Texte und Zeichen

Georg Seeßlen — Trump und Co.

G

Der »Horror-Clown« des Faschismus

Georg Seeßlen analysiert die Bandenherrschaft Donald Trumps

von Jörg Auberg

»Ame­ri­ka inter­es­sier­te mich, es ist das inter­es­san­tes­te Land«, sag­te der fran­zö­si­sche Film­re­gis­seur Lou­is Mal­le in einem Inter­view mit der Film­jour­na­lis­tin Chris­ta Maer­ker. »So ging es jeden­falls mir immer. Es gibt vie­le mons­trö­se Sachen hier. Scho­ckie­ren­des. Aber es gibt auch eine Vita­li­tät und Ener­gie.«1 Jedoch kann auch die Vita­li­tät scho­ckie­ren­de und mons­trö­se Momen­te zei­ti­gen, wie der hys­te­ri­sche Sturm auf Capi­tol im Janu­ar 2021 nach der Abwahl Donald Trumps demons­trier­te. In der Atta­cke arti­ku­lier­te sich nicht der Pro­test von Verlierer*innen, die vom demo­kra­ti­schen Estab­lish­ment sich genas­führt fühl­ten, son­dern die Stam­pe­de von hys­te­ri­sier­ten Trumpist*innen (wie etwa dem Ver­schwö­rungs­prak­ti­ker und »QAnon-Scha­ma­nen« Jacob Chans­ley), die das »Medi­en-Framing« der Spek­ta­kel­ge­sell­schaft adäquat bedien­ten. Der alte 1968er Slo­gan »The who­le world is wat­ching« wur­de poli­tisch umfunk­tio­niert und für den anti­de­mo­kra­ti­schen Auto­ri­ta­ris­mus mas­sen­me­di­al neu auf­ge­la­den.2

That was then (in Fiction)

 

This is now (in reality)

Disruption als neoliberales Kampfmittel

Georg Seeßlen: Trump & Co. (Bertz + Fischer, 2025)
Georg Seeß­len: Trump & Co. (Bertz + Fischer, 2025)

In sei­nem Buch Trump & Co betont der Kul­tur­kri­ti­ker Georg Seeß­len, dass »Dis­rup­ti­on« ein neo­li­be­ra­les Kampf­mit­tel sei. Ursprüng­lich beruh­te es auf dem Kon­zept der »krea­ti­ven Zer­stö­rung« des öster­rei­chi­schen Öko­no­men Joseph Schum­pe­ter, der es als Trieb­kraft der Inno­va­ti­on begriff. In ers­ter Linie war es (aus öko­no­mi­scher Per­spek­ti­ve) ein stän­di­ger Umstruk­tu­rie­rungs­pro­zess, bei dem bestehen­de »Geschäfts­mo­del­le« durch neue Pro­fit­ma­xi­mie­rungs­mo­del­le abge­löst wur­den.3 »Dis­rup­ti­on ist die neo­ka­pi­ta­lis­ti­sche Form von Klas­sen­kampf«, kon­sta­tiert Seeß­len; »die Gewin­ner machen den Ver­lie­rern gan­ze Bio­gra­fien und gan­ze Kul­tu­ren kaputt, und manch­mal ist das Kaputt­ma­chen selbst das ein­zi­ge Geschäfts­mo­dell.«4 In sei­ner Ana­ly­se des »Hor­ror­clowns des ame­ri­ka­ni­schen Faschis­mus« rekur­riert Seeß­len auf die The­ma­tik der »Blöd­ma­schi­nen«, wonach der »weit­läu­figs­te Roh­stoff des Kapi­ta­lis­mus« die »mensch­li­che Dumm­heit« sei.5 Für Seeß­len ist Trump kein sin­gu­lä­res Phä­no­men, son­dern Aus­druck einer Ent­wick­lung des poli­ti­schen Auto­ri­ta­ris­mus, die als Reak­ti­on auf die Ereig­nis­se der spä­ten 1960er Jah­re begann. Bereits das Team Richard Nixon/Spiro J. Agnew trug die anti-lin­ke Agen­da in Namen einer vor­geb­lich »schwei­gen­den Mehr­heit« vor sich her. »Ame­ri­ca is tired of pro­test. Ame­ri­ca is tired of Dani­el Ells­berg«, war der media­le Slo­gan den 1970ern.6 Nach einem kur­zen libe­ra­len Inter­mez­zo in der Prä­si­dent­schaft Jim­my Car­ters tri­um­phier­te schließ­lich der Neo­kon­ser­va­tis­mus in poli­ti­scher und kul­tu­rel­ler Form, wobei nicht zufäl­lig ehe­ma­li­ge »Frei­beu­ter« der Kul­tur­in­dus­trie wie Ronald Rea­gan oder Sil­vio Ber­lus­co­ni sich zu Poten­ta­ten ihrer jewei­li­gen Staats­un­ter­neh­men auf­schwan­gen, die zu Pro­to­ty­pen der Autokrat*innen des neu­en Jahr­hun­derts wur­den.7 Wie Dou­glas Kell­ner bereits 2016 her­vor­hob, ermög­lich­ten erst die Muta­tio­nen in Gesell­schaft, Poli­tik und Kul­tur eine Figur wie Donald Trump, der sich – auch mit Unter­stüt­zung der Spek­ta­kel-Agen­tu­ren im Medi­en­be­reich – als Wie­der­gän­ger Mus­so­li­nis insze­nier­te, wäh­rend die nega­ti­ven Aspek­te des Faschis­mus im dunk­len Hin­ter­grund der Kulis­sen ver­schwan­den.8

Herrschaft der Gang

Obwohl Seeß­len – in Anleh­nung an Umber­to Ecos Typo­lo­gie – auch auf die Merk­ma­le des Urfa­schis­mus wie Anti­mo­der­nis­mus, Irra­tio­na­lis­mus, Eli­tis­mus, Todes­kult oder Ver­schwö­rungs­theo­rie hin­weist9, ist sein pri­mä­res Refe­renz­sys­tem die Semio­lo­gie des Kinos, des Fern­se­hens und ande­rer Mas­sen­me­di­en­strö­me. Trump nimmt er in ers­ter Linie als »Gang-Lea­der« wahr, des­sen Zie­le sich in Berei­che­rung, Lust­be­frie­di­gung, Zer­stö­rung und Aus­wei­tung des Macht­ter­ri­to­ri­ums erschöp­fen. »Die Gang ist ein flüs­si­ge­res Modell der ter­ro­ris­ti­schen Herr­schaft«, kon­sta­tiert Seeß­len; »sie baut ihr Geflecht der Abhän­gig­kei­ten und der Erpres­sun­gen auf (ein Omer­tá-Gebot inklu­si­ve), bil­det Unter-Gangs und Alli­an­zen, ver­folgt aber auch ein Hit-and-Run-Kon­zept. Wo nichts mehr zu holen ist oder der Auf­wand zu groß, nimmt man sich ein ande­res Ziel vor.«10 In die­ser Beschrei­bung erin­nert Trump – mit Max Hork­hei­mer gespro­chen – an einen bru­ta­len »Gangs­ter­häupt­ling«, der »kei­ne Kri­tik ver­trägt und die ande­ren wie Dreck behan­delt, wenn sie nicht gera­de mäch­ti­ger sind als er«11.

Nehemiah Persoff als »Little Bonaparte« in Some Like it Hot (1959)
Neh­emi­ah Per­soff als »Litt­le Bona­par­te« in Some Like it Hot (1959)

Er ist die Reinkar­na­ti­on des Syn­di­kat-Chefs Litt­le Bona­par­te aus Bil­ly Wil­ders sati­ri­scher Komö­die Some Like it Hot (1959), der (als Vor­sit­zen­der der »Freun­de der ita­lie­ni­schen Oper«) wie Beni­to Mus­so­li­ni aus­sieht und agiert, dabei aber Zita­te aus Alex­an­der Popes Essay on Cri­ti­cism (»Irren ist mensch­lich, Ver­ge­ben gött­lich«) und dem Reper­toire des Chefs von Gene­ral Motors, Charles Wil­son, (»Was gut für das Land ist, ist gut für uns«) ver­wen­det.12 Trumps MAGA-Pro­jekt (Make Ame­ri­ca Gre­at Again) ist nicht mehr als der »Aus­wurf der bür­ger­li­chen Gesell­schaft« (wie es bei Karl Marx hieß), der Ver­such einer despe­ra­ten »Tote­n­er­we­ckung« ange­sichts glo­ba­ler Ver­wer­fun­gen und Kri­sen in öko­no­mi­scher, öko­lo­gi­scher, poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Hin­sicht, die auch mit einer rück­wärts­ge­wand­ten Restau­ra­ti­on ehe­ma­li­ger Macht­ver­hält­nis­se unter dem Kom­man­do alter wei­ßer Män­ner nicht aus der Welt geschaf­fen wer­den kön­nen.13

Szenenfoto aus The Public Enemy mit James Cagney und Mae Carke
Sze­nen­fo­to aus The Public Ene­my (1931) mit James Cagney und Mae Clarke

Den­noch greift die Reduk­ti­on der »trum­pis­ti­schen Auto­kra­tie« auf das Gang-Motiv aus der popu­lä­ren Mytho­lo­gie der Kul­tur­in­dus­trie zu kurz. »Die media­le Echo­kam­mer der Gang-Herr­schaft ist die ›Manos­phe­re‹«, ana­ly­siert Seeß­len, »ein Netz­werk der Miso­gy­nie und der patri­ar­cha­len Reak­ti­on, um die harm­lo­se­ren Aspek­te zu erwäh­nen, das Unter­grund­rau­schen zu Ver­ge­wal­ti­gungs- und Mord­fan­ta­sien, immer ver­bun­den mit ande­ren Aspek­ten der rech­ten Welt­er­zäh­lung, von libe­ra­len ›Eli­ten‹, ›tie­fem Staat‹ und mar­xis­ti­scher Unter­wan­de­rung.«14 Die miso­gy­ne Grund­struk­tur des reak­tio­nä­ren Sys­tems (die in Gangs­ter­fil­men wie The Public Ene­my oder The Big Heat vor­herr­schend ist) ist für Seeß­len in der rea­len Welt »ein inne­rer Kitt des all­ge­mei­nen und vul­gä­ren Trum­pis­mus«15, wobei er nicht the­ma­ti­siert, war­um diver­se Gesell­schafts­grup­pen – Frau­en, Afro-Amerikaner*innen, Lati­nos & Lati­nas – trotz aller Wider­sprü­che und wider­strei­ten­den Inter­es­sen für die auto­ri­tä­re Herr­schaft von Trump und sei­ner Gefolgs­leu­te stimm­ten oder war­um ein Poli­ti­ker aus New York City so ekla­tant gegen den his­to­ri­schen Cha­rak­ter einer Stadt agi­tie­ren kann, die von Beginn an mul­ti­eth­nisch und divers geprägt war.16

Der Krieg der Zeichen

Indem sich Seeß­len auf das »Nar­ra­tiv« aus der kul­tur­in­dus­tri­el­len Mytho­lo­gie kapri­ziert und bereits im Unter­ti­tel auf Ber­tolt Brechts Thea­ter­stück über Arturo Ui (»Es ist das Gangs­ter­stück, das jeder kennt!«17) rekur­riert, ver­nach­läs­sigt er poli­ti­sche, sozia­le und öko­no­mi­sche Dimen­sio­nen der auto­ri­tä­ren Herr­schaft. Zwar rückt er – mit Theo­dor W. Ador­no gespro­chen – »das sub­jek­tiv Nich­ti­ge und Schein­haf­te« des Auto­kra­ten in den Fokus, eska­mo­tiert aber zugleich das wirk­li­che Aus­maß der auto­ri­tä­ren Macht­über­nah­me.18 Im gefäl­li­gen Gere­de über Dis­ney­world, Star Wars, Super­he­ro-Comics, die Simpsons und James Bond ver­liert sich die kon­kre­te Ana­ly­se der rea­len Ver­hält­nis­se und lässt immer wie­der Trump als »Hor­ror-Clown« aus dem Sumpf der schwar­zen Lagu­ne blub­bernd auf­tau­chen. Beglei­tet wer­den die Beschrei­bun­gen der Tri­um­phe der »rech­ten Schar­la­ta­ne« von wabern­den Aus­sa­gen wie »Der liber­tä­re Auto­ri­ta­ris­mus ver­ab­schie­det sich bis zu einem gewis­sen Grad von den kon­ser­va­ti­ven Wer­ten« oder »Das Volk ist eine hys­te­ri­sier­te Mas­se, die sich unbe­dingt ver­ste­ti­gen will«. 19

Titelbild der Zeitschrift New Republic im Juni 2024
Titel­bild der Zeit­schrift New Repu­blic im Juni 2024

Poli­tisch bleibt Seeß­len nebu­lös. In sei­nem Nar­ra­tiv per­so­na­li­siert er zuvör­derst den his­to­ri­schen Ver­lauf. Sili­con-Mil­li­ar­dä­re wie Elon Musk, Mark Zucker­berg, Peter Thiel, Jeff Bezos und ande­re füh­ren den »Hor­ror-Clown« Trump wie eine Mario­net­te, sug­ge­riert Seeß­len, doch inwie­fern die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung auf die gesell­schaft­li­che Sphä­ren und ihr admi­nis­tra­ti­ves Per­so­nal ein­wirkt, fin­det in sei­ner Argu­men­ta­ti­on kei­ne Berück­sich­ti­gung.20 In sei­ner Erzäh­lung agie­ren stets nur kon­spi­ra­ti­ve Ein­zel­tä­ter, wäh­rend die Kon­zen­tra­ti­on gesell­schaft­li­cher Macht eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le spielt.21 Bereits in Trumps ers­ter Run­de für den US-Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf 2016 posi­tio­nier­te sich der rechts­li­ber­tä­re Pay­Pal-Begrün­der Thiel für die Nomi­nie­rung Trumps (»Trump war eine der bes­ten Inves­ti­tio­nen Thiels«22), bemerkt der Jour­na­list Mal­colm Har­ris in Palo Alto, sei­nem Buch über die kali­for­ni­sche IT-Indus­trie. Im zwei­ten Durch­gang schlos­sen sich sei­ne ehe­mals (mehr oder min­der) libe­ra­len Sili­con-Unter­neh­mer­freun­de – ohne wei­te­re Scham – dem Trump-Zug an. Bei Seeß­len fin­det die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung in den USA wie folgt ihren Nie­der­schlag: »Der Krieg der Zei­chen und der Bezeich­nun­gen hat sich von geschlos­se­nen Sys­te­men zu dyna­mi­schen Span­nun­gen ent­wi­ckelt; es geht nicht mehr um tra­di­tio­nel­le Bedeu­tung (eine direk­te Bezie­hung von Zei­chen und Bezeich­ne­ten), son­dern um affek­ti­ve Zustän­de, die sich gleich­sam ihren Zusam­men­hang selbst suchen.«23

Letzte Ausfahrt Poisonville

Über die tie­fer gehen­den sozia­len und poli­ti­schen Grün­de des momen­ta­nen Tri­um­phes reak­tio­nä­rer und neo­fa­schis­ti­scher Kräf­te in schweigt sich Seeß­len aus. Statt­des­sen repro­du­ziert er gän­gi­ge Kli­schees aus dem Reper­toire-Bau­kas­ten des hoch­mü­ti­gen Res­sen­ti­ments gegen das pro­vin­zi­el­le Ame­ri­ka. »Das hin­ter­wäl­der­lische, bigot­te und reak­tio­nä­re Ame­ri­ka […] schien Relikt und teils lie­bens­wer­te, teils gru­se­li­ge Enkla­ve für den back­wood Hor­ror oder Schau­platz von Klein­stadt-Idyl­len mit kau­zi­gem Typen-Reser­voir«, führt Seeß­len schon zu Beginn an, um den Mythos Ame­ri­kas als uni­ver­sa­les »Kraft­zen­trum von Demo­kra­tie und Libe­ra­lis­mus« zu »dekon­stru­ie­ren«. 24 Wie­der­um argu­men­tiert er aus der ein­ge­schränk­ten Per­spek­ti­ve des Pop­kul­tur-Kri­ti­kers, wäh­rend der Blick für die gesell­schaft­li­chen Rea­li­tä­ten eher bei­läu­fig ist. Seeß­lens Wahr­neh­mung der »Ver­ges­se­nen« oder des »white trash« wird über den Topos der »for­got­ten men« (ein gän­gi­ges Mus­ter aus den 1930er-Jah­ren) gesteu­ert, der vor allem im Best­sel­ler Hill­bil­ly Elegy des eins­ti­gen Trump-Kri­ti­kers und spä­te­ren Vize­prä­si­den­ten im Trump-II-Team, J. D. Van­ce, repe­tiert wur­de. Das Opus des ver­lo­ge­nen und oppor­tu­nis­ti­schen Schrei­ber­lings der »Red­necks« war auch für vor­geb­li­che Lin­ke wie den Ver­le­ger und Viel­schrei­ber Klaus Bit­ter­mann ein Modell, um gegen die Zeit­geist-Lin­ke zu agi­tie­ren. Für ihn war der Reak­tio­när Van­ce ein »groß­ar­ti­ger Autor, der ein­dring­lich und über­zeu­gend zu beschrei­ben ver­steht, wie ver­lo­ren und depres­siv der deklas­sier­te wei­ße Arbei­ter ist, aber auch wie wenig er sich unter­krie­gen lässt«, wobei er unum­wun­den zur eige­nen Recht­fer­ti­gung der Lob­hu­de­lei zugibt, dass das Buch »kei­ne sozio­lo­gi­sche Ana­ly­se« prä­sen­tier­te, da offen­bar zu vie­le sozia­le Fak­ten Van­ces sub­jek­ti­ve Beob­ach­tun­gen und Erin­ne­run­gen und das Lese­ver­gnü­gen von will­fäh­ri­gen Rezen­sen­ten (die sich an der ver­meint­li­chen Wirk­lich­keit der Ver­lie­rer delek­tie­ren woll­ten, ohne vom Degout des Ver­lie­rers umweht zu sein) nur stö­ren könn­ten.25

Arlie Russell Hochschild: Stolen Pride (New Press, 2024)
Arlie Rus­sell Hoch­schild: Sto­len Pri­de (New Press, 2024)

Wäh­rend Seeß­lens Ana­ly­se über die Ursa­chen der Anfäl­lig­keit der länd­li­chen Bevöl­ke­rung für auto­ri­tä­re Poli­tik­mus­ter in einem wabern­den semio­ti­schen Nebel ver­harrt (»Der poli­ti­sche Kampf wird vom Schlacht­feld der Inter­es­sen zum Schau­platz der Effek­te«26), wirft die Sozio­lo­gin Arlie Rus­sell Hoch­schild in ihrem Buch Sto­len Pri­de (2024) einen kon­kre­ten Blick auf die Beweg­grün­de der Trump-Gefolgs­leu­te in länd­li­chen Gebie­ten wie Ken­tu­cky. Ähn­lich wie in Dashiell Ham­metts Roman Red Har­ve­st, in dem poli­ti­sche Kor­rup­ti­on und loka­le Gangs­ter­herr­schaft in der Pro­vinz­stadt Per­son­ville ali­as Poi­son­ville ein­an­der bedin­gen, ist in Pik­e­ville in Ken­tu­cky der Zug in Rich­tung Trump-Sta­te längst abge­fah­ren. In Pik­e­ville resul­tiert der Tri­umph von Trumps MAGA-Bewe­gung weni­ger aus dem öko­no­mi­schen Pro­gramm Trumps, denn aus sei­ner Fähig­keit, ein »emo­tio­na­les Vaku­um« zu fül­len. In Pike Coun­ty konn­te Trump mit sei­ner reak­tio­nä­ren Agen­da tri­um­phie­ren (acht­zig Pro­zent der Bevöl­ke­rung stimm­ten für sein Pro­gramm, weil in der Gleich­zei­tig­keit des Ver­lusts von Arbeits­plät­zen im Berg­bau und dem Ein­strö­men von Opio­iden der Phar­ma­in­dus­trie die phy­si­sche und psy­chi­sche Balan­ce außer Kon­trol­le geriet), da Trump den Bedeu­tungs­ver­lust im sozia­len Gefü­ge mit mar­ki­gen Sprü­chen des star­ken Man­nes zu kom­pen­sie­ren ver­stand (obgleich er in der Ver­gan­gen­heit tat­säch­lich diver­se Unter­neh­men mit eige­ner Inkom­pe­tenz in die Insol­venz getrie­ben hat­te).27

Auch in Lou­is Mal­les US-ame­ri­ka­ni­schen Doku­men­tar­fil­men wie God’s Coun­try (1986), in denen sich der kon­ser­va­ti­ve Auf­bruch von Far­mern im Mit­tel­wes­ten von Min­ne­so­ta Ende der 1970er in der Des­il­lu­si­on mit der neo­li­be­ra­len Poli­tik der »Rea­gano­mics« aus­drück­te, exem­pli­fi­ziert sich das »echt ame­ri­ka­ni­sche Wider­spruchs­rät­sel«28 (wie es Fried­rich Engels Ende des 19. Jahr­hun­derts bezeich­ne­te): Homo­ge­ni­tät und Diver­si­tät, Kon­ser­va­tis­mus und rebel­li­scher Geist.29 Obgleich die »Mid­wes­ter­ners« von den »rech­ten Schar­la­ta­nen« und ihren Hilfs­trup­pen (wie sie bei Seeß­len titu­liert wer­den) als eine Mas­se von Sub­al­ter­nen vor­ge­führt wer­den, wird der New Yor­ker Trump von media­len Vasal­len als »Gats­by für unse­re Zeit« gefei­ert, wobei sei­ne auf­ge­bla­se­ne Vul­ga­ri­tät als Inbe­griff des Erfolgs ver­kauft wird. Wie schon bei Scott Fitz­ge­rald bli­cken nur gigan­ti­sche blaue Augen über das Aschen­tal eines aus­ge­zehr­ten Kapi­ta­lis­mus.30

The End is Near

John Bellamy Foster: Trump in the White House (2017)
John Bel­la­my Fos­ter: Trump in the White House (2017)

Obgleich Seeß­len mit sei­nem pop­kul­tu­rel­len Ansatz eini­ge Aspek­te des auto­ri­tä­ren Popu­lis­mus, wie er von Trump und ande­ren »Volks­tri­bu­nen« der Gegen­wart reprä­sen­tiert wird, mar­kant auf­leuch­ten lässt, bleibt er doch hin­ter der kri­ti­schen Ana­ly­se, wie sie John Bel­la­my Fos­ter, der Her­aus­ge­ber der lin­ken Zeit­schrift Month­ly Review, in sei­nem Buch Trump in the White House aus dem Jah­re 2017 vor­leg­te, weit zurück. »Das neo­fa­schis­ti­sche Mons­ter, ein­mal auf die Welt los­ge­las­sen, wird nicht ein­fach ver­schwin­den«31, schrieb Fos­ter damals. Die Ana­ly­se der ers­ten Trump-Run­de – mit han­dels­üb­li­chen Faschis­ten wie Ste­ve Ban­non oder Sebas­ti­an Gor­ka – hat sich aktu­ell über­lebt, da in Trumps Zir­kel momen­tan ultra­rech­te »Influencer*innen« wie Lau­ra Loo­mer oder »Büro­kra­tie-Kil­ler« wie Elon Musk (der nicht ein­mal die dunk­le Ele­ganz des Auf­trags­kil­lers Nel­se Macleod in Howard Hawks’ Abge­sang auf den alten Wes­ten, El Dora­do, auf­zu­wei­sen ver­mag) als Vertreter*innen eines neu­en »Tech­no-Faschis­mus« sich aus­to­ben kön­nen.32 Daher ist es ver­ständ­lich, dass Fos­ter sein Buch nicht ledig­lich über­ar­bei­ten und den neu­en Gege­ben­hei­ten anpas­sen möch­te, son­dern ein neu­es Buch über das Trump-Regime schrei­ben möch­te, das (laut Pla­nung) ent­we­der Ende 2025 oder Anfang 2026 erschei­nen wird.33 Aller­dings bleibt die Fra­ge, ob dies ange­sichts der hys­te­ri­sier­ten Ereig­nis­se in den USA nicht bereits zu spät sein wird.

© Jörg Auberg 2025

Bibliografische Angaben:

Georg Seeß­len.
Trump & Co.:
Der un/aufhaltsame Weg des Wes­tens in die Anti-Demokratie.
Ber­lin: Bertz + Fischer, 2025.
240 Sei­ten, 18 Euro.
ISBN: 978–3‑86505–779‑2.

Bild­quel­len (Copy­rights)
Video­zu­sam­men­fas­sung Donald Trump vor dem U.S. Con­gress, 4. März 2025 © The Guardian
Cover Trump & Co. © Bertz + Fischer
Sze­nen­fo­to Some Like it Hot Archiv des Autors
Sze­nen­fo­to The Public Enemy Archiv des Autors
Cover Ame­ri­can Fascism © New Republic
Cover Sto­len Pride © New Press
Cover Trump in the White House © Month­ly Review Press

 

Nachweise

  1. Chris­ta Maer­ker, Inter­view mit Lou­is Mal­le, 25. Okto­ber 1984, Los Ange­les, in: Lou­is Mal­le (Rei­he Film 34), hg. Peter W. Jan­sen und Wolf­ram Schüt­te (Mün­chen: Han­ser, 1985), S. 44–45
  2. Cf. Todd Git­lin, The Who­le World is Wat­ching: Mass Media in the Making & Unma­king of the New Left (Ber­ke­ley: Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia Press, 1980)
  3. Cf. çapul­cu Redak­ti­ons­kol­lek­tiv, Dis­rupt! Wider­stand gegen den tech­no­lo­gi­schen Angriff (Müns­ter: Unrast-Ver­lag, 2017), S. 11
  4. Georg Seeß­len, Trump & Co.: Der un/aufhaltsame Weg des Wes­tens in die Anti-Demo­kra­tie (Ber­lin: Bertz + Fischer, 2025), S. 14
  5. Cf. Jörg Auberg, »Roh­stoff Dumm­heit«, satt.org (5. Janu­ar 2013), https://www.satt.org/gesellschaft/13_01_kapital.html
  6. Git­lin, The Who­le World is Wat­ching, S.5
  7. Cf. John Ganz, When the Clock Bro­ke: Con Men, Con­spi­ra­cists, and How Ame­ri­ca Cra­cked Up in the Ear­ly 1990s (New York: Farr­ar, Straus and Giroux, 2024)
  8. Dou­glas Kell­ner, Ame­ri­can Night­ma­re: Donald Trump, Media Spec­ta­cle and Aut­ho­ri­ta­ri­an Popu­lism (Rot­ter­dam: Sen­se Publishers, 2016), S. 11
  9. Umber­to Eco, Der ewi­ge Faschis­mus, übers. Burk­hart Kroeber (Mün­chen: Han­ser, ³2020), S. 30–39
  10. Seeß­len, Trump & Co., S. 54
  11. Max Hork­hei­mer, »Noti­zen 1949–1969«, in: Schrif­ten, Bd. 6, hg. Alfred Schmidt (Frankfurt/Main: Fischer, 1991), S. 217
  12. Jef­frey Mey­ers, The Geni­us and the God­dess: Arthur Mil­ler and Mari­lyn Mon­roe (Lon­don: Arrow Books, 2010, ePub-Ver­si­on), S. 216, 341–342Fn
  13. Karl Marx, »Der acht­zehn­te Bru­mai­re des Lou­is Bona­par­te«, MEW, Bd. 8 (Ber­lin: Dietz, 2009), S. 116, 123; Robert Misik, »Donald Bona­par­te«, taz, 19. Febru­ar 2025, S. 12. Zur Popu­la­ri­tät Mus­so­li­nis in den USA cf. John P. Dig­gins, Mus­so­li­ni and Fascism: The View from Ame­ri­ca (Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 1972), und Katy Hull, The Machi­ne Has a Soul: Ame­ri­can Sym­pa­thy with Ita­li­an Fascism (Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2021)
  14. Seeß­len, Trump & Co., S. 58
  15. Seeß­len, Trump & Co., S. 59
  16. Fre­de­rick M. Bin­der und David M. Rei­mers, All the Nati­ons Under Hea­ven: An Eth­nic and Racial Histo­ry of New York City (New York: Colum­bia Uni­ver­si­ty Press, 1995)
  17. Ber­tolt Brecht, Der auf­halt­sa­me Auf­stieg des Arturo Ui (Ber­lin: Suhr­kamp, 1965), S. 9
  18. Theo­dor W. Ador­no, Noten zur Lite­ra­tur, hg. Rolf Tie­de­mann (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1981), S. 417
  19. Seeß­len, Trump & Co., S. 118, 123, 130
  20. Zum Ein­fluss von »sozia­len Medi­en« auf die poli­ti­sche Dis­kurs­fä­hig­keit cf. Siva Vaid­hya­nathan, Anti­so­cial Media: How Face­book Dis­con­nects Us and Under­mi­nes Demo­cra­cy (New York: Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2018); Andrew Marantz, Anti­so­cial: How Online Extre­mist Bro­ke Ame­ri­ca (Lon­don: Pica­dor, 2019)
  21. Cf. Georg Seeß­len, »Mum­pizm rel­oa­ded, oder die Welt sucht den Super-Influen­cer«, kon­kret, 2/2025 (Febru­ar 2025), S. 28–29
  22. Mal­colm Har­ris, Palo Alto: A Histo­ry of Cali­for­nia, Capi­ta­lism, and the World (Lon­don: River­run, 2022), S. 604
  23. Seeß­len, Trump & Co., S. 161–162
  24. Seeß­len, Trump & Co., S. 11
  25. Klaus Bit­ter­mann, »Die letz­te Zuflucht der Ver­lie­rer«, taz, 24. Juni 2017, S. 12; zur kri­ti­schen Ein­ord­nung sie­he Nan­cy Isen­berg, »Left Behind«, New York Review of Books, 65:11 (28. Juni 2018), https://www.nybooks.com/articles/2018/06/28/left-behind-hillbilly-elegy-appalachia/
  26. Seeß­len, Trump & Co., S. 95
  27. Arlie Rus­sell Hoch­schild, Sto­len Pri­de: Loss, Shame, and the Rise of the Right (New York: New Press, 2024); Sarah Jones, »Pri­de and Pre­ju­di­ce«, Dis­sent, 72:1 (Win­ter 2025):127–130; Roger Bybee, »Rural Shame Helps Fuel Trump Back­ing by Poor«, New Poli­tics, 20:2 (Win­ter 2025):152–154; Dashiell Ham­mett, The Mal­te­se Fal­con – The Thin Man – Red Har­ve­st (New York: Everyman’s Libra­ry, 2000), S. 437
  28. Fried­rich Engels, »Die Arbei­ter­be­we­gung in Ame­ri­ka«, MEW, Bd. 21 (Ber­lin: Dietz, 2023), S. 340; http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_335.htm
  29. Peter Hou­ri­gan, »The Docu­men­ta­ries of Lou­is Mal­le«, Sen­ses of Cine­ma, Nr. 45 (Novem­ber 2007), https://www.sensesofcinema.com/2007/dvd/louis-malle-documentaries/; Pau­li­ne Guedj, Lou­is Mal­le: Regards sur l’Amérique (Niz­za: Les Edi­ti­ons Ova­dia, 2020), S. 192
  30. Seeß­len, Trump & Co., S. 118; Greil Mar­cus, Under the Red White and Blue: Patrio­tism, Disen­chant­ment and the Stub­born Myth of the Gre­at Gats­by (New Haven: Yale Uni­ver­si­ty Press, 2020), S. 82; F. Scott Fitz­ge­rald, The Gre­at Gast­by (New York: Everyman’s Libra­ry, 2021), S. 20
  31. John Bel­la­my Fos­ter, Trump in the White House: Tra­ge­dy and Far­ce (New York: Month­ly Review Press, 2017), S. 115
  32. Robin Wood, Howard Hawks (Lon­don: BFI, 1983), S. 158–159; Kyle Chay­ka, »Tech­no-Fascism Comes to Ame­ri­ca«, New Yor­ker, 26. Febru­ar 2025, https://www.newyorker.com/culture/infinite-scroll/techno-fascism-comes-to-america-elon-musk
  33. John Bel­la­my Fos­ter, Mail an den Autor, 21. Febru­ar 2025

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Jörg Auberg - Writer, critic, editor, publisher