Auster Vor Auster
Rückblick auf Paul Austers frühe Poetische Versuche
Von Jörg Auberg
Ehe Paul Auster in der Mitte der 1980er Jahre mit seiner New Yorker Trilogie zu einem »Shooting Star« der US-amerikanischen Postmoderne aufstieg, durchlebte er im Jahrzehnt davor eine Existenz als dichtender Hungerkünstler. In einem seiner rückblickenden autobiografischen Texte – Hand to Mouth aus dem Jahre 1996 (den er nun wieder in seinem Band Groundwork aufnahm) – beschrieb er seine damalige Existenz als restloses Scheitern: Seine Ehe ging in die Brüche; er schlug sich mit permanenten Geldproblemen herum; und vor allem quälten ihn gescheiterte Schreibprojekte, die seine projektierte Schriftstellerkarriere an den Mauern der großen Verlagshäuser und Medienkonzerne zerschellen ließ.1
Wie Melville scheiterte Auster schon in den Anfängen an den großen Wellen des Kommerzes, an der großen weißen Masse des Publikumsgeschmacks. »Hierzulande gibt es keinen Unterschied zwischen dem wirtschaftlichen Schicksal und den Menschen selbst«, beobachteten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno im kapitalistischen »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« in den 1940er Jahren. »Keiner ist etwas anderes als sein Vermögen, sein Einkommen, seine Stellung, seine Chancen« Der Wert eines Menschen (der auf dem kapitalistischen Umschlagplatz als Ich-AG fungierte) bemaß sich am Umsatz, an Addition und Subtraktion – alles andere war Konversation, wie der marxistische Schriftsteller Abraham Polonsky den Box-Promoter Roberts in dem Film Body and Soul (1947) sagen ließ. Bei Horkheimer und Adorno reduzierte sich die US-amerikanische Erfahrung des wirtschaftlichen Versagens auf den Spruch. »I am a failure, sagt der Amerikaner. – And that is that.«2
In den autobiografischen Rückblicken, die Auster in dem Band Groundwork versammelt, zeichnet er sich als darbenden Künstler, der für seine artistische Existenz, ähnlich wie der junge erfolglose Schriftsteller in Knut Hamsuns Roman Hunger (1890) oder Jack Londons autobiografisch geprägte Figur Martin Eden im gleichnamigen Roman (1909), alles – selbst das eigene Leben – aufs Spiel setzt, um zu seinem Ziel zu gelangen. Aus einfachen Verhältnissen in New Jersey kommend, studierte er in den späten 1960er Jahren an der Columbia-Universität in New York, arbeitete auf einem Öltanker, ehe er mit einem Stipendium nach Paris ging, wo er sich als Übersetzer über Wasser hielt. Zusammen mit seiner ersten Frau Lydia Davis gab er ein »little magazine« namens Little Hand heraus und versuchte, einen kleinen Verlag gleichen Namens zu etablieren. 1972 debütierte er im US-amerikanischen Buchgeschäft mit einer Sammlung übersetzter surrealistischer Gedichte und kehrte zwei Jahre später nach New York zurück. Nach erfolglosen Unternehmungen in den 1970er Jahren reüssierte er 1982 mit einer Mischung aus Erinnerung und Reflexion über seinen verstorbenen Vater mit dem Titel The Invention of Solitude. Mit seiner innovativen New Yorker Trilogie in der Mitte der 1980er Jahre schließlich hörte er auf, ein »Versager« zu sein, und erklomm als erfolgreicher Schriftsteller immer neue Höhen, die ihn – den einstigen »Hungerkünstler« – für zwei Amtszeiten in den Jahren zwischen 2005 und 2007 in die oberen Funktionärsregionen des American PEN Center führte.3
Im Band White Spaces finden sich die poetischen Spuren Austers aus den Jahren zwischen 1970 und 1979, ehe er zum gefeierten Prosaautor der US-amerikanischen Postmoderne »mutierte«. Die ersten Gedichte haben die Materialien der Schöpfung und der Vergänglichkeit zum Thema: Wasser, Stein, Fels und Asche. In den kurzen Gedichten herrschen Momente der Dunkelheit, des Schmerzes, der Verlorenheit und der existenziellen Unbehaustheit vor: »God escapes through the interval«, heißt es an einer Stelle, und immer wieder verliert sich die Sprache in der Klandestinität oder in den Lügen an der Oberfläche der menschlichen Existenz. Der Sündenfall wird mit Babel assoziiert, und trotz aller Manipulationen mittels der Sprache (wie sie sich 1972 in der Wahl des notorischen Lügners Richard Millhouse Nixon manifestieren) bleibt für Auster immer nur die Errettung durch das Schreiben: »the short, human fuse of resistance«. Die Möglichkeiten des Widerstandes blieben begrenzt – sowohl für den im »Untergrund« lebenden Dichter der 1970er Jahre als auch für den vom Schriftsteller zum Terroristen mutierenden Benjamin Sachs, den Auster in seinem Roman Leviathan aus dem Jahre 1992 beschrieb.
In seinen Gedichten dominiert ein Ton düsterer Verzweiflung. Auster erinnert an Paul Celan, der vor dem Ertrinken eine Flaschenpost ins Wasser warf; das Echo der eigenen Stimme kehrt als Artikulation eines Fremden zurück, und am Ende zählt nur das Schweigen.4 Auch in seiner Textsammlung aus den Jahren 1967 bis 2017, Talking to Strangers, herrscht eine dunkle Stimmung vor: Knut Hamsun, Georges Bataille, Paul Celan, Franz Kafka und Samuel Beckett sind seine Begleiter: »Er verliert alles – selbst sich selbst«, heißt es dort.5 Am Ende erfand sich Auster jedoch mit der New Yorker Trilogie neu und fand einen Weg aus der Düsternis.
© Jörg Auberg 2020
Bibliografische Angaben:
Paul Auster.
White Spaces: Selected Poems and Early Prose.
New York: New Directions, 2020.
NDP 1475.
135 Seiten, $ 15,95.
ISBN: 978–0‑8112–2943‑2.
Paul Auster.
Talking to Strangers: Selected Essays, Prefaces, and Other Writings, 1967–2017.
New York: Picador/Henry Holt, 2019.
390 Seiten, $ 20.
ISBN: 978–1‑250–20629‑9.
Paul Auster.
Groundwork: Autobiographical Writings, 1979–2012.
New York: Picador/Henry Holt, 2020.
641 Seiten, $ 20.
ISBN: 978–1‑250–24580‑9.
Bildquellen (Copyrights) |
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Cover Hand to Mouth | © Faber & Faber |
Foto Auster-Bücher | © Jörg Auberg |
Cover Groundwork | © Picador |
Cover White Spaces |
© New Directions |
Nachweise
- Paul Auster, Groundwork: Autobiographical Writings, 1979–2012 (New York: Picador, 2020), S. 243 ↩
- Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, »Dialektik der Aufklärung«, in: Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 5, hg. Gunzelin Schmid Noerr (Frankfurt/Main: Fischer, 1987), S. 241 ↩
- Paul Auster, »The Art of Fiction«, Paris Review, Nr. 167 (Herbst 2003), https://www.theparisreview.org/interviews/121/the-art-of-fiction-no-178-paul-auster ↩
- Paul Auster, White Spaces (New York: New Directions, 2020), S. 5, 6, 22, 45, 62, 131 ↩
- Paul Auster, Talking to Strangers: Selected Essays, Prefaces, and Other Writings, 1967–2017 (New York: Picador, 2019), S. 15 ↩