Vom Verschwinden des Buches
Ursula Töller:
Buchhandel: Da, wo wir Bücher kaufen.
Nach einem Besuch der Frankfurter Buchmesse im Jahre 1959 befiel Theodor W. Adorno »eine sonderbare Beklemmung«, die aus dem Umstand herrührte, dass »die Bücher nicht mehr aussehen wie Bücher«. In der globalen Warenwelt war auch das Buch nicht mehr als ein Konsumgut. »Bucheinbände sind, international, zur Reklame für das Buch geworden. Jene Würde des in sich Gehaltenen, Dauernden, Hermetischen, das den Leser in sich hineinnimmt, gleichsam den Deckel schließt wie die Buchdeckel über den Text – das ist als unzeitgemäß beseitigt.« Zugleich war sich Adorno bewusst, dass die Bücher, die sich vordergründig der Massenproduktion entziehen, dem »Fluch des Kunstgewerbes« und der Idee des Reaktionären unterliegen.
Gerade in Zeiten, da die Totalität der analogen und digitalen Warenform die menschliche Existenz weitgehend bestimmt, werden die Buchhandlungen zu imaginären Refugien, zu »Orten der Sehnsucht«, zu »Leseparadiesen«, wie sie etwa der Leiter des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz, kitschig beschreibt: Während alles der kapitalistischen Verwertung und dem Profitinteresse unterliegt, wird an der Mär vom entrückten, verzauberten Ort der Bücher gestrickt, die von den Beschädigungen und Verunstaltungen der menschlichen Existenz verschont bleiben. In Romanen mit Titeln wie Ein Buchladen zum Verlieben, Die Sehnsucht des Vorlesers, Der fabelhafte Buchladen des Mr. Livingstone, Mein wunderbarer Buchladen am Inselweg, Der kleine Buchladen zum großen Glück, Meine wundervolle Buchhandlung und als Topping Penelope Fitzgeralds Die Buchhandlung wird der Illusion des falschen Glücks im kleinbürgerlichen Milieu jenseits des urbanen Molochs gefrönt. Und in Büchern wie The Bookseller’s Tale von Martin Latham (unter dem Label Particular Books unter dem Dach des gobalen Großkonzerns Penguin Random House vertrieben) inszeniert sich der Buchverkäufer als Großer Impressario der Buchkultur (die sich bei genauerem Hinsehen eher als vorläufig letzte Manifestation dessen erweist, was Dwight Macdonald einst als midcult verabscheute). In seinen »Bookshop Memories« schrieb George Orwell: »A bookseller has to tell lies about books, and that gives him distate for them; still worse is the fact that he is constantly dusting them and hauling them to and fro.« In grauer Vorzeit war der Buchladen – wie Peter Burke in seiner Studie A Social History of Knowledge: From Gutenberg to Diderot schreibt – ein Ort der Begegnung und des Austausches, der Ort für Neuentdeckungen, ein Ort, wo James Boswell auf Samuel Johnson stoßen konnte. In den Stationen von Thalia, Hugendubel und anderen Konzernen, wo »das Buch« eher »Beifang« im sonstigen Warenangebot ist, wird dies nicht stattfinden.
Die Prozesse der Veränderungen im Buchhandel versucht Ursula Töller in ihrer konzisen Abhandlung Buchhandel: Da, wo wir Bücher kaufen (die im Rahmen der Wallstein-Reihe »Ästhetik des Buches: Die Buchform und das Buch als Form« erschien) abzubilden, wobei sie jedoch auf den deutschsprachigen Raum und die dortigen Entwicklungen seit dem 16. Jahrhundert beschränkt. Thematisch beschränkt sie sich auf deutsche Buchhändler, Verleger und Autoren, widmet sich zwar auch der staatlichen Zensur, doch bleiben Themen wie Bücherverbrennungen oder bibliophile/bibliomanische/bibliokriminelle Absonderlichkeiten (wie sie beispielsweise in Arbeiten von Nicholas A. Basbanes, Andrew Piper oder Anders Rydell zum Ausdruck kommen) vollkommen unberücksichtigt.
Vor allem aber fehlt zur »kritischen Darstellung der Geschichte des Buchhandels« (die der Verlag hervorhebt) eine Berücksichtigung des »Mythos Maschine« (wie ihn Lewis Mumford und andere Autoren nach ihm beschrieben). So bleibt Töllers Abhandlung ein philologischer, von der herrschenden Realität abgekapselter Versuch. Mit Adorno gesprochen: »Philologie ist verschworen mit dem Mythos: sie versperrt den Ausweg.«
© Jörg Auberg 2022 (2022–02-22)