf den Autor und den Roman ver­brei­te­ten, die den Grund­struk­tu­ren einer ein­di­men­sio­na­len, nur in Details vari­ie­ren­den Erzäh­lung folg­ten. Grund­te­nor die­ser Bei­trä­ge war nicht allein, dass es sich bei Mala­quais’ Roman um ein ver­ges­se­nes, son­dern ein unter­drück­tes Meis­ter­werk han­de­le, wobei im ver­schwö­rungs­theo­re­ti­schen Sound­track die Urhe­ber oder Täter die­ser kul­tu­rel­len Repres­si­on in einem wei­ßen Rau­schen unter­gin­gen. His­to­ri­sche Bele­ge für die Unter­drü­ckung blie­ben außen vor. »Fragt sich, wie Jean Mal­quais so lan­ge ver­bor­gen blei­ben konn­te«, raun­te Insa Wil­ke in der Süd­deut­schen Zei­tung, um wenig spä­ter mit einer kon­spi­ra­ti­ven Ver­mu­tung um die Ecke zu kom­men: »Ein poli­ti­scher Grund dürf­te auch sein, dass er Frank­reich auf eine Wei­se kri­ti­siert, die auch heu­ti­ges Han­deln demo­kra­ti­scher Staa­ten, die ande­ren die Men­schen­rech­te vor­hal­ten, in ein trü­bes Licht stellt .«33 Im dekon­tex­tua­li­sier­ten his­to­ri­schen Nar­ra­tiv wird der Roman als Früh­form post­mo­der­ner Auf­lö­sung poli­ti­scher Gegen­sät­ze und Zuord­nun­gen in einem wabern­den Text des lite­ra­ri­schen Enter­tain­ments gefei­ert. »Fest gefüg­te Vor­stel­lun­gen von Gut und Böse, Lin­ken und Rech­ten wer­den in Fra­ge gestellt«, freu­te sich Fok­ke Joel in der taz über die Dif­fu­si­tät des Poli­ti­schen. »Men­schen, von denen man es nicht erwar­tet hät­te, wer­den zu Ver­rä­tern, ande­re tau­chen plötz­lich im Wider­stand auf. Gleich­zei­tig kann Mala­quais atmo­sphä­risch und sprach­lich so leben­dig erzäh­len, dass vor dem inne­ren Auge des Lesers die pre­kä­re Welt Mar­seil­les wäh­rend der deut­schen Besat­zung leben­dig wird.«34 Auf der zwei­ten Ebe­ne wird Mala­quais nicht nur als urba­ner »Moder­nist« in der Tra­di­ti­on von James Joy­ce, John Dos Pas­sos und Alfred Döbin gefei­ert35, son­dern auch als anti­sta­li­nis­ti­scher Lin­ker jen­seits von Kom­mu­nis­mus, Trotz­kis­mus und Sek­tie­rer­tum. So schreibt der als »Deutsch­lands Kri­mi­papst« dekla­rier­te Tho­mas Wört­che in sei­ner Elo­ge auf einen »der gro­ßen Roma­ne des 20. Jahr­hun­derts« im Inter­­net-Maga­­zin Cul­tur­mag: »Aller­dings war Mala­quais kein Trotz­kist und kein Kom­mu­nist, son­dern eher frei­schwe­ben­der Sozia­list, Anar­chist im posi­ti­ven Sin­ne, nach eige­nem Ver­ständ­nis ein ›métèque‹, ein Außen­sei­ter, ein Immer-Fre­m­­der aus eige­nem Wil­len und Ent­schluss.«36 Eine kri­­tisch-his­­to­ri­­sche Her­an­ge­hens­wei­se zieht die »Feuil­le­to­nes­ka« nicht in Betracht: Ein Pro­dukt der Lite­ra­tur­in­dus­trie, das bin­nen kur­zer Zeit von omni­vo­ren Makro­pha­gen im Blät­ter­werk des kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tems klas­si­fi­ziert und aus­ge­schlach­tet wer­den muss, ehe es in der Ver­sen­kung ver­schwin­det, wird von den »Häschern und Hen­kern« des Betrie­bes als Spek­ta­kel­ob­jekt zur Schau gestellt, ehe es im Orkus kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wer­tung und Gewalt der Zer­stö­rung und Ver­nich­tung anheim­fällt. 37 Die zeit­ge­nös­si­sche Kri­tik nahm Mala­quais’ Roman weni­ger eupho­risch wahr, was in ers­ter Linie an der zer­split­ter­ten Struk­tur lag, die kei­ne ein­heit­li­che Erzähl­per­spek­ti­ve bot, zum ande­ren an einem offen­bar feh­len­den Stand­punkt, mit dem sich der Autor im his­to­ri­schen Bal­­zac-Kos­­tüm als Lin­ker, Libe­ra­ler oder Kon­ser­va­ti­ver dem Publi­kum prä­sen­tier­te. Dem Roman feh­le es, monier­te ein unge­nann­ter Rezen­sent in der New York Times im Mai 1948, sowohl an ästhe­ti­scher Form als auch an mora­li­scher Rich­tung. Für einen Künst­ler rei­che es nicht aus, das Cha­os der gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät in Kon­fu­si­on abzu­bil­den.38 Obwohl Pla­net ohne Visum (in der eng­li­schen Über­set­zung von Peter Grant unter dem Titel World Wit­hout Visa bei Dou­ble­day erschie­nen) kein »erfolg­rei­ches Pro­sa­werk« sei, hielt der Rezen­sent Orville Pres­cott Mala­quais für einen der fähigs­ten fran­zö­si­schen Autoren und sah sei­nem nächs­ten Buch mit »eif­ri­ger Vor­freu­de« ent­ge­gen.39 Vau­t­rin in New York »Jean Mala­quais war nicht allein mein bes­ter Freund«, schrieb Nor­man Mailer im Vor­wort zu einer über­ar­bei­te­ten Neu­aus­ga­be von Planè­te sans Visa, »er war mein Men­tor.«40 In der His­to­rio­gra­fie der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len umgab Mala­quais die Aura Jean Vau­t­rins, des bösen Geis­tes aus Bal­zacs Comé­die Humaine, der mit der Elo­quenz von Luzi­fer oder Mephis­to und einer Ero­tik der kor­rum­pie­ren­den, mani­pu­lie­ren­den Macht jun­ge viel­ver­spre­chen­de Män­ner in den Abgrund zog.41 In sei­nen Erin­ne­run­gen bemerk­te der Lite­ra­tur­kri­ti­ker Alfred Kazin eine selt­sa­me Affi­ni­tät zwi­schen Mailer und Mala­quais, die auf Sei­ten des jun­gen Schrift­stel­lers, der mit sei­nem Debüt­ro­man The Naked and the Dead (1948) zum lite­ra­ri­schen Star New Yorks auf­ge­stie­gen war, den Bereich der Hörig­keit über­schritt.42 In einem Inter­view mit Chris­to­pher Hit­chens beschrieb Mailer sei­ne per­sön­li­che Sicht des Ver­hält­nis­ses zu Mala­quais: What hap­pen­ed was that I fell under the influence of Jean Mala­quais, who would be rea­dy to kill if some­bo­dy cal­led him a Trots­ky­ist, becau­se he was a splin­ter Mar­xist. He’d gone so far bey­ond Trots­ky­ism that he des­pi­sed the Trots­ky­ists. He loa­thed the Sta­li­nists, they were the devil, but the Trots­ky­ists at best were pro­di­gious­ly mis­gui­ded and were scound­rels and no good. And then he went on and on. Jean Mala­quais had a posi­ti­on very far left, he real­ly was an ideo­lo­gi­cal Mar­xist. And I took that posi­ti­on up with gre­at reli­ef becau­se it was an island, and it offe­red enorm­ous puri­ty. You real­ly could be against ever­y­thing, but with an inner puri­ty of soul. I joi­n­ed Malaquais’s par­ty, which made us a par­ty of two.43 In sei­nem Buch After the Revo­lu­ti­on beschrieb Mark Shech­ner Mala­quais als typi­schen Schis­ma­ti­ker in den Rei­hen ortho­do­xer und abtrün­ni­ger Adep­ten der lin­ken Oppo­si­ti­on jen­seits von Sta­li­nis­mus und Sozi­al­de­mo­kra­tie. In Shech­ners Les­art war Mala­quais der Anfüh­rer einer »win­zi­gen Frak­ti­on« inner­halb des trotz­kis­ti­schen Uni­ver­sums von New York, der es zwar nicht gelang, eine Par­tei zu bil­den, aber zumin­dest einen Roman auf den Weg zu brin­gen (näm­lich Mailers Bar­ba­ry Shore, der – mit Shech­ners Wor­ten – eine »trü­be Mischung aus Abstei­gen­exis­ten­zia­lis­mus und Schlaf­zim­mer­dia­lek­tik« dar­stell­te). Im Gegen­satz zu den ande­ren Schis­ma­ti­kern im trotz­kis­ti­schen Umfeld wie den »Oeh­le­ri­ten«, »Fiel­di­ten« oder »Mus­tei­ten« brach­te Mala­quais nicht genug Abtrün­ni­ge für einen eigen­stän­di­gen Stamm hin­ter sich zusam­men, die sei­ne öko­­­no­­misch-deter­­mi­­nis­­ti­­sche Welt­sicht tei­len woll­ten, in der USA und UdSSR ledig­lich Reinkar­na­tio­nen von Gog und Magog waren.44 Ver­rat und Nie­der­gang In einer über­aus wohl­wol­len­den Kri­tik der Net­f­lix-Serie Trans­at­lan­tic in der lin­ken Zeit­schrift New Poli­tics dekla­riert Dan La Botz Mala­quais’ Roman Pla­net ohne Visum als die »viel­leicht rea­lis­tischs­te Schil­de­rung der Flüch­tig­lin­ge« im Hafen von Mar­seil­le.45 Gebo­ren als Sohn jüdi­scher Eltern in War­schau im Jah­re 1908 und mit dem Namen Wla­di­mir Jan Pavel Mala­cki bezeich­net, war Mala­quais selbst früh in die Fuß­stap­fen sei­nes Lands­man­nes Joseph Con­rad getre­ten und hat­te Rei­sen nach Ost­eu­ro­pa und in den Mitt­le­ren Osten unter­nom­men, ehe er sich in Frank­reich als Schrift­stel­ler nie­der­ließ und die Gön­ner­schaft André Gides erwarb. In den spä­ten 1930er Jah­ren schloss er sich lin­ken For­ma­tio­nen im Umfeld des Trotz­kis­mus an und floh nach der fran­zö­si­schen Nie­der­la­ge 1940 nach Süd­frank­reich. In Mar­seil­le hielt er sich mit der Mit­ar­beit in der Koope­ra­ti­ve Cro­quef­ruits über Was­ser, in der eine Rei­he von Flücht­lin­gen aus den lin­ken und künst­le­ri­schen Milieus arbei­te­ten. Gegrün­det von Luci­en und Syl­vain Itki­ne, stell­te die Genos­sen­schaft in einer selbst­ver­wal­te­ten Fabrik Scho­ko­la­den­rie­gel aus Dat­teln, Hasel­nüs­sen, Man­deln und Pis­ta­zi­en her. In Léo Malets Nes­­tor-Bur­­ma-Kri­­mi Le cin­quiè­me pro­cé­dé (im glei­chen Jahr wie Mala­quais’ Roman ver­öf­fent­licht) trägt die Koope­ra­ti­ve den Namen Touf­ruit und erscheint als »furcht­bar sym­pa­thi­sches Unter­neh­men«.46 In Mala­quais’ Roman erscheint die Genos­sen­schaft weni­ger sym­pa­thisch: Wie Gene­viè­ve Nakach in ihrer Mala­­quais-Bio­­­gra­­fie Mala­quais Rebel­le schreibt, ist die ursprüng­li­che Uto­pie von Cro­quef­ruits, die Visi­on einer ega­li­tä­ren und gemein­schaft­li­chen Koope­ra­ti­ve in Pla­net ohne Visa einem »vul­gä­ren Unter­neh­men« im Diens­te der Besat­zer gewi­chen. Bei sei­nen Mitstreiter*innen bei Cro­quef­ruits hat­te Mala­quais, sei­ner Bio­gra­fin zufol­ge, den Ruf eines »Mecker­frit­zen« und »Pro­vo­ka­teurs«, wodurch die Schil­de­rung der Koope­ra­ti­ve im Roman geprägt wur­de, sodass die Ein­schät­zung der »viel­leicht rea­lis­tischs­ten Schil­de­rung der Flücht­lin­ge« in Mar­seil­le im Jah­re 1940 rela­ti­viert wird.47 Die bei­den poli­ti­schen Pole im Span­nungs­feld der Koope­ra­ti­ve sind die Figu­ren Marc Laver­ne und Ivan Sté­pan­off, die Mala­quais nach den rea­len his­to­ri­schen Zeit­ge­nos­sen Marc Chri­rik (1907–1990) und Vic­tor Ser­ge (1890–1947) model­lier­te. Gebo­ren in Russ­land in die Fami­lie eines jüdi­schen Rab­bi­ners, schloss sich Chi­rik nach der Emi­gra­ti­on nach Paläs­ti­na und weni­ge Jah­re spä­ter nach Frank­reich der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei an, ehe er Ende der 1920er Jah­re als Mit­glied der »lin­ken Oppo­si­ti­on« aus­ge­schlos­sen wur­de und den Weg durch die zer­klüf­te­ten Land­schaf­ten links­ra­di­ka­ler Schis­ma­ti­ker antrat, die unter den Ban­nern »Ligue Com­mu­nis­te«, »Uni­on Com­mu­nis­te« oder »Gau­che Com­mu­nis­te« mar­schier­ten. Vic­tor Ser­ge begann sei­ne poli­ti­sche Kar­rie­re im anar­chis­ti­schen Milieu, ehe er sich nach der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on am Auf­bau der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le betei­lig­te. Nach der Nie­der­schla­gung des Auf­stan­des der Kron­städ­ter Matro­sen im Jah­re 1921 wech­sel­te er jedoch zur lin­ken Oppo­si­ti­on und ging ins fran­zö­si­sche Exil, aus dem er Kon­takt mit Leo auf­nahm Trotz­ki. Für sei­nen Roman über­nahm Mala­quais die Über­schrift des 45. Kapi­tels aus Trotz­kis Bio­gra­fie Mein Leben (1930) als Titel: »Der Pla­net ohne Visum«.48 Mala­quais war nach Aus­sa­ge Chi­rics ein »enger fel­­low-tra­­vel­­ler« der Gau­che Com­mu­nis­te Inter­na­tio­na­le, die aus acht »Mili­tan­ten« und einem drei­köp­fi­gen Zen­tral­ko­mit­tee bestand.49 Im Gegen­satz zu Chi­ric, der im Kampf gegen den Faschis­mus und Sta­li­nis­mus die Posi­ti­on eines »revo­lu­tio­nä­ren Defä­tis­mus« ver­trat, hat­te sich Ser­ge von den revo­lu­tio­nä­ren Vor­stel­lun­gen sei­ner Jugend gelöst und auf die Posi­ti­on eines »demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus« bewegt. In Mala­quais’ fik­tio­na­ler Beschrei­bung der poli­ti­schen Gegen­sät­ze in der Koope­ra­ti­ve als auch im Milieu der Flücht­lin­ge in Mar­seil­le hat­te Sté­pan­off sei­ne eins­ti­ge Idea­le ver­ra­ten und das »gerin­ge­re Übel« gewählt: »Die Höl­le war nicht län­ger der Kapi­ta­lis­mus an sich, son­dern des­sen brau­ne Vari­an­te.« Er wur­de zum »Ver­fech­ter einer Ein­heits­front mit der Cho­le­ra gegen die Pest«.50 In den Augen Laver­nes ist Sté­pan­off (und mit ihm die ver­gan­ge­ne Gene­ra­ti­on von 1917) ledig­lich ein »Schat­ten des­sen, der er ein­mal gewe­sen war, ein Schat­ten, der bis­wei­len noch die Illu­si­on erweck­te, am Leben zu sein«. Sté­pan­off sei tief gesun­ken und ein Ver­rä­ter sei­ner selbst, der die Mas­sen dazu auf­ru­fe, »nicht den Kapi­ta­lis­mus an sich abzu­schaf­fen, son­dern den Faschis­mus, sei­ne unver­meid­li­che Vari­an­te«, und befin­de sich im »demo­kra­ti­schen Herr­schafts­mo­dus«. Das Urteil der »Jun­gen« über den »Alten« (Sté­pan­off ali­as Ser­ge) fiel ähn­lich wie in den Mos­kau­er Schau­pro­zes­sen ohne jeg­li­che Empa­thie aus: »Bis zur Inva­si­on der UdSSR hat­te Sté­pan­off sei­nen Nie­der­gang immer­hin noch eini­ger­ma­ßen unter Kon­trol­le; er kam ins Rut­schen, ver­lor den Halt, berap­pel­te sich eini­ger­ma­ßen.« 51 Die Uto­pie des pro­le­ta­ri­schen Huma­nis­mus Im Gegen­satz zur his­to­ri­schen Uner­bitt­lich­keit der nach­ge­bo­re­nen »Mili­tan­ten« hat­te Sté­pan­off stets das huma­ni­tä­re Ethos und die Eman­zi­pa­ti­on des Indi­vi­du­ums im Blick. »Wir betrach­te­ten die Geschicht­ze nicht als unper­sön­li­ches Rad, von dem das Indi­vi­du­um nie­der­ge­walzt wird«, heißt es in einem auf den 10. Okto­ber 1942 datier­ten Tage­buch­ein­trag Sté­pan­offs. »Es ging uns wirk­lich dar­um, den Men­schen zu befrei­en, sogar vom geschicht­li­chen Deter­mi­nis­mus. Wir hat­ten recht. Der Mensch ist kein Mythos im Dienst einer ent­mensch­lich­ten Geschich­te. Letz­te­re ist ein Mythos. Es gibt kei­ne Geschich­te ohne den Men­schen.« 52 Sté­pan­off hat­te – wie sein rea­les Vor­bild Ser­ge – (mit den Wor­ten Mark Poliz­zot­tis) für die Revo­lu­ti­on gekämpft und gelit­ten. Obwohl Ser­ge Intel­lek­tu­el­len wie André Bre­ton für ihren Ein­satz dank­bar war, als er in sowje­ti­schen Gefäng­nis­la­gern saß, betrach­te­te er sie doch mit einer leich­ten Ver­ach­tung als »Kaf­fee­haus­ak­ti­vis­ten«.53 Die ideo­lo­gi­sche Uner­bitt­lich­keit der selbst ernann­ten »Mili­tan­ten« rui­nier­te schließ­lich auch das Ver­hält­nis zwi­schen Ser­ge und Mala­quais. Inner­halb der Emi­­gran­­ten-Orga­­ni­­sa­­ti­on »Inter­na­tio­na­list Socia­list Com­mis­si­on« atta­ckier­te Mala­quais Ser­ge, ein »rech­ter Refor­mist« zu sein, und for­der­te Sank­tio­nen gegen den Abtrün­ni­gen, wäh­rend Ser­ge Mala­quais’ Repu­ta­ti­on als »ernst­haf­ter Revo­lu­tio­när« in Fra­ge stell­te.54 In sei­nen Notiz­bü­chern berich­te­te Ser­ge von einer Begeg­nung, in der Mala­quais von einem Roman­pro­jekt über die »Deser­ti­on der Revo­lu­tio­nä­re« rede­te, wor­auf­hin Ser­ge kon­ter­te, Mala­quais habe zu wenig von einem Revo­lu­tio­när, um ein sol­ches The­ma behan­deln zu kön­nen. Mala­quais sei von einer bit­te­ren, bei­ßen­den Aggres­si­on getrie­ben, vom »Tem­pe­ra­ment eines Neu­ro­ti­kers«, der alles nur in dun­kels­ten Far­ben schil­dern kön­ne, sodass der »Bruch mit Jean Mala­quais, uner­klär­lich dumm und bru­tal«, unaus­weich­lich war.55 In sei­nem Roman Last Times, der die Flucht aus Euro­pa nach »Ame­ri­ka« beschreibt, ver­ar­bei­tet Ser­ge das Schick­sal des revo­lu­tio­nä­ren Intel­lek­tu­el­len in der Figur des alten Dr. Arda­tov, der – mit den Wor­ten der Ser­­ge-Bio­­­gra­­fin Sus­an Weiss­man – sich in »sar­do­ni­schen Reflek­tio­nen über die Rol­le der Intel­li­genz in einem von bar­aba­ri­schen Tota­li­ta­ris­men über­wäl­tig­ten Euro­pa« ergeht.56 Auf dem Schiff in die »Neue Welt« wird der Ent­kom­me­ne von dem Sta­li­nis­ten Wil­li Bart ermor­det. In der Inter­pre­ta­ti­on Richard Gree­mans sym­bo­li­siert die­ser Mord die unauf­halt­sa­me Aus­rot­tung der gan­zen Gene­ra­ti­on der revo­lu­tio­nä­ren Mili­tan­ten und Intel­lek­tu­el­len, zer­rie­ben zwi­schen Nazis­mus und Sta­li­nis­mus. Es ist eine tra­gi­sche Sym­pho­nie, die jedoch nicht in Hoff­nungs­lo­sig­keit ver­sinkt: In Paren­the­se wird dem Ende die Coda »… but not­hing has ended.« hin­zu­ge­fügt.57 Noch im Moment des Unter­gangs bewahr­te sich Ser­ge die Uto­pie eines Bes­se­ren im Dun­kel, den Gedan­ken an eine »Zivi­li­sa­ti­on frei­er und mensch­li­cher Pro­du­zen­ten im wei­tes­ten Sin­nes die­ses Wor­tes«, wie er 1932 in dem schma­len Band Lit­té­ra­tu­re et Révo­lu­ti­on schrieb. »Ein jeder wird sich selbst ein­ge­ste­hen, daß man mühe­los das Wah­re vom Fal­schen, das Gerech­te vom Unge­rech­ten, die Pflicht vom Inter­es­se und den Mut von der Seicht­heit unter­schei­den kann.«58 In den frü­hen 1930er Jah­ren träum­te er von einer »Lite­ra­tur lei­den­schaft­li­cher Kämp­fer«, doch sein letz­ter Roman war eher – wie Gree­man betont – durch lite­ra­ri­sche Kon­ven­tio­nen und gesell­schaft­li­che Kli­schees (in denen Frau­en zwi­schen der Madon­na und der Hure chan­gie­ren) bestimmt.59 Obwohl Irving Howe in einer Rezen­si­on in der Par­ti­san Review den »jour­na­lis­ti­schen« Cha­rak­ter des Romans kri­ti­sier­te, stell­te er ihn über die damals popu­lä­re »Rene­ga­ten­li­te­ra­tur« von Autoren wie Arthur Koest­ler. Das Buch sei »typi­scher Aus­druck eines ver­gan­ge­nen Zeit­al­ters und einer zer­stör­ten Gene­ra­ti­on«, das durch ein »unver­meid­li­ches Pathos« und eine wie auch immer gear­te­te Vor­nehm­heit gekenn­zeich­net, auch wenn es als Roman eine gewis­se Unzu­frie­den­heit her­vor­ru­fe.60 Nicht nur in der Ver­wen­dung kon­ven­tio­nel­ler und avan­cier­ter Roman­tech­ni­ken unter­schei­den sich die Roma­ne von Mala­quais und Ser­ge: Wie Pierre Masson in einer jün­ge­ren Stu­die her­vor­hob, zeich­ne­te Mala­quais in sei­nem Pes­si­mis­mus ein düs­te­res Bild vom unter­ge­hen­den alten Euro­pa, wäh­rend Ser­ge in sei­nem »Volon­ta­ris­mus« zumin­dest den Schim­mer einer Trans­for­ma­ti­on der gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se durch­schei­nen lässt.61 In ihren von Kli­schees durch­setz­ten Schil­de­run­gen weib­li­cher Cha­rak­te­re sind sich bei­de Roma­ne sehr ähn­lich. Zwar ver­stieg sich die Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin Insa Wil­ke in ihrer Rezen­si­on von Mala­quais’ Roman zu der Behaup­tung »Ver­blüf­fend ist … sei­ne har­sche Kri­tik am Frau­en­hass, sein Spott über Män­ner …«, ohne Bele­ge für die­se Ein­schät­zung zu lie­fern.62 Mala­quais schreibt sei­nen männ­li­chen Figu­ren Sät­ze wie »So appe­tit­lich, die­se schma­len Mäd­chen­hüf­ten und die fes­ten Tit­ten, da wür­de selbst ein Hei­li­ger anbei­ßen« oder »Er moch­te üppi­ge Frau­en mit ordent­lich Vor­bau« zu.63 Wäh­rend Wil­ke Mala­quais als »Meis­ter des fra­ge­men­ta­ri­schen Erzäh­lens« fei­ert, der »auch Situa­ti­ons­ko­mik und post­mo­der­ne Refe­renz­kunst bewusst­seins­expe­ri­men­tel­le und sati­ri­sche lite­ra­ri­sche Ver­fah­ren« beherr­sche, kri­ti­sier­te der anar­chis­ti­sche Autor Lou Marin den »struk­tu­rell sexis­ti­schen Slap­stick« des Romans und unter­stell­te Mala­quais eine aus­ge­präg­te Miso­gy­nie. »Der Sexis­mus ist alles über­la­gernd«, kon­sta­tier­te Marin; »Frau­en wer­den hier meist als nai­ve ›Tus­sis‹ gezeich­net, die von Män­nern nie ernst genom­men, son­dern begafft, unge­fragt betatscht, geschla­gen oder gar besprun­gen wer­den. Das macht die Lekü­re zum Teil uner­träg­lich.«64 Agen­ten der Erin­ne­rung Es ent­behrt nicht der Iro­nie, dass der Anar­chist Marin sei­nen Leser*innen die Lek­tü­re von Anna Seg­hers’ Roman Tran­sit emp­fiehlt, da die­ser die »his­to­ri­sche Situa­ti­on in Mar­seil­le ernst­haf­ter und damit ange­mes­se­ner« als Mala­quais’ Werk beschrei­be. Im lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit herrscht neben dem Nar­ra­tiv, dass im Zuge der Ver­drän­gung des Vichy-Erbes im Frank­reich der Résis­tance Mala­quais zum Ver­stum­men gebracht wor­den sei, auch die Argu­men­ta­ti­on vor, dass Anna Seg­hers einen für die sta­li­nis­ti­sche kom­mu­nis­ti­sche Ideo­lo­gie cha­rak­te­ris­ti­schen anti­in­tel­lek­tu­el­len Dis­kurs betrie­ben habe, der die his­to­ri­sche Rea­li­tät ver­fälscht habe. Wäh­rend Mala­quais als Schrift­stel­ler nach 1947 zu exis­tie­ren auf­ge­hört habe (er ver­öf­fent­lich­te 1953 den zwi­schen den Uni­ver­sen von Kaf­ka und Orwell oszil­lie­ren­den Roman Le Gaf­feur, um danach das Geschäft des Schrift­stel­lers auf­zu­ge­ben und sich Über­set­zun­gen zu wid­men), sei Seg­hers zu einer füh­ren­den Funk­tio­nä­rin im DDR-Lite­ra­­tur­­be­­trieb auf­ge­stie­gen.65 Dass Seg­hers’ Roman kei­nes­wegs ein anti­in­tel­lek­tu­el­les, von der sta­li­nis­ti­schen Poli­tik gepräg­tes Pro­pa­gan­da­werk ist, hat­te schon der Exil­li­te­ra­tur­for­scher Hans-Albert Wal­ter her­vor­ge­ho­ben, der unter­halb der rea­lis­ti­schen Schil­de­rung des Emi­gran­ten­le­bens in Mar­seil­le einen mythi­schen Sub­text nach dem Vor­bild der Odys­see offen­leg­te. »Den Ereig­nis­sen des 20. Jahr­hun­derts«, schrieb Wal­ter, »expli­zit poli­ti­schen Ereig­nis­sen, den Gestal­ten, die hart am Wind von Krieg und Appease­ment, ›Rus­sen­pakt‹ und Faschis­mus segeln, ist in frei­er Nach­schöp­fung eine mythi­sche Dimen­si­on so unter­legt wor­den, daß psy­cho­lo­gi­sche Glaub­wür­dig­keit und ästhe­ti­sche Wahr­schein­lich­keit kei­nen Scha­den neh­men, daß aber auch der nai­ve Leser sich nicht irri­tiert füh­len kann.«66 Der in der Edi­ti­on Film­mu­se­um wie­der­ver­öf­fent­lich­te Film­essay Flucht­weg nach Mar­seil­le von Inge­mo Eng­ström und Ger­hard Theu­ring aus dem Jah­re 1977 rekur­riert in Rezi­ta­ti­ons­pas­sa­gen mit dem Katha­ri­na Thal­bach und Rüdi­ger Vog­ler auf Tran­sit und ver­webt Erin­ne­run­gen von Zeitzeug*innen wie Ruth Fabi­an, Peter Gin­gold, Alfred Kan­to­ro­wicz, Ernst Erich Noth, Ida und Vla­di­mir Poz­ner mit doku­men­ta­ri­schem Film­ma­te­ri­al und zeit­ge­nös­si­schen Auf­nah­men von Städ­ten und Land­schaf­ten der Erzäh­lung. »Prin­zip des Fort­schrei­tens und Ent­de­ckens ist die beweg­te und spre­chen­de Pho­to­gra­phie«, heißt es im Film-Boo­k­­let. Der Film endet mit dem Bild einer unbe­kann­ten Résis­­tance-Kämp­­fe­rin. Sie starb durch Kopf­schuß am 1. August 1944, am sel­ben Tag wie der Schrift­stel­ler Jean Pré­vost. Bei­de kämpf­ten im Maquis des Ver­cors. Den Land­schaf­ten der Résis­tance ist die­ser Film gewid­met.«67 Der Film und die Begleit­tex­te sind zeit­ty­pi­sche Doku­men­te der 1970er Jah­re, in denen die in der Bun­des­re­pu­blik maß­ge­ben­de Zeit­schrift Film­kri­tik die Essay­is­tik von Jean-Luc Godard und Wal­ter Ben­ja­min ver­band. In Refor­mu­lie­rung von Ben­ja­mins Auf­satz »Der Autor als Pro­du­zent« schrie­ben Eng­ström und Theu­ring 1978 in einem Arti­kel für die Zeit­schrift: »Der Ort des Intel­lek­tu­el­len in der Résis­tance ist nur auf­grund sei­ner Stel­lung im Pro­duk­ti­ons­pro­zeß fest­zu­stel­len oder bes­ser zu wäh­len.«68 Als »Agen­ten der Erin­ne­rung« folg­ten sie, wie Kraft Wet­zel in einer Rezen­si­on 1977 schrieb, »den Sta­tio­nen der Flucht und des Exils der Jah­re 1940/41«: »Auf der Spur von Fotos, Wochen­schau­en, Tex­ten woll­ten sie die längst ver­schüt­te­te Erin­ne­rung an damals wach­ru­fen.« Den kon­kre­ten Bezug zur poli­ti­schen Gegen­wart ver­miss­te Wet­zel jedoch am Film. Exil gel­te Eng­ström und Theu­ring, monier­te Wet­zel, »nicht als his­to­ri­scher Aus­nah­me­zu­stand, son­dern als poli­ti­scher und exis­ten­ti­el­ler Grund­zu­stand unter den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen«. Sie begrif­fen sich selbst als »exi­lier­te Fil­me­ma­cher im eige­nen Land«.69 Tat­säch­lich aber ist »Exil« kei­nes­wegs ein »his­to­ri­scher Aus­nah­me­zu­stand«, son­dern tat­säch­lich ein zuneh­mend exis­ten­zi­el­ler Grund­zu­stand, wie auch Richard Gree­man in sei­nem Vor­wort zu Ser­ges Roman der »letz­ten Zei­ten« unter­streicht. Etwa 65 Mil­lio­nen Men­schen flie­hen, schreibt Gree­man vor Tyran­nei­en, Bür­ger­krie­gen, Hun­ger und öko­lo­gi­schen Kata­stro­phen, und Ser­ges apo­ka­lyp­tisch anmu­ten­der Roman­ti­tel erin­ne­re an die immer stei­gen­de Gefahr der nuklea­ren oder öko­lo­gi­schen Aus­lö­schung der Mensch­heit.70 Aber bis­lang ist die Uhr noch nicht abge­lau­fen. © Jörg Auberg 2023 Biblio­gra­fi­sche Anga­ben: Jean Mala­quais. Pla­net ohne Visum. Aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt und mit einem Nach­wort ver­se­hen von Nadi­ne Püschel. Ham­burg: Edi­ti­on Nau­ti­lus, 2022. 661 Sei­ten, 32 Euro. ISBN: 978–3‑96054–294‑0. Jean Mala­quais. Pla­net ohne Visum. Aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt und mit einem Nach­wort ver­se­hen von Nadi­ne Püschel. Frankfurt/Main: Bücher­gil­de Guten­berg, 2023. 661 Sei­ten, 32 Euro. ISBN: 978–3‑7632–7451‑2. Vic­tor Ser­ge. Last Times. Aus dem Fran­zö­si­schen über­setzt von Ralph Man­heim. Über­ar­bei­tet von Richard Gree­man. Mit einem Nach­wort her­aus­ge­ge­ben von Richard Gree­man. New York: New York Review Books, 2022. 416 Sei­ten, 19,95 US-Dol­lar. ISBN: 978–1‑6–8137–514–4. Julie Orrin­ger. Trans­at­lan­tic (The Flight Port­fo­lio). Lon­don: Dia­lo­gue Books, 2022. 576 Sei­ten, £ 9,99. ISBN: 978–0‑3–4999–415–4. Inge­mo Eng­ström und Ger­hard Theu­ring. Flucht­weg nach Mar­seil­le. 2 DVDs. BRD 1977. Eine Prä­sen­ta­ti­on der film & kunst GmbH. Mit einem 20seitigen Book­let. Mün­chen: Edi­ti­on Film­mu­se­um, 2023. 206 Minu­ten Lauf­zeit, 29,95 Euro. ISBN: 978–3‑95860–123‑9. Erich Maria Remar­que. Die Nacht von Lis­sa­bon. In der Fas­sung der Erst­aus­ga­be mit Anhang. Mit einem Nach­wort her­aus­ge­ge­ben von Tho­mas F. Schnei­der. Frankfurt/Main: Bücher­gil­de Guten­berg, ²2023. 384 Sei­ten, 24 Euro. ISBN: 978–3‑7632–7378‑2.   Bild­quel­len (Copy­rights) Cover Pla­net ohne Visum (Nau­ti­lus — Gestal­tung Olga Mach­ver­ko­va) © Edi­ti­on Nau­ti­lus Cover Pla­net ohne Visum (Bücher­gil­de — Gestal­tung Tho­mas Pradel) © Bücher­gil­de Guten­berg Cover World Wit­hout Visa © Right­WayUp Books (Wood­bridge, United King­dom) Cover Mala­quais Rebel­le © Cher­che midi Cover Last Times © New York Review Books Cover Trans­at­lan­tic © Dia­lo­gue Books Cover Die Nacht von Lis­sa­bon © Bücher­gil­de Guten­berg Cover Tran­sit © Bücher­gil­de Guten­berg Por­trät Jean Mala­quais © Tino Picos Cover Flucht­weg nach Mar­seil­le © Edi­ti­on Film­mu­se­um     Nach­wei­se Alfred Kan­to­ro­wicz, Exil in Frank­reich: Merk­wür­dig­kei­ten und Denk­wür­dig­kei­ten (Frankfurt/Main: Fischer, 1986), S. 7 ↩ Erich Maria Remar­que, Die Nacht von Lis­sa­bon, hg, Tho­mas F. Schnei­der (Frankfurt/Main: Bücher­gil­de Guten­berg, ²2023), S. 41 ↩ David Rous­set, zitiert in: Une Ville en Fuite: Mar­seil­le 1940–1942, hg. Jean-Lou­is Pari­sis (La Tour‑d’Aigues: Édi­ti­ons de l’Aube, 1992), S. 110 (EPUB-Aus­­­ga­­be) ↩ Remar­que, Die Nacht von Lis­sa­bon, S. 274–275 ↩ Kan­to­ro­wicz, Exil in Frank­reich, S. 218 ↩ Wal­ter Ben­ja­min, Gesam­mel­te Schrif­ten, Bd. IV, hg. Til­man Rex­roth (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1991), S. 359 ↩ Ben­ja­min, zitiert in den Anmer­kun­gen zu Gesam­mel­te Schrif­ten, Bd. IV, S. 992 ↩ Sieg­fried Kra­cau­er, Das Orna­ment der Mas­se (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1977), S. 13; Howard Eiland und Micha­el W. Jen­nings, Wal­ter Ben­ja­min: A Cri­ti­cal Life (Cam­bridge, MA: The Bel­knap Press of Har­vard Uni­ver­si­ty Press, 2014), S. 266 ↩ Sieg­fried Kra­cau­er, Das Orna­ment der Mas­se, S. 11 ↩ Leo Trotz­ki und André Bre­ton, »Für eine unab­hän­gi­ge revo­lu­tio­nä­re Kunst«, in: Bre­ton, Das Wei­te suchen: Essays, übers. Lothar Bai­er (Frankfurt/Main: Euro­päi­sche Ver­lags­an­stalt, 1981), S. 28 ↩ Miri­am Han­sen, »›With Skin and Hair‹: Kracauer’s Theo­ry of Film, Mar­seil­le 1940«, Cri­ti­cal Inquiry, 19, Nr. 3 (Früh­jahr 1993), S. 439, 444, 446 ↩ Ame­ri­cans and the Holo­caust: A Rea­der, hg. Dani­el Gree­ne und Edward Phil­lips (New Bruns­wick, NJ: Rut­gers Uni­ver­si­ty Press, 2022), S. 94 ↩ Vic­tor Ser­ge, Memoirs of a Revo­lu­tio­na­ry, übers. Peter Sedgwick und Geor­ge Pai­zis (New York: New York Review Books, 2012), S. 423 ↩ »France hails for­got­ten hero’s acts of cou­ra­ge«, The Guar­di­an, 3. April 1999, https://www.theguardian.com/world/1999/apr/03/8 ↩ Georg Lukács, Der his­to­ri­sche Roman, Pro­ble­me des Rea­lis­mus III, Band 6 (Neu­wied: Luch­ter­hand, 1965), S. 184 ↩ »Cyn­thia Ozick Reviews Julie Orringer’s ›The Flight Port­fo­lio‹«, New York Times, 2. Mai 2019, https://www.nytimes.com/2019/05/02/books/review/flight-portfolio-julie-orringer.html ↩ Julie Orrin­ger, Trans­at­lan­tic (Lon­don: Dia­lo­gue Books, 2019), EPUB-Aus­­­ga­­be, S. 129 ↩ Eiland und Jen­nings, Wal­ter Ben­ja­min: A Cri­ti­cal Life, S. 671 ↩ Sieg­fried Kra­cau­er, Geschich­te – Vor den letz­ten Din­gen, übers. Kars­ten Wit­te (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1971), S. 97 ↩ Geor­ges Roden­bach, Das tote Brüg­ge, übers. Fried­rich von Oppeln-Bro­­ni­­ko­w­­ski (1903; rpt. Ber­lin: Samm­lung Hof­en­berg, 2017), S. 10, EPUB-Aus­­­ga­­be ↩ Ben­ja­min, Gesam­mel­te Schrif­ten, Bd. I, hg. Rolf Tie­de­mann und Her­mann Schwep­pen­häu­ser (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1991), S. 695 ↩ Theo­dor W. Ador­no, Noten zur Lite­ra­tur, hg. Rolf Tie­de­mann (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1981), S. 292 ↩ Max Hork­hei­mer und Theo­dor W. Ador­no, »Das Sche­ma der Mas­sen­kul­tur«, in: Ador­no, Gesam­mel­te Schrif­ten, Bd. 3, hg. Rolf Tie­de­mann (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1981), S. 335 ↩ Harold Rosen­berg, The Tra­di­ti­on of the New (1960; rpt. New York: DaCa­po Press, 1994), S. 255 ↩ Joan­ne Lau­rier, »Trans­at­lan­tic: The Plight of Artists and Intellec­tu­als fle­e­ing the Nazis in 1940«, World Socia­list Web Site, 26. Mai 2023, https://www.wsws.org/en/articles/2023/05/27/bzss-m27.html ↩ Remar­que, Die Nacht von Lis­sa­bon, S. 275 ↩ Max Hork­hei­mer, »Neue Kunst und Mas­sen­kul­tur«, in: Hork­hei­mer, Gesam­mel­te Schrif­ten, Bd. 4, hg. Alfred Schmidt (Frankfurt/Main: Fischer, 1988), S. 425 ↩ Dani­el Gué­rin, Sur le fascis­me: La peste bru­ne – Fascis­me et grand capi­tal (Paris: La Décou­ver­te, 2001); Robert Zarets­ky, Vic­to­ries Never Last: Rea­ding and Care­gi­ving in a Time of Pla­gue (Chi­ca­go: Uni­ver­si­ty of Chi­ca­go Press, 2022), S. 120–148 ↩ Albert Camus, Die Pest, übers. Gui­do G. Meis­ter (Frankfurt/Main: Bücher­gil­de Guten­berg, 1965), S. 318 ↩ »Coro­­na-För­­der­­mi­t­­tel für rechts­extre­me Buch­pro­jek­te«, Deutsch­land­funk Kul­tur, 26. April 2023, https://www.deutschlandfunkkultur.de/kulturmilliarde-neustart-kultur-literatur-100.html ↩ Frau­ke Hamann, »›Mit einer Pis­to­le in Griff­wei­te geschrie­ben‹: Inter­view mit Nadi­ne Püschel«, taz, 19. April 2023, https://taz.de/!5926088/ ↩ https://edition-nautilus.de/programm/planet-ohne-visum/ ↩ Insa Wil­ke, »Staa­ten­los – Jean Mala­quais: ›Pla­net ohne Visum‹«, Süd­deut­sche Zei­tung, 28. Dezem­ber 2022 ↩ Fok­ke Joel, »›Pla­net ohne Visum‹ von 1947: Ver­rä­ter, Rene­ga­ten, Wider­ständ­ler«, taz, 5. Novem­ber 2022 ↩ Nadi­ne Püschl, Nach­wort zu Jean Mala­quais, Pla­net ohne Visum (Ham­burg: Edi­ti­on Nau­ti­lus, 2022), S. 654 ↩ Tho­mas Wört­che, »Einer der gro­ßen Roma­ne des 20. Jahr­hun­derts«, Cul­tur­mag, Febru­ar 2023, http://culturmag.de/crimemag/einer-der-grossen-romane-des-20-jahrhunderts/148417 ↩ Max Hork­hei­mer, »Auf­zeich­nun­gen und Ent­wür­fe zur Dia­lek­tik der Auf­klä­rung«, in: Hork­hei­mer, Gesam­mel­te Schrif­ten, Bd. 12, hg. Gun­ze­lin Schmid Noerr (Frankfurt/Main: Fischer, 1985), S. 272; Nan­cy Fraser, Can­ni­bal Capi­ta­lism (Lon­don: Ver­so: 2022), S. 164 ↩ »Cha­rac­ters Wit­hout Con­vic­tions«, New York Times, 23. Mai 1948 ↩ Orville Pres­cott, »Books of the Times«, New York Times, 21. Mai 1948 ↩ Nor­man Mailer, »Un Hom­mage à Jean Mala­quais«, in: Jean Mala­quais, Planè­te sans Visa (Paris: Édi­ti­ons Phé­bus, 1999; rpt. Édi­ti­ons Libret­to, 2009), S. 9 ↩ Peter Brooks, Balzac’s Lives (New York: New York Review Books, 2020), S. 21; Brooks, Hono­ré de Bal­zac: My Rea­ding (Oxford: Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2022), S. 18–19 ↩ Alfred Kazin, »New York Jew«, New York Review of Books, 19, Nr. 10 (14. Dezem­ber 1972), https://www.nybooks.com/issues/1972/12/14/ ↩ Chris­to­pher Hit­chens, »Inter­view with Nor­man Mailer«, New Left Review, I:222 (März-April 1997), S. 118–119 ↩ Mark Shech­ner, After the Revo­lu­ti­on: Stu­dies in the Con­tem­po­ra­ry Jewish Ame­ri­can Ima­gi­na­ti­on (Bloo­ming­ton: India­na Uni­ver­si­ty Press, 1987), S. 160–162 ↩ Dan La Botz, »Trans­at­lan­tic: Dra­ma­tic, Beau­tiful, and (Per­haps a Litt­le too Much) Fun«, New Poli­tics, 19, Nr. 3 (Som­mer 2023), S. 139 ↩ Léo Malet, Le cin­quiè­me pro­cé­dé (Paris: Édi­ti­ons Fleuve Noir, 2012), S. 59, EPUB-Aus­­­ga­­be; Über­set­zung: Léo Malet, Das fünf­te Ver­fah­ren, übers. Hans-Joa­­chim Hart­stein (Rein­bek: Rowohlt, 1997), S. 70 ↩ Gene­viè­ve Nakach, Mala­quais Rebel­le (Paris: Cher­che Midi, 2011), S. 163–166 ↩ Leo Trotz­ki, Mein Leben, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1929/leben/45-ohnevisum.htm ↩ »The Revo­lu­tio­na­ry Move­ment and the Second World War: Inter­view with Marc Chi­rik, 1985«, https://libcom.org/article/revolutionary-movement-and-second-world-war-interview-marc-chirik-1985 ↩ Mala­quais, Pla­net ohne Visum, S. 162 ↩ Mala­quais, Pla­net ohne Visum, S. 163–165 ↩ Mala­quais, Pla­net ohne Visum, S. 479 ↩ Mark Poliz­zot­ti, Revo­lu­ti­on of the Mind: The Life of André Bre­ton (Bos­ton: Black Widow Press, 2009), S. 563, EPUB-Aus­­­ga­­be ↩ Mit­chell Abi­dor, »World Wit­hout Escape«, Jewish Curr­ents, 7. Sep­tem­ber 2022, https://jewishcurrents.org/world-with-no-escape ↩ Vic­tor Ser­ge, Note­books 1936–1947, hg. Clau­dio Alber­ta­ni und Clau­de Rioux, übers. Mit­chell Abi­dor und Richard Gree­man (New York: New York Review Books, 2019), S. 249, 430, 445 ↩ Sus­an Weiss­man, Vic­tor Ser­ge: A Poli­ti­cal Bio­gra­phy (Lon­don: Ver­so, 2013), S. 343, EPUB-Aus­­­ga­­be ↩ Richard Gree­man, Ein­lei­tung zu: Vic­tor Ser­ge, Last Times, übers. Ralph Man­heim, rev. Richard Gree­man (New York: New York Review Books, 2022), S. xi, 390 ↩ Vic­tor Ser­ge, »Der pro­le­ta­ri­sche Huma­nis­mus«, in: Vic­tor Ser­ge, Schrift­stel­ler und Pro­le­ta­ri­er, übers. Gre­te Oster­wald, Archiv sozia­lis­ti­scher Lite­ra­tur 28 (Frankfurt/Main: Ver­lag Neue Kri­tik, 1977), S. 100–101 ↩ Gree­man, Ein­lei­tung zu: Vic­tor Ser­ge, Last Times, S. x‑xi ↩ Irving Howe, »Europe’s Night«, Par­ti­san Review, 14, Nr. 1 (Janu­ar-Febru­ar 1947), S. 94 ↩ Pierre Masson, »La sou­riciè­re et le refu­ge: Jean Mala­quais et Vic­tor Ser­ge, Visi­ons de la France vain­cue«, La Revue des let­t­res moder­nes, Nr. 8 (2021), S. 97–109 ↩ Insa Wil­ke, »Staa­ten­los – Jean Mala­quais: ›Pla­net ohne Visum‹«, Süd­deut­sche Zei­tung, 28. Dezem­ber 2022 ↩ Mala­quais, Pla­net ohne Visum, S. 130, 137 ↩ Lou Marin, »Ein der­ber Pla­net ohne Visum«, Gras­wur­zel­re­vo­lu­ti­on, Nr. 478 (April 2023), Bei­la­ge »Liber­tä­re Buch­sei­ten«, S. 6; Marin bezieht sich unter ande­rem auf eine por­no­gra­fi­sche Sze­ne nach dem Nazi-Ein­­marsch in Mar­seil­le: cf. Mala­quais, Pla­net ohne Visum, S. 583 ↩ Jean Mala­quais, Le Gaf­feur (Paris: Édi­ti­on L’Échappé, 2016); Gene­viè­ve Nakach, »Mala­quais, Du point d’ancrage au point de fuite«, in: Jean Mala­quais ent­re deux mon­des, hg. Gene­viè­ve Nakach und Juli­en Rou­met­te (Paris: Let­t­res Moder­nes Minard, 2017), S. 28–29; Juli­en Rou­met­te, »Mala­quais et Anna Seg­hers: Deux ésthe­ti­ques pour deux visi­ons poli­ti­ques de Mar­seil­le sous Vichy 1940–1942«, in: Jean Mala­quais ent­re deux mon­des, S. 94 ↩ Hans-Albert Wal­ter, Anna Seg­hers’ Meta­mor­pho­sen: Tran­sit – Erkun­dungs­ver­su­che in einem Laby­rinth (Frankfurt/Main: Bücher­gil­de Guten­berg, 1984), S. 92 ↩ Inge­mo Eng­ström und Ger­hard Theu­ring, Flucht­weg nach Mar­seil­le (Mün­chen: Edi­ti­on Film­mu­se­um, 2023), Book­let S. 2 ↩ Eng­ström und Theu­ring, Flucht­weg nach Mar­seil­le, Book­let S. 5 ↩ Kraft Wet­zel, »Film­re­gis­seu­re als Agen­ten der Erin­ne­rung«, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung, 17. Okto­ber 1977, wie­der­ab­ge­druckt in Flucht­weg nach Mar­seil­le, Book­let, S. 7–8 ↩ Gree­man, Ein­lei­tung zu: Vic­tor Ser­ge, Last Times, S. xiii ↩ […]
  • Blick zurück nach vornBlick zurück nach vorn5. Febru­ar 2023Blick zurück nach vorn  Eine Bücher­le­se des zurück­lie­gen­den Jah­res 2022  von Jörg Auberg The Beat Goes On u den ver­dienst­vol­len Unter­neh­mun­gen des Rowohlt-Ver­­la­­ges gehört die Pfle­ge des »klas­si­schen Erbes« im sonst vor­nehm­lich auf Pro­fit und Ren­di­te aus­ge­rich­te­ten Holt­z­­brinck-Kon­­­zern. Seit Jah­ren wer­den Wer­ke von Autoren, wel­che die »Mar­ke« Rowohlt im deut­schen Ver­lags­we­sen unter der Ägi­de von Ernst Rowohlt und sei­nes Nach­fol­gers Hein­rich Maria Ledig-Rowohlt ent­schei­dend präg­ten, kon­ti­nu­ier­lich in einer zeit­ge­mä­ßen Über­tra­gung neu über­setzt. Neben Roma­nen von Reprä­sen­tan­ten der »klas­si­schen Moder­ne« wie Ernest Heming­way, John Dos Pas­sos und Lou­is-Fer­­di­nand Céli­ne betrifft dies auch Bücher von Jack Kerouac, dem »König der Beats« (wie ihn sein Bio­graf Bar­ry Miles titu­lier­te). In den 1960er und 1970er Jah­ren wur­den Kerou­acs Tex­te bei Rowohlt häu­fig mit Pulp-Fic­­ti­on-Titel wie »Bebop, Bars und wei­ßes Pul­ver« oder »Gamm­ler, Zen und hohe Ber­ge« ver­trie­ben. Inzwi­schen scheint sich selbst im Ver­lags­mar­ke­ting eine gewis­se Serio­si­tät durch­ge­setzt zu haben. In den spä­te­ren Roma­nen nach sei­nen Erfol­gen als Beat-Autor mit den Wer­ken On the Road (1957) und The Sub­ter­ra­ne­ans (1958) kon­tras­tier­te Kerouac die hek­ti­sche Urba­ni­tät der spä­ten 1950er Jah­ren in Metro­po­len wie New York und San Fran­cis­co mit einem »post­mo­der­nen« Tran­szen­den­ta­lis­mus, in dem Natur­ver­bun­den­heit und bud­dhis­ti­sche Reli­gio­si­tät domi­nier­ten und die anti­po­li­ti­sche Hal­tung der Hip­­pie-Gegen­­­kul­­tur der 1960er Jah­re vor­weg genom­men wur­den. Sowohl The Dhar­ma Bums (1958) als auch Deso­la­ti­on Angels (1965) nut­zen den Stil des lan­gen Pro­­sa-Gedichts, um in Form des Memoi­­ren-Romans die Bea­t­­nik-Erfah­rung (reprä­sen­tiert von Kerouac als Erzäh­ler und zeit­ge­nös­si­schen Cha­rak­te­ren wie Gary Sny­der, Allen Gins­berg, Neal Cass­idy, Ken­neth Rex­roth, Caro­lyn Cas­sa­dy, Micha­el McClure und ande­ren) in einer rhap­so­dischen Lite­ra­tur­form als zeit­ge­nös­si­sche ame­ri­ka­ni­sche Mytho­lo­gi­sie­rung des Proust’schen Ver­suchs des Fest­hal­tens der Erin­ne­rung einer ver­lo­re­nen Zeit dar­zu­stel­len. Jack Kerouac. Die Dhar­­ma-Jäger. Ori­gi­nal: The Dhar­ma Bums (1958). Über­setzt von Tho­mas Über­hoff. Ham­burg: Rowohlt, 2022. 288 Sei­ten, 24 Euro. ISBN: 978–3‑498–03587‑7. Jack Kerouac. Engel der Trüb­sal. Ori­gi­nal: Deso­la­ti­on Angels (1965). Über­setzt von Jan Schön­herr. Ham­burg: Rowohlt, 2022. 528 Sei­ten, 26 Euro. ISBN: 978–3‑498–03586‑0. n sei­ner Stu­die The Beats in Mexi­co unter­sucht David Ste­phen Calon­ne die Fas­zi­na­ti­on, die Mexi­ko auf zahl­rei­che Autoren und Autorin­nen der Beat Gene­ra­ti­on aus­üb­te. Für Jack Kerouac stell­te das »magi­sche Land« eine Aus­deh­nung der ame­ri­ka­ni­schen »fron­tier« jen­seits der kapi­ta­lis­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Begren­zun­gen dar, wäh­rend es für Wil­liam Bur­roughs ein zeit­wei­ser Zufluchts­ort vor der Ver­fol­gung poli­zei­li­cher und juris­ti­scher US-Behör­­den war. Daüber hin­aus ana­ly­siert Calon­ne die Bedeu­tung  Mexi­kos im gegen­kul­tu­rel­len Ent­wurf von Beat-Autoren und Beat-Autorin­­nen wie Law­rence Fer­lin­ghet­ti, Allen Gins­berg, Micha­el McClure, Bon­nie Brem­ser und Mar­ga­ret Rand­all, wobei er auch das indi­ge­ne Erbe der Mayas und Azte­ken, den Scha­ma­nis­mus und den Ein­satz »bewusst­seins­er­wei­tern­der Dro­gen« wie Pey­o­te ein­be­zieht. David Ste­phen Calon­ne. The Beats in Mexi­co. New Bruns­wick: Rut­gers Uni­ver­si­ty Press, 2022. 290 Sei­ten, 29,95 US-$. ISBN: 978–1‑978–82872‑8. m reani­mier­ten Ver­lag Black Spar­row Press ver­öf­fent­lich­te Nee­li Cher­kov­ski eine erwei­ter­te Fas­sung sei­ner teil­weil­se sehr per­sön­lich gehal­te­nen Bio­gra­fie über den Dich­ter und Ver­le­ger Law­rence Fer­lin­ghet­ti, der nach einem Stu­di­um an der Pari­ser Sor­bon­ne in San Fran­cis­co zunächst den Buch­la­den City Lights eröff­ne­te und 1954 den bis heu­te bestehen­den Ver­lag City Lights Books, in der neben klas­si­schen Beat-Wer­ken auch poli­ti­sche Bücher von Howard Zinn, Noam Chom­sky und Hen­ry A. Giroux ver­legt wer­den. Fer­lin­ghet­ti und City Lights Books sind wie Frank Nor­ris’ McTeague oder Jack Lon­dons Fris­co Kid unaus­lösch­li­cher Teil der kul­tu­rel­len Ima­gi­na­ti­on San Fran­cis­cos. Nee­li Cher­kov­ski. Fer­lin­ghet­ti: A Life. Bos­ton: Black Spar­row Press, 2022. 272 Sei­ten, 18,95 US-$. ISBN: 978–1‑57423–259‑2. er Dich­ter Harold Nor­se ist in ers­ter Linie für sei­nen Bericht über das angeb­lich »ver­laus­te« und von Kaker­la­ken heim­ge­such­te »Beat Hotel« in der Pari­ser Rue Git-Le-Coeur bekannt. In dem von A. Robert Lee und Dou­glas Field her­aus­ge­ge­be­nen Band Harold Nor­se: Poet Maverick, Gay Lau­rea­te wird Nor­se der lite­ra­ri­schen Obsku­ri­tät ent­ris­sen und sowohl in sei­nen ver­schie­de­nen Facet­ten als Beat-Dich­­ter und Akti­vist im Gay Libe­ra­ti­on Move­ment in den spä­ten 1960er Jah­ren por­trä­tiert. Selbst von Beat-Lau­­re­a­­ten wie Law­rence Fer­lin­ghet­ti wur­de Nor­ses Ori­gi­na­li­tät in Abre­de gestellt: Er habe eine eige­ne Stim­me gehabt, schrieb sein Ver­le­ger Fer­lin­ghet­ti, doch habe er sich viel­fach zum Sprach­rohr ande­rer Dich­ter gemacht. In einem Gedicht konn­te er wie T. S. Eli­ot klin­gen, in einem ande­ren wie­der­um wie Wil­liam Bur­roughs. In die­ser Sicht­wei­se war er der Zelig der Beat Gene­ra­ti­on. Die ver­schie­de­nen Bei­trä­ge der Antho­lo­gie posi­tio­nie­ren Nor­se jedoch im Kon­text der post­mo­der­nen Avant­gar­de der 1960er Jah­re mit ihren Cut-Up-Expe­ri­­men­­ten (wie sie vor allem von Bur­roughs und Bri­on Gysin vor­an­ge­trie­ben wur­den) und der »Mimeo Revo­lu­ti­on«, die einer Viel­zahl klei­ner Zeit­schrif­ten in bil­li­gen Ver­viel­fäl­ti­gungs­tech­ni­ken den tra­di­tio­nel­len Publi­ka­ti­ons­weg über Ver­la­ge und Zeit­schrif­ten­kon­zer­ne erspar­te. A. Robert Lee und Dou­glas Field (Hgg.). Harold Nor­se: Poet Maverick, Gay Lau­rea­te. Clem­son: Clem­son Uni­ver­si­ty Press, 2022. 304 Sei­ten, 83,60 UK-£. ISBN: 978–1‑63804–016‑3. bwohl die Beats in den spä­ten 1950er Jah­ren von wei­ten Tei­len der US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Kul­tur­in­dus­trie gefei­ert und hofiert wur­den, begeg­ne­te ihm die intel­lek­tu­el­le Eli­te größ­ten­teils mit Arg­wohn, wenn nicht mit Feind­se­lig­keit. Wäh­rend sie in Nor­man Mailer einen Für­spre­cher und eta­blier­ten Intel­lek­tu­el­len wie Alfred Kazin und Irving Howe kri­ti­sche Kom­men­ta­to­ren ihrer Akti­vi­tä­ten hat­ten, beschrieb sie Nor­man Podho­retz in sei­nem berüch­tig­ten Essay »The Know-Not­hing Bohe­mi­ans« als Reprä­sen­tan­ten einer auf Anti­in­tel­lek­tua­lis­mus und Gewalt fixier­ten Cli­que kul­tu­rel­ler Hoo­li­gans. In sei­nen spä­ten Jah­ren mach­te der von Alko­ho­lis­mus und Erfolg­lo­sig­keit gebeu­tel­te Jack Kerouac wähn­te er eine  »jüdi­sche lite­ra­ri­sche Mafia« am Wer­ke, die sei­ne lite­ra­ri­schen Anstren­gun­gen hin­ter­häl­tig unter­mi­nier­te. Wie Josh Lam­bert in sei­ner Stu­die The Lite­ra­ry Mafia her­aus­stellt, war in den 1960er und 1970er Jah­ren die Vor­stel­lung einer »lite­ra­ri­schen Mafia« omni­prä­sent: Selbst bekann­te Autoren wie Mario Puzo und Tru­man Capo­te oder der Medi­en­künst­ler Richard Kos­te­la­netz sahen sich von einem jüdisch domi­nier­ten, nepo­tis­tisch agie­ren­den Zir­kel von Publi­zis­ten, Kri­ti­kern, Her­aus­ge­bern und Lek­to­ren umge­ben, der als »lite­ra­ri­scher Mob« dar­über wach­te, wer Zugang zu Ver­la­gen und Medi­en beka­men oder wer aus­ge­sperrt blieb. An die Stel­le des Begrei­fens, wie die­se lite­ra­ri­schen Agen­tu­ren in einem kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tem der Ver­brei­tung und Ver­wer­tung arbei­te­ten und funk­tio­nier­ten, setz­ten sich anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­theo­rien. Wie Lam­bert her­aus­stellt, kommt es in einer lite­ra­ri­schen Kul­tur dar­auf an, wer Ein­fluss gewin­nen und stra­te­gisch wich­ti­ge Posi­tio­nen beset­zen kann. Dies ist in ers­ter Linie von öko­no­mi­schen Fak­to­ren abhän­gig. Das Gebil­de einer »lite­ra­ri­schen Mafia« ist daher eher »Spuk« denn real in der Gesell­schaft vor­han­den. Josh Lam­bert. The Lite­ra­ry Mafia. Jews, Publi­shing, and Post­war Ame­ri­can Lite­ra­tu­re. New Haven: Yale Uni­ver­si­ty Press, 2022. 272 Sei­ten, 35 US-$. ISBN: 978–0‑30025–142‑5. Lite­ra­tur & Erfah­rung n Come Back in Sep­tem­ber, sei­nen Erin­ne­run­gen an sei­ne »lite­ra­ri­schen Lehr­jah­re« in den frü­hen 1970er Jah­ren, reka­pi­tu­liert Dar­ryl Pink­ney die Span­nun­gen zwi­schen dem »jüdi­schen lite­ra­ri­schen Estab­lish­ment« New Yorks und den auf­stre­ben­en­den, nach Krea­ti­vi­tät und Aner­ken­nung suchen­den afro-ame­ri­­ka­­ni­­schen Stu­den­ten, die wie Jack Lon­dons Figur Mar­tin Eden aus beeng­ten Ver­hält­nis­sen der Vor­her­seh­bar­keit aus­bre­chen und eine Welt sich erschrei­ben woll­ten. Im Herbst 1973 schrieb sich Pinck­ney im Kurs »Crea­ti­ve Wri­ting« am Bar­nard Col­lege bei der domi­nan­ten Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin und Schrift­stel­le­rin Eliza­beth Hard­wick ein, über die er die Initia­ti­on in das New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len­mi­lieu und Zugang zu wich­ti­gen Medi­en wie der New York Review of Books als auch zu ihren Mache­rIn­nen wie Robert Sil­vers, Bar­ba­ra Epstein, Mary McCar­thy und Sus­an Son­tag. Zugleich war er in die poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Strö­mun­gen der 1970er und 1980er Jah­re — in die Zei­ten der Eman­zi­pa­ti­on, des Auf­bruchs und des Roll­backs — invol­viert und reflek­tiert sich in der auto­bio­gra­fi­schen Retro­spek­ti­ve als intel­lek­tu­el­ler Autor, der die letz­ten Momen­te eines »gol­de­nen Zeit­al­ters« in New York erleb­te, ehe die »guten, alten Zei­ten« der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len von den Mas­ke­ra­den von Raub­tier­ka­pi­ta­lis­ten wie Donald Trump, wel­che die New Yor­ker Welt von Hoch­fi­nanz, Enter­tain­ment und Poli­tik (wie die Jour­na­lis­tin Mag­gie Haber­man in ihrer Trump-Bio­­­gra­­fie Con­fi­dence Man schrieb) in einem prä­fa­schis­ti­schen Mer­ger ein­schmol­zen, von den Wel­len eines auto­ri­tä­ren »Popu­lis­mus« fort­ge­schwemmt wur­den. Dar­ryl Pinck­ney. Come Back in Sep­tem­ber: A Lite­ra­ry Edu­ca­ti­on on West Six­­ty-Seventh Street, Man­hat­tan. Lon­don: Riverrun/Quercus, 2022. 421 Sei­ten, 30 UK-£. ISBN: 978–1‑52942–604‑5. n sei­ner Lis­te der bes­ten Bücher des Jah­res 2022 posi­tio­niert das New Yor­ker Maga­zin Vul­tu­re Peter Brooks’ Buch Sedu­ced by Sto­ry an neun­ter Stel­le. In die­ser elo­quen­ten wie intel­li­gen­ten Abhand­lung über den Gebrauch und Miss­brauch des »Nar­ra­tivs« (wie es nun zur Flos­kel der kul­tur­in­dus­tri­el­len Mund­stü­cke der sozia­li­sier­ten Halb­bil­dung gewor­den ist) beschäf­tigt sich der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Brooks mit einer Welt, die vom »Nar­ra­tiv« über­nom­men wur­de. In der »All­ge­gen­wart des ent­frem­de­ten Geis­tes« (wie sie Theo­dor W. Ador­no in sei­ner »Theo­rie der Halb­bil­dung« beschrieb) wird das »Sto­rytel­ling« zur obe­ren Maxi­me, wobei es nicht mehr — wie bei Wil­liam Faul­k­ner oder Wal­ter Ben­ja­min — um die Infra­ge­stel­lung von rea­lis­ti­schen Kon­ven­tio­nen geht, son­dern um die fal­sche Dra­pie­rung des Geschicht­li­chen durch die »Geschich­ten­ma­che­rei«. Im media­len Zir­kus, in dem das »Nar­ra­tiv« als Gegen­mit­tel zu Kogni­ti­on und Erkennt­nis ein­ge­setzt wird und den Stra­te­gien der Ver­här­tung und Ver­schleie­rung die­nen soll, fin­det eine Ent­wer­tung der kri­ti­schen Werk­zeu­ge statt, unter­streicht Brooks, wäh­rend auto­ri­tä­re Falsch­mün­zer in ihren diver­sen Mas­ke­ra­den des »Con­fi­dence Man« die toxi­schen Geschäf­te des »gesell­schaft­li­chen Unwe­sens« (Ador­no) betrei­ben. Peter Brooks. Sedu­ced by Sto­ry: The Use and Abu­se of Nar­ra­ti­ve. New York: New York Review Books, 2022. 176 Sei­ten, 17,95 US-$. ISBN: 978–1‑68137–663‑9. n einer Kri­tik zu Isaac Bas­he­vis Sin­gers post­hu­men Essay­band Old Truths and New Cli­chés wies Adam Kirsch in der New Yor­ker Wochen­zei­tung The Nati­on (4. Okto­ber 2022) auf die lebens­lan­ge Iden­ti­tät des Nobel­preis­trä­gers als »Zei­tungs­mensch« hin, die sein Den­ken über das Wesen von Lite­ra­tur präg­te: Nach sei­ner Maxi­me war ein Text, der sei­ne Leser:innen lang­weil­te, wert­los. In ers­ter Linie begriff sich Sin­ger als tra­di­tio­nel­ler »Geschich­ten­er­zäh­ler«, der für den Moder­nis­mus wenig übrig hat­te. In sei­ner Vor­stel­lung war selbst Geor­ge Orwells 1984 »nicht wirk­lich Lite­ra­tur«. Im Titel­es­say aus dem Jah­re 1967 kon­sta­tiert er, dass Kunst (in ihrer moder­nen Aus­drucks­form von Joy­ce, Kaf­ka oder der abs­trak­ten Male­rei und Lyrik) von der äuße­ren Rea­li­tät erschöpft sei. Der Band ver­sam­mel­te neun­zehn Essays Sin­gers, die sich mit den lite­ra­ri­schen Küns­ten, aber auch mit Fra­gen des jüdi­schen Lebens und per­sön­li­chen phi­lo­so­phi­schen Fra­ge­stel­lun­gen beschäf­ti­gen. Wie Adam Kirsch in sei­nem Essay unter­strich, gehör­ten sowohl Sin­gers Figur »Gim­pel, der Narr« aus der alten Welt wie auch Saul Bel­lows kon­ser­va­ti­ve Intel­­lek­­tu­el­­len-Gestalt Her­zog aus der ehe­mals neu­en Welt zu den Abkömm­lin­gen von Fjo­dor Dos­to­jew­skis »bril­lan­ten Neu­ro­ti­kern«.  David Strom­berg (Hg.). Old Truths and New Cli­chés: Essays by Isaac Bas­he­vis Sin­ger. Prince­ton: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2022. 248 Sei­ten, 24,95 US-$. ISBN: 978–0‑69121–763‑5. In ihrem lei­den­schaft­li­chen Buch Papy­rus schreibt die spa­ni­sche Phi­lo­lo­gin Ire­ne Val­le­jo ihre Ver­si­on der »Geschich­te der Welt in Büchern«. »Das Buch«, kon­sta­tiert sie in ihrer Ein­lei­tung, »hat sich im Lau­fe der Zeit bewährt, es hat sich sich als Lang­stre­cken­läu­fer erwie­sen.« Sie taucht in die tie­fe­ren Schich­ten der Biblio­phi­lie der Zivi­li­sa­ti­on, begon­nen bei den grie­chi­schen und römi­schen Kul­tu­ren, um den »ero­ti­schen und lite­ra­ri­schen Reso­nanz­raum des Mythos« biblio­phi­ler Uto­pien von Alex­an­dria und ande­ren Orten odys­see­ischer Fan­ta­sien zu erfah­ren. Am Ende ist die Illu­si­on para­die­si­cher Zustän­de jen­seits des Alterns, der Krank­hei­ten, Pro­sta­ta­pro­ble­me oder seni­len Demenz so falsch wie die im gesell­schaft­li­chen Unwe­sen beschwo­re­ne Wich­tig­keit des Buches. Letzt­lich ist — mit Ador­no gespro­chen — die Phi­lo­lo­gie »ver­schwo­ren mit dem Mythos: sie ver­sperrt den Aus­weg«.        Ire­ne Val­le­jo. Papy­rus: Die Geschich­te der Welt in Büchern. Über­setzt von Maria Mei­nel und Luis Ruby. Zürich: Dio­ge­nes, 2022. 752 Sei­ten, 28 Euro. ISBN: 978–3‑257–07198‑6. Geschich­te & Erzäh­lung n sei­ner Intel­lek­tu­el­len­ge­schich­te Hei­mat Welt­büh­ne beschreibt Alex­an­der Gal­lus den Exil-Her­aus­­ge­­ber der Zeit­schrift Die Welt­büh­ne Her­mann Bud­zis­law­ski als Erfül­lungs­ge­hil­fes der sta­li­nis­ti­schen »Ein­heits­front«, der nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges in den Jah­ren 1967 bis 1971 als Chef­re­dak­teur der DDR-Zei­t­­schrift Die Welt­büh­ne die poli­ti­schen Prä­mis­sen der SED kri­tik­los über­nahm. In sei­ner Stu­die Hin­ter der Welt­büh­ne: Her­mann Bud­zis­law­ski und das 20. Jahr­hun­dert wen­det sich Dani­el Sie­mens gegen das vor­herr­schen­de »Nar­ra­tiv«, in dem ost­deut­sche Intel­lek­tu­el­le vor­wie­gend in »Defi­­zit-Bio­­­gra­­fi­en« abge­han­delt wer­den, wobei bes­ten­falls von »fehl­ge­lei­te­tem Idea­lis­mus und poli­ti­scher Zäh­mung« die Rede ist. »Die Geschich­te von Her­mann Bud­zis­law­ski und sei­nem Kampf um die Welt­büh­ne ist letzt­lich eine Vari­an­te der all­ge­mei­nen Pro­blem­la­ge von poli­ti­scher Macht und intel­lek­tu­el­ler Mög­lich­keit«, schreibt Sie­mens in sei­ner Ein­lei­tung. »Bud­zis­law­ski ver­kör­per­te eine extre­me, poli­tik­na­he Posi­ti­on in die­sem Span­nungs­feld, wäh­rend Kurt Tuchol­sky für die gegen­ge­setz­te Opti­on stand, die des sich von Par­tei­aus­ein­an­der­set­zun­gen abseits hal­ten­den Intel­lek­tu­el­len.« Damit ver­engt und sim­pli­fi­ziert Sie­mens jedoch die Intel­lek­tu­el­len­ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts, da er die Wahl­mög­lich­keit des Intel­lek­tu­el­len auf Anpas­sung oder Abseits redu­ziert, ohne die poli­ti­schen Inhal­te von Anti­fa­schis­mus, Mar­xis­mus, Auto­ri­ta­ris­mus und kri­ti­scher Theo­rie im Zeit­al­ter von Mas­sen­ver­nich­tung, ato­ma­rer Bewaff­nung und Öko­lo­gie in Betracht zu zie­hen. Dass Bud­zis­law­ski im Gegen­satz zu ande­ren Köp­fen der Welt­büh­ne wie Carl Ossietz­ky und Kurt Tuchol­sky kaum in der geschicht­li­chen Erin­ne­rung ver­an­kert ist, liegt ver­mut­lich auch an sei­ner extre­men Zeit­ge­bun­den­heit, über die hin­aus er den Nach­ge­bo­re­nen intel­lek­tu­ell nichts hin­ter­ließ. Dani­el Sie­mens. Hin­ter der Welt­büh­ne: Her­mann Bud­zis­law­ski und das 20. Jahr­hun­dert. Ber­lin: Auf­bau Ver­lag, 2022. 413 Sei­ten, 28 Euro. ISBN: 978–3‑351–03812‑0. n sei­ner schma­len Stu­die Poli­tics and Lite­ra­tu­re at the Dawn of World War II unter­sucht der eme­ri­tier­te Anglist James A. W. Hef­fer­n­an den Ein­fluss des Zwei­ten Welt­krie­ges und sei­ner Vor­ge­schich­te in Euro­pa und Nord­ame­ri­ka auf die intel­lek­tu­el­le und lite­ra­ri­sche Pro­duk­ti­on von Intel­lek­tu­el­len, Schrift­stel­lern und Dich­tern wie Phil­ip Rahv, Ernest Heming­way, Mar­tha Gell­horn, W. H. Auden und Ber­tolt Brecht. Dabei fokus­siert er sei­nen Blick auf die poli­ti­schen Ereig­nis­se in Euro­pa, die der Kata­stro­phe vor­an­gin­gen (der Spa­ni­sche Bür­ger­krieg oder die Annek­ti­on der Tsche­cho­slo­wa­kei), und die epi­sche Umset­zung von Geschich­te in Erzäh­lung. Gra­ham Gree­nes Urteil, dass Heming­ways For Whom the Bell Tolls »wah­rer als Geschich­te« sei, ist mehr als frag­wür­dig. Hef­fer­n­an hin­ter­fragt (vor dem aktu­el­len Hin­ter­grund des Ukrai­­ne-Krie­­ges) die his­to­ri­sche Ver­läss­lich­keit der lite­ra­ri­schen »Ver­ar­bei­tun­gen«, die den jewei­li­gen geschicht­licht­li­chen und emo­tio­na­len Sen­si­bi­li­tä­ten der Zeit geschul­det waren. Die »Tex­te« ber­gen so eige­ne »Wahr­hei­ten« in sich.  James A. W. Hef­fer­n­an. Poli­tics and Lite­ra­tu­re at the Dawn of World War II. Lon­don: Bloomsbu­ry Aca­de­mic, 2022. 216 Sei­ten, 115 US-$. ISBN: 978–1‑350–32495‑4. n Zei­ten des Krie­ges und der fort­schrei­ten­den Mili­ta­ri­sie­rung des öffent­li­chen Dis­kur­ses erscheint die Geschich­te des US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Pazi­fis­mus im Zwei­ten Welt­krieg War by Other Means zum rich­ti­gen Zeit­punkt. Anhand von vier exem­pla­ri­schen Bio­gra­fien von David Del­lin­ger, Doro­thy Day, Bayard Rus­tin und Dwight Mac­do­nald schil­dert der Jour­na­list Dani­el Akst die ver­schie­de­nen Facet­ten und Beweg­grün­de der dama­li­gen Kriegs­geg­ner, die sich ange­sichts des bedroh­li­chen Sie­ges­zu­ges des inter­na­tio­na­len Faschis­mus, des Holo­causts und der Mög­lich­keit der nuklea­ren Exter­mi­na­ti­on nicht nur in poli­ti­scher Hin­sicht per­ma­nent unter Druck stan­den, son­dern auch mora­lisch: Mit wel­cher Berech­ti­gung konn­te man sich dem »guten Krieg« gegen die dämo­ni­schen Kräf­te des Faschis­mus wider­set­zen? Aksts The­se ist, dass weni­ger die poli­ti­sche Oppo­si­ti­on der Pazi­fis­ten im Zwei­ten Welt­krieg ent­schei­dend war, son­dern ihr Enga­ge­ment und ihre oft reli­gi­ös moti­vier­te Hin­ga­be, die gesam­te Exis­tenz in die Waag­scha­le zu wer­fen, um gegen das von ihnen ange­pran­ger­te Unrecht zu oppo­nie­ren. Die­se radi­ka­le Hal­tung, die ohne Rück­sicht auf sich selbst auch Aus­gren­zun­gen und Haft­straf­ten in Kauf nahm, ist für Akst der Motor, der auch auf die spä­te­re Bür­­ger­­rechts- und Anti­kriegs­be­we­gung in den 1950er und 1960er Jah­ren ent­schei­dend. Die­se The­se ist nicht ganz schlüs­sig: Zwar wirk­ten in die­sen Bewe­gun­gen Del­lin­ger und Rus­tin als füh­ren­de Figu­ren mit, doch der Ein­fluss von Doro­thy Day »Catho­lic Worker«-Bewegung und die wech­seln­den poli­ti­schen Bekennt­nis­se des New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len Dwight Mac­do­nald blieb eher mar­gi­nal. Den­noch ist Aksts Buch ein wich­ti­ger Bei­trag zur kri­ti­schen Selbst­ver­ge­wis­se­rung in einer »Zei­ten­wen­de«, da Gewalt wie­der zum zen­tra­len Momen­tum der Poli­tik gewor­den ist. Dani­el Akst. War by Other Means: How the Paci­fists of WWII Chan­ged Ame­ri­ca for Good. Brook­lyn und Lon­don: Mel­ville House, 2022. 368 Sei­ten, 28,99 US-$. ISBN: 978–1‑612–19924‑5 © Jörg Auberg 2023                                                                                               […]
  • Die Masken des GeniesDie Mas­ken des Genies6. Dezem­ber 2022Die Mas­ken des Genies Tho­mas Manns Exil­jah­re in Prince­ton und Kali­for­ni­en von Jörg Auberg In sei­ner Apho­ris­men­samm­lung Mini­ma Mora­lia insis­tier­te Theo­dor W. Ador­no, dass jeder Intel­lek­tu­el­le in der Emi­gra­ti­on aus­nahms­los beschä­digt sei und sich per­ma­nent die­ser Beschä­di­gung bewusst sein müs­se. »Er lebt in einer Umwelt, die ihm unver­ständ­lich blei­ben muß, auch wenn er sich in den Gewerk­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen oder dem Auto­ver­kehr noch so gut aus­kennt; immer­zu ist er in der Irre.«1 In der neu­en Umge­bung hat­te der Emi­grant (wie Gün­ther Anders schrieb) »sein Lebens­mi­ni­mum zu erja­gen, als da sind: ein Bett, Arbeits­er­laub­nis, Geld, Essens­kar­ten, Schwarz­ar­beit, vor allem aber sei­ne (›Auf­ent­halts­er­laub­nis‹ genann­te) Lebens­er­laub­nis.«2 Der Autor als Flücht­ling uch Tho­mas Mann gehör­te zu den Emi­gran­ten, den »Flücht­lin­gen«, dem »Club der Hit­­ler-Ver­­­fol­g­­ten«, wie Han­nah Are­ndt 1943 die zehn Jah­re zuvor aus Deutsch­land nach dem nazis­ti­schen »Take­over« Geflo­he­nen zu klas­si­fi­zie­ren such­te. »Von nun an sind ›Flücht­lin­ge‹ Men­schen, die das Pech hat­ten, mit­tel­los in einem neu­en Land anzu­kom­men und auf die Hil­fe der Flücht­lings­ko­mi­tees ange­wie­sen zu sein.«3 Der berühm­te, vom natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land ver­fem­te und ver­folg­te Autor der Bud­den­brooks und des Zau­ber­bergs muss­te nicht sein Lebens­mi­ni­mum erja­gen, son­dern wur­de als Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­ger von den kul­tu­rel­len Eli­ten hofiert. Zwi­schen den Jah­ren 1938 und 1940 finan­zier­te ihm die Rocke­­fel­­ler-Stif­­tung einen Auf­ent­halt an der Eli­­te-Uni­­ver­­­si­­tät Prince­ton, obgleich Mann in Deutsch­land es nicht ein­mal bis zum Abitur gebracht hat­te. Wäh­rend ande­re Emi­gran­ten am Ran­de des Exis­tenz­mi­ni­mums ihr Dasein fris­te­ten und sich in der »Gefäl­lig­keits­öko­no­mie« in den »wirt­schaft­lich extra­ter­ri­to­ria­len Ver­hält­nis­sen der Emi­gra­ti­on«4 (wie Ador­no die Exil­si­tua­ti­on beschrieb) ver­ding­ten, beweg­te sich Tho­mas Mann in einem eli­tä­ren Emi­gran­ten­zir­kel in Prince­ton (der Albert Ein­stein, Erich Kah­ler und Her­mann Broch ein­schloss), in dem sich die lite­ra­ri­sche Zele­bri­tät über das ste­ti­ge Über­le­ben in der frem­den Land­schaft (die für die meis­ten Emi­gran­ten – beob­ach­te­te Ador­no – nur den Hun­ger­tod oder den Wahn­sinn bereit hielt 5) kei­ne Gedan­ken machen muss­te. In den Augen von US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Intel­lek­tu­el­len, die sich weder im »libe­ra­len« noch im »kom­mu­nis­ti­schen« Lager ver­or­ten las­sen woll­ten, reprä­sen­tier­te Tho­mas Mann im Zeit­al­ter des glo­ba­len Faschis­mus den moder­nen, anti­fa­schis­ti­schen Intel­lek­tu­el­len jen­seits des orga­ni­sier­ten poli­ti­schen Anti­fa­schis­mus und sei­ner Slo­­gan-Fabri­­ka­­tio­­nen und ver­kör­per­te den euro­päi­schen »Huma­nis­mus im Exil«. Den Kräf­ten der Bar­ba­rei stel­le Tho­mas Mann den Künst­ler, den »Arche­typ des euro­päi­schen Men­schen, den Trä­ger der höchs­ten Tra­di­tio­nen und Leis­tun­gen der euro­päi­schen Zivi­li­sa­ti­on« ent­ge­gen, schrieb Wil­liam Phil­lips im Früh­jahr 1938 in der Zeit­schrift Par­ti­san Review.6 Para­do­xer­wei­se betrach­te Mann Kunst als Krank­heit: Die Patho­lo­gie der Kunst schlie­ße einen Glau­ben an die essen­zi­el­le Bar­ba­rei des Men­schen ein. Indem Mann die sozia­le Wis­sen­schaft in sei­nem Bild der euro­päi­schen Psy­che aus­blen­de und sich auf den Mythos zurück­zie­he, habe er sich von der moder­nen Exis­tenz abge­schnit­ten. In die­sem Sin­ne sei er eher ein meta­phy­si­scher denn ein geschicht­li­cher Zeit­ge­nos­se, resü­mier­te Phil­lips. Moral ohne Geschich­te, Kunst ohne Wis­sen­schaft, Kunst ohne Poli­tik zu ver­tei­di­gen, füh­re zu einer Ago­nie des indi­vi­du­el­len Gewis­sens, aber nicht zu einer gesell­schaft­li­chen Akti­on gegen die Usur­pa­ti­on der Bar­ba­rei. Wie ande­re Groß­meis­ter der Moder­ne (etwa James Joy­ce und Paul Valé­ry) habe Tho­mas Mann, argu­men­tier­te Wil­liam Troy in spä­te­ren Aus­ga­ben der Par­ti­san Review, den Mythos als Medi­um der lite­ra­ri­schen Ima­gi­na­ti­on instru­men­ta­li­siert, wäh­rend eine his­to­ri­sche Ana­ly­se der herr­schen­den Ver­hält­nis­se zuguns­ten eines sen­ti­men­ta­len Huma­nis­mus dis­pen­siert wird.7 Der Geist im Exil em Auf­ent­halt Tho­mas Manns in Prince­ton wid­met der eme­ri­tier­te Prin­ce­­ton-Ger­­ma­­nist Stan­ley Corn­gold sei­ne Mono­gra­fie The Mind in Exi­le. Als Quel­len die­nen ihm dabei neben den Tex­ten Tho­mas Manns vor allem die Aus­stel­lung Tho­mas Mann in Ame­ri­ka des Mar­ba­cher Lite­ra­tur­ar­chivs aus dem Jah­re 20188 sowie Hans Rudolf Vagets Stu­die Tho­mas Mann, der Ame­ri­ka­ner und Klaus Har­p­rechts groß ange­leg­te Tho­­mas-Mann-Bio­­­gra­­fie9. Das Buch bie­tet nicht neue Erkennt­nis­se, son­dern wen­det sich in ers­ter Linie an ein eng­lisch­spra­chi­ges Publi­kum, dem Manns Auf­sät­ze und Reden im Kon­text des anti­fa­schis­ti­schen Kamp­fes zu Beginn des Zwei­ten Welt­krie­ges in Über­set­zun­gen nahe gebracht wer­den sol­len, wobei jedoch vor einer ein­deu­ti­gen Über­tra­gung zurück­ge­schreckt wird und Alter­na­tiv­über­set­zun­gen in Paren­the­se hin­zu­ge­fügt wer­den. Zen­tra­le Bestand­tei­le von Corn­golds Dis­kus­si­on der Posi­ti­on des Intel­lek­tu­el­len Tho­mas Mann in der Aus­ein­an­der­set­zung mit dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regime in Deutsch­land sind die Auf­sät­ze »Lei­den an Deutsch­land«, »Maß und Wert«, »Bru­der Hit­ler«, »Ich bin Ame­ri­ka­ner«, »An die gesit­te­te Welt« und »Lob Ame­ri­kas«, in denen sich Manns poli­ti­sche Ent­wick­lung und Über­zeu­gun­gen im anti­fa­schis­ti­schen Kampf mani­fes­tier­ten.10 ie Pro­ble­ma­tik die­ser Mono­gra­fie liegt in ihrer unent­schie­de­nen »phi­lo­lo­gi­schen« Metho­dik: Ist der Anspruch, Manns poli­ti­sche Posi­tio­nen in Form sei­ner Auf­sät­ze und Reden aus den Jah­ren 1938 bis 1940 zu doku­men­tie­ren, oder sol­len sei­ne »Inter­ven­tio­nen« im his­to­ri­schen Kon­text der Aus­ein­an­der­set­zung demo­kra­ti­scher Struk­tu­ren mit auto­ri­tä­ren Herr­schafts­for­men dar­ge­stellt wer­den? Der Man­gel an Kri­tik lässt sich an der Dis­kus­si­on über Rol­le des pri­vi­le­gier­ten bür­ger­li­chen Intel­lek­tu­el­len fest­ma­chen, der Rat­schlä­ge zum rich­ti­gen poli­ti­schen Ver­hal­ten lie­fern möch­te, doch sei­ne eige­nen Posi­tio­nen (auch der Ver­gan­gen­heit) nie selbst­kri­tisch reflek­tier­te. In sei­ner »ame­ri­ka­ni­schen« Peri­ode pro­pa­gier­te Mann die Demo­kra­tie als Lebens­form und zehr­te – wie Vaget schrieb – von sei­ner »Repu­ta­ti­on als tadel­lo­ser Demo­krat und Hit­ler-Geg­ner«11, schwieg sich jedoch über sei­ne mili­ta­ris­ti­sche Pro­pa­gan­da zu Zei­ten des Ers­ten Welt­krie­ges aus. In die­sem Kon­text war es nicht ganz abwe­gig, dass der Autor der Studs Loni­g­an-Tri­­lo­­gie, der Schrift­stel­ler James T. Far­rell (der bei Vaget als »beken­nen­der Trotz­kist« fir­miert, wäh­rend ihn Har­precht als den Typus eines »kon­ser­va­ti­ven Man­nes iri­scher Her­kunft« klas­si­fi­zier­te12) es ablehn­te, den von Mann ver­fass­ten anti­fa­schis­ti­schen Auf­ruf »An die gesit­te­te Welt« zu unter­schrei­ben unter Hin­weis auf des­sen Ver­gan­gen­heit als Geg­ner der Demo­kra­tie. Dar­über hin­aus argu­men­tier­te Far­rell, dass der Faschis­mus nicht durch den »Geist« besiegt wer­den kön­ne, son­dern allein durch mate­ri­el­le Gewalt: Er sei, gab Far­rell zu Pro­to­koll, kein reli­giö­ser oder mys­ti­scher Mensch und kön­ne kein Mani­fest unter­zeich­nen, das sich an Gott und den Geist wen­de.13 Einen Groß­teil des Buches (nahe­zu 120 Sei­ten) nimmt das mit »Reflec­tions of a Poli­ti­cal Man« über­schrie­be­ne Kapi­tel ein, mit dem Corn­gold auf Tho­mas Manns poli­ti­sche Gegen­ent­wick­lung in Bezug auf sei­nen Essay »Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen« the­ma­ti­siert, der in der Zeit des Ers­ten Welt­krie­ges ent­stand und spä­ter von deutsch­na­tio­na­len und anti­de­mo­kra­ti­schen Kräf­ten in der frü­hen Wei­ma­rer Repu­blik gefei­ert wur­de. In den Augen Georg Lukàcs’ voll­zog Mann nach dem Krieg nicht allein »sei­ne wirk­li­che Wen­dung in demo­kra­ti­scher Rich­tung«, son­dern über­nahm »sei­ne Skep­sis der west­li­chen bür­ger­li­chen Demo­kra­tie gegen­über« in sein krea­ti­ves Schaf­fen, bei­spiels­wei­se in die »dia­lek­ti­schen Strei­tig­kei­ten Naphtha’s und Settembrini’s«14 im Roman Der Zau­ber­berg. Ent­ge­gen der simp­len Wahr­neh­mung Far­rells hob Lukàcs »die iro­ni­sche Kri­tik der typi­schen Bor­niert­heit der bür­ger­li­chen Demo­kra­tie, ihrer völ­li­gen Unfä­hig­keit, die grund­le­gen­den, die sozia­len Fra­gen der moder­nen Gesell­schaft« in Manns Roman her­vor, in dem die gemä­ßig­te Pro­gres­si­vi­tät Settem­bri­nis sich im Wett­streit mit Naph­tas mys­ti­fi­zie­ren Prä­fa­schis­mus und Hans Cas­torps apo­li­ti­scher Träg­heit befand.15 n sei­nen Reden und Auf­sät­zen ent­warf Tho­mas Mann ein Bild von der Demo­kra­tie als Lebens­form und Anti­dot gegen die toxi­schen Kräf­te von Faschis­mus, Auto­ri­ta­ris­mus und Anti­se­mi­tis­mus. Dabei ver­klär­te er »Ame­ri­ka« zur mythi­schen Heim­statt der Demo­kra­tie und Eman­zi­pa­ti­on. »Die Demo­kra­tie kann und wird tri­um­phie­ren«, war er sich 1940 sicher. »Es bestün­de kei­ne Hoff­nung für Euro­pa, wenn es als Ergeb­nis die­ses Krie­ges nicht zu einer Demo­kra­tie der frei­en Völ­ker käme, die ein jedes dem ande­ren ver­ant­wort­lich sind – einer euro­päi­schen Föde­ra­ti­on.« In einer ver­las­se­nen und ver­wahr­los­ten Welt sah Mann die Auf­ga­be »Ame­ri­kas«, sich als »Bewah­rer eines Glau­bens, der sich als gesund und zuver­läs­sig und abso­lut not­wen­dig für das mensch­li­che Leben und den Glau­ben an Güte, Frei­heit und Wahr­heit, Gerech­tig­keit und Frei­heit« erwie­sen habe, ein­zu­set­zen. »Nur so besteht Hoff­nung für die Welt.«16 Nicht nur Tho­mas Manns Wort­wahl in die­sen Tex­ten mutet frag­wür­dig an, wenn er auf Sitt­lich­keit, Glau­ben und Güte, Gesin­nung und Prak­ti­zis­mus rekur­riert und durch­weg posi­tiv die puri­ta­ni­sche His­to­rie der Ent­wick­lung der USA als Fun­da­ment für den »prak­ti­schen Tat­sa­chen­geist« und den »ame­ri­ka­ni­schen Cha­rak­ter« beschreibt. Vor allem berück­sich­tig­te er nicht die anti­de­mo­kra­ti­schen Ten­den­zen in der US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Geschich­te und Gesell­schaft, die kei­nes­wegs durch den »Glau­ben an Güte, Frei­heit und Wahr­heit, Gerech­tig­keit und Frei­heit« geprägt waren. In den 1930er Jah­ren hat­te in den USA immer noch Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus einen hohen Stel­len­wert und präg­ten das all­täg­li­che Leben (an Eli­te­uni­ver­si­tä­ten wie der Colum­bia Uni­ver­si­ty in New York wur­den jüdi­sche Stu­den­ten bis zum Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges nicht zuge­las­sen, und christ­li­che Agi­ta­to­ren ver­brei­te­ten über den Rund­funk ihre faschis­ti­schen und anti­se­mi­ti­schen Hass­ti­ra­den).17 In den USA ver­brei­te­te sich der Faschis­mus nicht in den Auf­mär­schen von Braun­hem­den, son­dern unter dem Deck­man­tel des »wah­ren Ame­ri­ka­nis­mus«: Der Auto­ri­ta­ris­mus rekla­mier­te für sich »Frei­heit« und »Demo­kra­tie«, um sie ulti­ma­tiv abzu­schaf­fen.18 Vom aka­de­mi­schen ins künst­le­ri­sche Exil n Prince­ton fühl­te sich Tho­mas Mann nie wohl. »Die­se aka­de­mi­sche Situa­ti­on hat ihn befrem­det – dass er da immer im schwar­zen Talar auf­tre­ten muss­te«, sag­te sein Enkel Fri­do Mann. »Er war kein Aka­de­mi­ker, er war Künst­ler.«19 Im März 1941 ver­lie­ßen die Manns Prince­ton, um nach Paci­fic Pali­sa­des in Kali­for­ni­en zu zie­hen, wo Tho­mas Mann sein gro­ßes Roman­pro­jekt Dok­tor Faus­tus aus­zu­ar­bei­ten begann, in dem sich die Ent­fes­se­lung eines künst­le­ri­schen Genies und die Apo­ka­lyp­se eines Vol­kes ver­schränk­ten. Manns Oppo­si­ti­on gegen die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Herr­schaft mani­fes­tier­te sich nicht an ihrer Ver­an­ke­rung in den Struk­tu­ren des Groß­ka­pi­tals. Der in der eli­mi­na­to­ri­schen Ver­fol­gung der jüdi­schen Bevöl­ke­rung: Noch im Mai 1933 äußer­te er im Rah­men eines bür­ger­li­chen Ras­sis­mus Ver­ständ­nis für den »Auf­stand gegen das jüdi­sche Ele­ment«, das Kon­trol­le über das »deut­sche Ele­ment« aus­übe.20 Auch mehr als ein Jahr­zehnt spä­ter sprach sich der schrei­ben­de Künst­ler frei von Schuld. »Aber Deutsch­land ist, nach dem Wil­len jener Böse­wich­te, so bis in den Grund zer­stört«, heißt es am Ende von Dok­tor Faus­tus, »daß man nicht zu hof­fen wagt, es möch­te zu irgend­wel­cher kul­tu­rel­len Akti­vi­tät, zur Her­stel­lung eines Buches auch nur, so bald wie­der fähig sein, und tat­säch­lich habe ich dann und wann schon auf Mit­tel und Wege geson­nen, die­se Blät­ter nach Ame­ri­ka gelan­gen zu las­sen, damit sie vor­erst ein­mal der dor­ti­gen Mensch­heit in eng­li­scher Über­set­zung vor­ge­legt wer­den.«21 Der Flücht­ling aus dem dunk­len, von »Böse­wich­ten« in Schutt und Asche geleg­ten Deutsch­land ver­klär­te »Ame­ri­ka« zur »Hei­mat der frei­heit­li­chen Prin­zi­pi­en«, zum neu­en Ort der Erret­tung vor den apo­ka­lyp­ti­schen Dämo­nen, zum ede­ni­schen Gar­ten des Her­ren, in dem die »Mischung aus christ­li­cher Gesin­nung und prak­ti­scher Macht« als Erbe der star­ken puri­ta­ni­schen Ursprün­ge die Mensch­heit vor dem Unter­gang bewahrt wer­de.22 wie Tobi­as Boes bemerkt, ver­söhn­te Dok­tor Faus­tus zwei essen­zi­ell getrenn­te Lebens­strän­ge in der Exis­tenz Tho­mas Manns: den des abge­ho­be­nen Autors einer for­dern­den Lite­ra­tur, die schein­bar kei­nen Bezug zu den poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der Gegen­wart auf­wies, und den des »mili­tan­ten« öffent­li­chen Intel­lek­tu­el­len in Ame­ri­ka, der dezi­diert Stel­lung im Kampf gegen den Faschis­mus bezog.23 Die kali­for­ni­sche Ideo­lo­gie er Ort, an dem Dok­tor Faus­tus in den Jah­ren zwi­schen 1943 und 1947 ent­stand, war ein Ort am »vor­läu­fi­gen Rand der Din­ge«24 (wie Ror Wolf die Ter­ri­to­ri­en jen­seits der offen­sicht­li­chen gesell­schaft­li­chen Rea­li­tät nann­te). Das »Tho­­mas-Mann-Haus« am San Nemo Dri­ve 1550 im »Rivie­ra-Distrikt« Paci­fic Pali­sa­des in Los Ange­les wur­de zwi­schen Janu­ar 1941 und Febru­ar 1942 für 30.000 US-Dol­lar erbaut, die Tho­mas Mann über sei­ne Posi­ti­on als »Con­sul­tant in Ger­ma­nic Lite­ra­tu­re« an der Libra­ry of Con­gress, sei­ne lukra­ti­ve Vor­trags­tä­tig­keit und die Unter­stüt­zung sei­ner Gön­ne­rin und Mit­in­ha­be­rin der Washing­ton Post, Agnes E. Mey­er, finan­zier­te.25 Für vie­le Schrift­stel­ler jener Zeit (wie Wil­liam Faul­k­ner, F. Scott Fitz­ge­rald, Natha­na­el West, Ray­mond Chand­ler oder John Fan­te) war Los Ange­les mit sei­ner Film­me­tro­po­le Hol­ly­wood ein »Honey­pot«, der zahl­lo­se Talen­te anlock­te und zumeist im Ver­der­ben enden ließ.26. In einer frü­hen Stu­die der Stadt schrieb Carey McWil­liams, der spä­te­re Her­aus­ge­ber der links­li­be­ra­len New Yor­ker Wochen­zeit­schrift The Nati­on: »Los Ange­les ist die Haupt­stadt aller Ter­mi­ten in Ame­ri­ka, ein Ort, wo die gie­ri­gen, lär­men­den klei­nen Mons­ter end­los die fau­len­den Ver­zim­me­run­gen bil­lig und schä­big gebau­ter Häu­ser ver­zeh­ren.«27 Die Stadt chan­gier­te – wie Mike Davis in sei­ner Stu­die City of Quartz schrieb – zwi­schen Son­nen­schein und Dun­kel­heit, war eine »Gobi der Vor­or­te« und zugleich die »Kris­tall­ku­gel der Zukunft des Kapi­ta­lis­mus« im Ange­sicht der Ago­nie der euro­päi­schen Auf­klä­rung.28 McWil­liams, den sein Bio­graf Peter Richard­son als »ame­ri­ka­ni­schen Pro­phe­ten« titu­lier­te29 beschrieb in sei­nem Por­trät Süd­ka­li­for­ni­ens die Dia­lek­tik von Uto­pie und Dys­to­pie des »halb­tro­pi­schen« Ter­ri­to­ri­ums im Wes­ten, in dem nicht allein durch die Geschich­te sozia­le und eth­ni­sche Kon­flik­te immer wie­der erup­tier­ten, son­dern auch Vor­stel­lun­gen eines neu­en gelob­ten Lan­des vor­herrsch­ten, wobei die bestehen­den natür­li­chen Ver­hält­nis­se im Inter­es­se der »Usur­pa­to­ren« umge­stal­tet wer­den muss­ten, vor allem im Bereich der Was­­ser- und Ener­gie­ver­sor­gung. In einem Kapi­tel wies McWil­liams auf die kli­ma­to­lo­gi­sche Pro­ble­ma­tik der kali­for­ni­schen Lebens­wei­se hin, die Pflan­zen ohne Geruch und Vögel ohne Gesang pro­du­zier­te, um eine unge­stör­te Exis­tenz unter der Son­ne füh­ren zu kön­nen.30 Sym­pto­ma­tisch beschrieb der dahin­sie­chen­de Gene­ral Stern­wood im mor­bi­den Kli­ma Kali­for­ni­ens in Ray­mond Chand­lers The Big Sleep den Geruch von Orchi­deen mit der »fau­li­gen Süße« von Pro­sti­tu­ier­ten.31 Die »kali­for­ni­sche Ideo­lo­gie« war – wie McKen­zie Wark bemerk­te – der kapi­ta­lis­ti­sche Gegen­ent­wurf zur sowje­ti­schen Uto­pie jener Zeit.32 »Kom­mu­nis­mus ist«, pos­tu­lier­te Andrej Pla­to­now 1924, »die Umset­zung kon­kre­ter Plä­ne: der Elek­tri­fi­zie­rung und der all­ge­mei­nen Indus­tria­li­sie­rung der Pro­duk­ti­on und der Land­wirt­schaft sowie der Über­win­dung der Wüs­te durch Bewäs­se­rung. Der Kampf gegen die Dür­re ist Teil der Über­win­dung der Wüs­te.«33 Die »kali­for­ni­sche Ideo­lo­gie« ver­folg­te ein ähn­li­ches Ziel, wie McWil­liams in sei­nem Buch über Süd­ka­li­for­ni­en dar­leg­te und spä­ter der von McWil­liams inspi­rier­te Neo-Noir-Klas­­si­ker Chi­na­town (1974) in einer ein­drucks­vol­len Erzäh­lung ins kol­lek­ti­ve Gedächt­nis schrieb: Los Ange­les war eine per­ma­nen­te Boom­town ohne Geschich­te, in der alles im Fluss war, nichts Bestand hat­te, ein ubi­qui­tä­rer Waren­um­schlag­platz war, in der Men­schen, Struk­tu­ren, Pro­duk­te und Umwelt in einem destruk­ti­ven Aus­tausch­pro­zess der Belie­big­keit und dem Ver­ges­sen über­ant­wor­tet wur­den.34 »Goe­the in Hol­ly­wood« ls sich Tho­mas Mann mit sei­ner Fami­lie in Los Ange­les nie­der­ließ, wid­me­te ihm die Jour­na­lis­tin Janet Flan­ner in den vor­weih­nacht­li­chen Aus­ga­ben des New Yor­ker des Jah­res 1941 ein groß­an­ge­leg­tes Por­trät unter dem iro­nisch kon­no­tier­ten Titel »Goe­the in Hol­ly­wood«, wobei sie wie Far­rell den Fin­ger in die Wun­de der Ver­gan­gen­heit leg­te. Die Tat­sa­che, dass Tho­mas Mann heu­te ein poli­ti­scher Flücht­ling sei und er »in unse­rer Demo­kra­tie« im Exil lebe, stel­le ein erhel­len­des Para­dox in die­sem Krieg dar, habe er doch noch 1918 als »Elfen­­­bein-Ästhet« die Demo­kra­tie und das poli­ti­sche Enga­ge­ment ver­ach­tet. Nun lei­de er als »Emi­grant« unter den Fol­gen des deut­schen Mili­ta­ris­mus, den er in Zei­ten des Ers­ten Welt­krie­ges und danach gut­ge­hei­ßen habe. Er habe »exakt« 23 Jah­re für sei­ne »ideo­lo­gi­sche Meta­mor­pho­se« gebraucht, um der »mili­tan­te Libe­ra­le und abgrund­tie­fe Has­ser der deut­schen Vor­stel­lung der ras­si­schen Vor­herr­schaft« zu wer­den, der er nun sei. Obgleich Hol­ly­wood gegen­wär­tig das Zen­trum der deut­schen Emi­gran­ten dar­stel­le, habe sich Mann nicht aus gesell­schaft­li­chen Beweg­grün­den für die­sen Ort ent­schie­den. Offen­bar hat­te er – schrieb Flan­ner – mit der Idee gespielt, einen Hol­­ly­­wood-Roman in Ana­lo­gie zum Zau­ber­berg zu schrei­ben, und dar­auf gehofft, sei­ne Tri­lo­gie Joseph und sei­ne Brü­der an ein Hol­­ly­­wood-Stu­­dio ver­kau­fen zu kön­nen. Dies zer­schlug sich jedoch, weil die Stu­dio­ver­ant­wort­li­chen der Mei­nung waren, dass allein ein D. W. Grif­fith auf dem Höhe­punkt sei­ner Schaf­fens­kraft solch ein Pro­jekt hät­te umset­zen kön­nen. Trotz allem neh­me Tho­mas Mann eine ein­zig­ar­ti­ge, nahe­zu legen­dä­re Posi­ti­on ein, die ihn über alle ande­ren deut­schen Emi­gran­ten und Emi­gran­tin­nen erhe­be und ihm eine sym­bo­li­sche Emi­nenz in den gegen­wär­ti­gen Ver­hält­nis­sen siche­re.35 In dem von Niko­lai Blau­mer und Ben­no Herz her­aus­ge­ge­be­nen Band Tho­mas Mann’s Los Ange­les rekur­riert Blau­mer in sei­nem Vor­wort »The Mann Fami­ly and Their Path to Cali­for­nia« (das iro­nisch auf John Stein­becks Roman The Gra­pes of Wrath und den Exodus der von den Ver­wer­fun­gen der »Gro­ßen Depres­si­on« aus ihrer Hei­mat im von Dür­re und Finanz­ka­pi­tal heim­ge­such­ten Okla­ho­ma ver­trie­be­nen Fami­lie Joad ins vor­geb­lich gelob­te Land Kali­for­ni­en anspielt) auf den Flan­­ner-Text, in dem Tho­mas Mann als »lite­ra­ri­scher Groß­meis­ter« vor­ge­führt wird, der sich an der US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Pazi­fik­küs­te an den deut­schen Lebens­stil klam­me­re.36 Auch wenn Flan­ner Tho­mas Mann als spä­te Inkar­na­ti­on Goe­thes im Zen­trum der moder­nen Mas­sen­kul­tur beschrieb, war der deut­sche Nobel­preis­trä­ger zwar noch der stei­fe Reprä­sen­tant einer »teu­to­ni­schen Gene­ra­ti­on«, aber trotz aller Pro­mi­nenz in der deut­schen Emi­gran­ten­kul­tur weni­ger ein »Geis­tes­fürst« denn des­sen »Ersatz«: ein »Groß­schrift­stel­ler« (wie Robert Musil in sei­nem Roman Der Mann ohne Eigen­schaf­ten schrieb): »Er ist eine beson­de­re Form der Ver­bin­dung des Geis­tes mit gro­ßen Din­gen.«37 Anhand von Stadt­plä­nen zeich­net der Band eine struk­tu­rel­le und intel­­lek­­tu­ell-küns­t­­le­ri­­sche Geo­gra­fie der deut­schen Emi­gran­ten­ge­mein­de in Los Ange­les – von der Fami­lie der Manns als Fokus der »öffent­li­chen Intel­lek­tu­el­len« im Kampf gegen den deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus (den Klaus und Eri­ka Mann früh in den 1930er Jah­ren for­ciert hat­ten und zu dem sich ihr Vater erst spät über­wand) über Kanä­le des Exils und der Unter­stüt­zung unter den Emi­gran­ten und Emi­gran­tin­nen wie dem »Euro­pean Film Fund« und das exi­lier­te Frank­fur­ter Insti­tut für Sozi­al­for­schung, die laby­rin­thi­schen Unter­neh­mun­gen in fil­mi­schen, künst­le­ri­schen und musi­ka­li­schen Berei­chen. Dar­über hin­aus rich­ten die Her­aus­ge­ber den Blick auf einen sich rasch ver­än­dern­den urba­nen Kon­text, in dem sich Los Ange­les mit sei­ner Stadt­pla­nung räum­lich und ästhe­tisch auf die »spät-« oder »post­mo­der­nen« Erfor­der­nis­se der glo­ba­li­sier­ten Nach­kriegs­ge­sell­schaft ein­zu­rich­ten ver­such­te, wie es Fred­ric Jame­son – in Anleh­nung an die Kri­ti­sche Theo­rie – in sei­nem Klas­si­ker Post­mo­der­nism or The Cul­tu­ral Logic of Late Capi­ta­lism (1984) sezier­te.38 ie vie­le in der »com­mu­ni­ty« der deut­schen Emi­gran­ten und Emi­gran­tin­nen präg­te auch Tho­mas Mann nicht der Gemein­sinn, son­dern eher die Vor­stel­lung des Ein­zi­gen und sei­nes Eigen­tums im Sin­ne Max Stir­ners. Wie David Jene­mann in sei­nem Bei­trag über Tho­mas Manns Nach­bar Max Hork­hei­mer fest­stellt, war Mann kei­nes­wegs dank­bar, dass Hork­hei­mer den Kon­takt zu sei­nem Mit­ar­bei­ter Theo­dor W. Ador­no her­stell­te, der einen ent­schei­den­den Bei­trag zur Ent­ste­hung des Dok­tor Faus­tus lie­fer­te.39 Schon im März 1940 in Prince­ton notier­te Mann: »Lek­tü­re in Hork­hei­mers arro­gan­ter Zeit­schrift für Sozi­al­for­schung«40. In Kali­for­ni­en stei­ger­te sich die Aver­si­on gegen den »Chef« der »Frank­fur­ter«, als Mann sich bei einem Sturz auf einer locke­ren Trep­pen­stu­fe des Nach­bar­hau­ses das Schlüs­sel­bein brach. Wäh­rend die Welt auf den Abgrund zusteu­er­te, erreg­te sich der gestürz­te »Groß­schrift­stel­ler« im Exil über den Unbill des All­täg­li­chen.41 Wäh­rend sich der Band Tho­mas Mann’s Los Ange­les durch sei­ne mul­ti­per­spek­ti­vi­schen und viel­schich­ti­gen Sicht­wei­sen sei­ner Autoren und Autorin­nen aus­zeich­net, wählt der Schwei­zer Autor Tho­mas Blub­a­cher in sei­nem Buch Wei­mar unter Pal­men – Paci­fic Pali­sa­des das Mus­ter einer tra­di­tio­nel­len Erzähl­wei­se, mit der er die Geschich­te des Stadt­vier­tels Paci­fic Pali­sa­des von einer Enkla­ve der auf­kom­men­den Film­in­dus­trie zu einer »gated com­mu­ni­ty« der Pri­vi­le­gier­ten der Kul­tur­in­dus­trie beschreibt. Neben den frü­hen euro­päi­schen, in der neu­en US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Kul­tur­me­tro­po­le reüs­sie­ren­den »Exi­lan­ten« wie Ernst Lubit­sch, F. W. Mur­nau oder Erich von Stro­heim kamen nach dem Tri­umph des Natio­nal­so­zia­lis­mus auch Autoren wie Tho­mas Mann und Lion Feucht­wan­ger nach Los Ange­les. In Blub­a­chers Erzäh­lung »erwies sich Mann ein­mal mehr als hoch­se­ni­bler, anspruchs­vol­ler und leicht zu krän­ken­der Schön­geist«.42 In sei­nem Buch zeich­net Blub­a­cher die öko­no­mi­schen und gesell­schaft­li­chen Front­ver­läu­fe zwi­schen den ver­schie­de­nen Emi­gran­ten­struk­tu­ren – von Auf- und Abstei­gern in der US-ame­ri­­ka­­ni­­schen Kul­tur­in­dus­trie – als auch die Ver­wer­fun­gen unter den deut­schen Emi­gran­ten (wie Ber­tolt Brecht, Lion Feucht­wan­ger und Tho­mas Mann) nach, die sich mit Klatsch und Tratsch auf poli­ti­scher Betriebs­tem­pe­ra­tur hiel­ten, ehe die anti­kom­mu­nis­ti­schen Ver­hält­nis­se im Ame­ri­ka des Kal­ten Krie­ges sie zurück nach Euro­pa trie­ben. Insze­nie­rung und Erkennt­nis ieben Jah­re nach dem Tod Tho­mas Manns schrieb Theo­dor W. Ador­no 1962 in der Zeit­schrift Neue Rund­schau über Manns Pra­xis und Auf­he­bung der »Ver­stel­lung« des »Bür­gers« als Künst­ler und Genie: »Scham über die Selbst­set­zung des Künst­lers, des Genies, als das er sich dra­piert, nötigt den Künst­ler, der eines Rests von Dra­pe­rie nie ganz ledig wird, so gut es geht sich zu ver­ste­cken. Weil der Geni­us zur Mas­ke gewor­den ist, muß der Geni­us sich mas­kie­ren.«43 Wäh­rend sich Mar­cel Proust und Franz Kaf­ka als Ope­ret­ten­dan­dy oder Ver­si­che­rungs­an­ge­stell­ter insze­nier­ten, wähl­te Mann die Mas­ke des Groß­schrift­stel­lers, in deren Pose der Autor den Teil sei­ner Per­son posi­tio­nier­te, den er der Öffent­lich­keit zugäng­lich machen woll­te. Wie Rüdi­ger Gör­ner und Kal­tëri­na Lati­fi in ihrem opu­len­ten Band Tho­mas Mann: Ein Schrift­stel­ler setzt sich in Sze­ne unter­strei­chen, war »Tho­mas Mann« ein Kon­strukt: »die­ses durch und durch nar­ziss­tisch ver­an­lag­te Phä­no­men unter den Welt­au­to­ren der Moder­ne«44, der im insze­nier­ten Auf­tre­ten bür­ger­li­che Serio­si­tät und Ent­schie­den­heit für das Enga­ge­ment im Kampf gegen den Faschis­mus mit distin­gu­ier­ter Ele­ganz des Autors im Biblio­theks­am­bi­en­te mit Glo­bus und Cin­za­no (zuzüg­lich Zigar­re) ver­knüpf­te. Trotz aller Vor­wür­fe der »Ver­stel­lung« und der »Deka­denz« nahm Ador­no Tho­mas Mann gegen die Anwür­fe der Expo­nen­ten der »inne­ren Emi­gra­ti­on« wie Frank Thiess in Schutz, nach deren Wor­ten Emi­gran­ten die »deut­sche Tra­gö­die« von den »Logen und Par­terre­plät­zen des Aus­lands« ange­schaut hät­ten.45 »Im Nach­bild der Erin­ne­rung gewinnt sein eige­nes Gesicht etwas Pier­rot­haf­tes«, schrieb Ador­no in Bezug auf Tho­mas Manns Arbeits­zim­mer in Paci­fic Pali­sa­des, wo ein Bild der jun­gen Eri­ka Mann im Baja­z­­zo-Kos­­tüm auf dem Regal stand46 »Sei­ne Koket­te­rie war wohl nichts ande­res als ein Stück unver­mit­tel­ten und unbe­zwing­li­chen mime­ti­schen Ver­mö­gens.«47 Mime­sis war eine zen­tra­le Kate­go­rie in Ador­nos Spät­werk Ästhe­ti­sche Theo­rie und bezeich­ne­te die »nega­tiv reflek­tie­ren­de Iden­ti­fi­ka­ti­on mit der rea­len Nega­ti­vi­tät des gesell­schaft­li­chen Zustands«48. Am Ende gab sich Tho­mas Mann nicht der Deka­denz hin, son­dern enga­gier­te sich für eine reflek­tier­te Huma­ni­tät, wel­che die deut­schen Reprä­sen­tan­ten der »inne­ren Emi­gra­ti­on« nie ver­stan­den. © Jörg Auberg 2022 Biblio­gra­fi­sche Anga­ben: Stan­ley Corn­gold. The Mind in Exi­le: Tho­mas Mann in Prince­ton. Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2022. 280 Sei­ten, 35 US-$. ISBN: 978–0‑69120–164‑1. Tho­mas Mann’s Los Ange­les: Sto­ries from Exi­le 1940–1952. Her­aus­ge­ge­ben von Niko­lai Blau­mer and Ben­no Herz. Illus­tra­tio­nen von Jon Stich. Los Ange­les: Angel City Press, 2022. 208 Sei­ten, 175 Abbil­dun­gen, 40 US-$. ISBN: 978–1‑62640–112‑9. Tho­mas Blub­a­cher. Wei­mar unter Pal­men – Paci­fic Pali­sa­des: Die Erfin­dung Hol­ly­woods und das Erbe des Exils. Mün­chen: Piper, 2022. 272 Sei­ten, 24 Euro. ISBN: 978–3‑492–07207‑6. Tho­mas Mann: Ein Schrift­stel­ler setzt sich in Sze­ne. Her­aus­ge­ge­ben von Rüdi­ger Gör­ner und Kal­tëri­na Lati­fi. Darm­stadt: wbg Theiss, 2021. 272 Sei­ten, 200 Abbil­dun­gen, 60 Euro. ISBN: 978–3‑8062–4247‑8. Bild­quel­len (Copy­rights) Cover The Mind in Exi­le © Prince­ton Uni­ver­si­ty Press Cover Dok­tor Faus­tus © Ber­­mann-Fischer Verlag/Foto © H.-P. Haack/Wikipedia Cover Sou­thern Cali­for­nia Coun­try © Ame­ri­can Folk­ways Cover Tho­mas Mann’s Los Ange­les © Angel City Press Foto Fami­lie Mann am Strand © Tho­­mas-Mann-Archi­­v/ETH-Biblio­­thek Zürich Cover Wei­mar unter Pal­men – Paci­fic Pali­sa­des © Piper Ver­lag Cover Tho­mas Mann: Ein Schrift­stel­ler setzt sich in Sze­ne © wbg Theiss                                                                                                               Nach­wei­se Theo­dor W. Ador­no, Mini­ma Mora­lia: Refle­xio­nen aus dem beschä­dig­ten Leben (1951; rpt. Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1987), S. 32 ↩ Gün­ther Anders, Der Emi­grant (1962; rpt. Mün­chen: C. H. Beck, 2021), S. 37 ↩ Han­nah Are­ndt, »Wir Flücht­lin­ge« (1943); rpt. Han­nah Are­ndt, Wir Juden: Schrif­ten 1932 bis 1966, hg. Marie Lui­se Knott und Ursu­la Ludz (Mün­chen: Piper, 2019), S. 37 ↩ Ador­no, Mini­ma Mora­lia, S. 33 ↩ Ador­no, Mini­ma Mora­lia, S. 34 ↩ Wil­liam Phil­lips, »Tho­mas Mann: Huma­nism in Exi­le«, Par­ti­san Review, 4, Nr. 6 (Mai 1938):5 ↩ Phil­lips, »Tho­mas Mann: Huma­nism in Exi­le«, S. 8, 10; Wil­liam Troy, »Tho­mas Mann: Myth and Reason«, zuerst erschie­nen in Par­ti­san Review, 5, Nr. 1 und Nr. 2 (1938), rpt. in: Wil­liam Troy, Sel­ec­ted Essays, hg. Stan­ley Edgar Hyman (New Bruns­wick, NJ: Rut­gers Uni­ver­si­ty Press, 1967), S. 213–247; sie­he auch zur Dis­kus­si­on um Tho­mas Mann in der Par­ti­san Review: Ter­ry A. Coo­ney, The Rise of the New York Intellec­tu­als: Par­ti­san Review and Its Cir­cle, 1934–1945 (Madi­son: Uni­ver­si­ty of Wis­con­sin Press, 1986), S. 153–160 ↩ Tho­mas Mann in Ame­ri­ka, hg. Ulrich Raulff und Ellen Stritt­mat­ter, Mar­ba­cher Maga­zin, Nr. 163–164 (Mar­bach: Deut­sche Schil­ler­ge­sell­schaft, 2018) ↩ Hans Rudolf Vaget, Tho­mas Mann, der Ame­ri­ka­ner: Leben und Werk im ame­ri­ka­ni­schen Exil, 1938–1952 (Frankfurt/Main: Fischer, 2011), und Klaus Har­precht, Tho­mas Mann: Eine Bio­gra­phie, 2 Bän­de (Rein­bek: Rowohlt, 1996) ↩ Cf. Tho­mas Mann, An die gesit­te­te Welt: Poli­ti­sche Schrif­ten und Reden im Exil, hg. Han­no Helb­ling (Frankfurt/Main: Fischer, 1986) ↩ Vaget, Tho­mas Mann, der Ame­ri­ka­ner, S. 309 ↩ Vaget, Tho­mas Mann, der Ame­ri­ka­ner, S. 309; Har­precht, Tho­mas Mann: Eine Bio­gra­phie, S. 1046 ↩ Stan­ley Corn­gold, The Mind in Exi­le: Tho­mas Mann in Prince­ton (Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2022), S. 62 ↩ Tho­mas Mann, Tage­bü­cher 1940–1943, hg. Peter de Men­dels­sohn (Frankfurt/Main: Fischer, 2003), S. 64 ↩ Georg Lukàcs, Die Zer­stö­rung der Ver­nunft (Bie­le­feld: Ais­the­sis Ver­lag, 2022), S. 66; Corn­gold, The Mind in Exi­le, S. xiii ↩ Tho­mas Mann, »Ich bin Ame­ri­ka­ner«, in: Mann, An die gesit­te­te Welt, S. 393 ↩ Cf. Leo Löwen­thal und Nor­bert Guter­man, Pro­phe­ts of Deceit: A Stu­dy in the Tech­ni­ques of the Ame­ri­can Agi­ta­tor (1949; rpt. Lon­don: Ver­so, 2021) ↩ Micha­el Joseph Rober­to, The Coming of the Ame­ri­can Behe­mo­th: The Ori­g­ins of Fascism in the United Sta­tes, 1920–1940 (New York: Month­ly Review Press, 2018), S. 13–14 ↩ Jan Bür­ger, »›Er war kein Aka­de­mi­ker, er war Künst­ler‹: Ein Gespräch mit dem Schrift­stel­ler Fri­do Mann über sei­ne Groß­el­tern und ihr Leben am Pazi­fik«, in: Tho­mas Mann in Ame­ri­ka, S. 19 ↩ Robert Schwartz­wald, Ein­lei­tung zu: Dani­el Gué­rin, The Brown Pla­gue: Tra­vels in Late Wei­mar and Ear­ly Nazi Ger­ma­ny (Dur­ham: Duke Uni­ver­si­ty Press, 1994), S. 29–30; sie­he auch Dani­el Gué­rin, Sur le Fascis­me: La peste bru­ne – Fascis­me et grand capi­tal (Paris: La Décou­ver­te, 2001) ↩ Tho­mas Mann, Dok­tor Faus­tus: Das Leben des deut­schen Ton­set­zers Adri­an Lever­kühn erzählt von einem Freun­de (Frankfurt/Main: Bücher­gil­de Guten­berg, 1974), S. 668 ↩ Sacvan Ber­co­vitch, The Ame­ri­can Jere­mi­ad (Madi­son: Uni­ver­si­ty of Wis­con­sin Press, 1978), S. 111–113; Tho­mas Mann, »Ich bin Ame­ri­ka­ner«, S. 392 ↩ Tobi­as Boes, Tho­mas Mann’s War: Lite­ra­tu­re, Poli­tics, and the World Repu­blic of Let­ters (Itha­ca: Cor­nell Uni­ver­si­ty press, 2019), S. 238 ↩ Ror Wolf, Aus­flug an den vor­läu­fi­gen Rand der Din­ge: Pro­sa 1957–1976 (Darm­stadt: Luch­ter­hand, 1988) ↩ Vaget, Tho­mas Mann, der Ame­ri­ka­ner, S. 170 ↩ Cf. Chip Rho­des, Poli­tics, Desi­re, and the Hol­ly­wood Novel (Iowa City: Uni­ver­si­ty of Iowa Press, 2008) ↩ Carey McWil­liams, Sou­thern Cali­for­nia: An Island on the Land (1946; rpt. Lay­ton, Utah: Gibbs Smith, 2010), S. 230 ↩ Mike Davis, City of Quartz: Excavating the Future in Los Ange­les (New York: Vin­ta­ge, 1992), S. 47–48 ↩ Peter Richard­son, Ame­ri­can Pro­phet: The Life and Work of Carey McWil­liams (Ann Arbor: Uni­ver­si­ty of Michi­gan Press, 2005) ↩ McWil­liams, Sou­thern Cali­for­nia: An Island on the Land, S. 108 ↩ Ray­mond Chand­ler, The Big Sleep – Fare­well, My Love­ley – The High Win­dow (New York: Everyman’s Libra­ry, 2002), S. 8 ↩ McKen­zie Wark, Mole­cu­lar Red: Theo­ry for the Anthro­po­ce­ne (Lon­don: Ver­so, 2016), S. 117 ↩ Andrej Pla­to­now, Frü­he Schrif­ten zur Pro­le­ta­ri­sie­rung, 1919–1927, übers. Maria Rajer, hg. Kon­stan­tin Kamin­s­kij und Roman Wid­der (Wien: Turia + Kant, 2019), S. 164 ↩ Sam Was­son, The Big Good­bye: Chi­na­town and the Last Days of Hol­ly­wood (Lon­don: Faber & Faber, 2020), S. 68 ↩ Janet Flan­ner, »Goe­the in Hol­ly­wood«, The New Yor­ker, 17:44 (13. Dezem­ber 1941):31–42, und 17:45 (20. Dezem­ber 1941):22–35 ↩ Niko­lai Blau­mer, »The Mann Fami­ly and Their Path to Cali­for­nia«, in: Tho­mas Mann’s Los Ange­les: Sto­ries from Exi­le 1940–1952, hg. Niko­lai Blau­mer and Ben­no Herz (Los Ange­les: Angel City Press, 2022), S. 10 ↩ Robert Musil, Der Mann ohne Eigen­schaf­ten, hg. Adolf Fri­sé (Rein­bek: Rowohlt, 1978), S. 429 ↩ Fred­ric Jame­son, Post­mo­der­nism or The Cul­tu­ral Logic of Late Capi­ta­lism (Lon­don: Ver­so, 1991); sie­he auch Jame­sons Betrach­tun­gen zu Der Zau­ber­berg und Dok­tor Faus­tus unter der Prä­mis­se des Moder­nis­mus in Jame­son, The Moder­nist Papers (Lon­don: Ver­so, 2016), S. 55–94, 113–132 ↩ Alex Ross, »Theo­dor W. Ador­no«, in: Tho­mas Mann’s Los Ange­les, S. 136–137; zu Ador­nos Anteil­schaft an der Autor­schaft und den spä­te­ren »Ver­leum­dun­gen« durch den Mann-Clan sie­he Her­mann Kurz­ke, Tho­mas Mann: Das Leben als Kunst­werk (Frankfurt/Main: Fischer, 2001), S. 504–507 ↩ Tho­mas Mann, Tage­bü­cher 1940–1943, S. 41 ↩ David Jene­mann, »Max Hork­hei­mer«, in: Tho­mas Mann’s Los Ange­les, S. 67 ↩ Tho­mas Blub­a­cher, Wei­mar unter Pal­men – Paci­fic Pali­sa­des: Die Erfin­dung Hol­ly­woods und das Erbe des Exils (Mün­chen: Piper, 2022), S. 138 ↩ Theo­dor W. Ador­no, Noten zur Lite­ra­tur, hg. Rolf Tie­de­mann (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1981), S. 337 ↩ Tho­mas Mann: Ein Schrift­stel­ler setzt sich in Sze­ne, hg. Rüdi­ger Gör­ner und Kal­tëri­na Lati­fi (Darm­stadt: wbg Theiss, 2021), S. 28 ↩ Blub­a­cher, Wei­mar unter Pal­men – Paci­fic Pali­sa­des, S. 207 ↩ Tho­mas Mann: Ein Schrift­stel­ler setzt sich in Sze­ne, S. 198–199 ↩ Ador­no, Noten zur Lite­ra­tur, S. 343 ↩ Theo­dor W. Ador­no, Ästhe­ti­sche Theo­rie, hg. Gre­tel Ador­no und Rolf Tie­de­mann (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1973), S. 38–39 ↩ […]

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Benjamin Moser — Sontag: Her Life

Eine dunkle Dame in Manhattan Marginalien zu Benjamin Mosers Biografie über Susan Sontag   Von Jörg Auberg In einem weg­wei­sen­den Essay unter dem Titel »The Dark Lady of Salem« bezeich­ne­te Phil­ip Rahv, einer der Grün­der und Mit­her­aus­ge­ber der legen­dä­ren Zeit­schrift Par­ti­san Review, Natha­ni­el Hawt­hor­ne als den »Roman­cier der Sün­de«, des­sen lite­ra­ri­scher Kos­mos von...

Nanni Balestrini — Der Verleger

Nanni Balestrini: Der Verleger

Der Nebel des Grauens Über Nanni Balestrini, Giangiacomo Feltrinelli und verbrannte Hoffnungen Von Jörg Auberg  Plötz­lich war er ver­schwun­den. Der Text Nan­ni Bal­estri­nis soll­te etwas über die »Gene­ra­ti­on von 1977« berich­ten, die Brü­cke von ver­gan­ge­nen Kämp­fen zu den Mög­lich­kei­ten der »Wider­stän­dig­keit« in der Gegen­wart und dar­über hin­aus schla­gen. Das Buch »Whe­re Have...

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