Marotten eines Kleinverlegers
Benno Käsmayr legt eine Anthologie aus der Geschichte des Maro-Verlages vor
von Jörg Auberg
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]
Time reflected back a worn out piece of trade.
William S. Burroughs1
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]
Aus den Tiefen der Zeit taucht eine Flaschenpost des Maro-Verlages auf, gespickt mit Texten aus einer vierzigjährigen Vergangenheit. Gegründet wurde der Verlag im Jahre 1969 von Benno Käsmayr und Franz Bermeitinger, doch erst ein Jahr später begann die Buchproduktion mit Arbeiten von Tiny Stricker, Jörg Fauser und anderen »Underground«-Literaten der frühen 1970er Jahre, die ihren Ort jenseits des etablierten Literaturbetriebs suchten.
[otw_shortcode_quote border_style=“bordered” background_pattern=“otw-pattern‑5” background_color=“#000000”]Wir müssen rekapitulieren, dass es 1970 viele Dinge nicht gab, die heute für jeden selbstverständlich sind: keine Fotokopiergeräte, keinen Computer. Das Einzige, was es gab, um Texte, außer im Handsatz oder Maschinensatz machen zu lassen, war eine Schreibmaschine von IBM, die Buchstabenabstände variieren konnte, wie man es von der Satzästhetik her gewohnt ist. – Benno Käsmayr (2004)2 [/otw_shortcode_quote]
[otw_shortcode_quote border_style=“bordered” background_pattern=“otw-pattern‑5”]Maro, für Käsmayr bis zur Magisterprüfung 1974 mehr Hobby als Beruf, ist bis heute eins der wenigen zu jener Zeit entstandenen Pflänzchen, das weiter gedeiht, allerdings nach wie vor auf vollkommen anderen Level als die Majors. – Matthias Penzel und Ambros Waibel (2004)3[/otw_shortcode_quote]
Maro bewegte sich auf den Spuren der legendären Acid-Anthologie, die Rolf Dieter Brinkmann und Ralf-Rainer Rygulla 1969 im Jörg Schröders März-Verlag herausbrachten und eine frühe Kartografie der US-amerikanischen Postmoderne der 1960er Jahre in deutscher Ausgabe vorlegten. Damit wanderten Positionen einer noch von einem gesellschaftskritischen Impetus durchtränkten Postmoderne in den bundesrepublikanischen Raum ein, welche der traditionellen Linken zumindest suspekt waren. Bereits in den späten 1950er Jahren unterstellte der linke New Yorker Intellektuelle Irving Howe den Autoren der US-amerikanischen Gegenkultur (die damals unter der Flagge der Beatniks segelten), sie wollten sich dem gestaltlosen Alptraum in Kalifornien mit einer utopischen Kommune der »Know-Nothings« entziehen.4 Ein Jahrzehnt später, als die außerparlamentarische Opposition die selbst gestellte »Organisationsfrage« mit einer hysterisierten Militanz oder der Gründung neuer »Arbeiterparteien« beantwortete, lief das literarische Programm des Maro-Verlags konträr zum »Projekt« einer »sozialistischen Literatur«. Auch nach dem Ende der hochfliegenden Hoffnungen einer wie auch immer gearteten Revolution, als sich die selbsternannten Revolutionäre in einer »Tendenzwende« der »neuen Sensibilität« zuwandten5, operierte der Maro-Verlag jenseits des etablierten Literaturbetriebs der Bundesrepublik.
In den frühen 1970er Jahren ebnete Maro Autoren wie Tiny Stricker oder Jörg Fauser die Bahn, öffnete aber auch die deutschen literarischen Schleusen für Jan Kerouac, Ronald Koertge oder Gilbert Sorrentino. Der größte Maro-Fang blieb freilich Charles Bukowski, den große Verlage lange Zeit ignorierten, ehe er in den 1970er und 1980er Jahren zum Bestseller-Autor in seinem Geburtsland wurde. Die Verbindung zu Bukowski erfolgte über Carl Weissner, Jörg Fauser und Jürgen Ploog, die Macher der Underground-Zeitschrift Gasolin 23, in der schon frühe erste Übersetzungen Bukowskis erschienen.
[otw_shortcode_quote border_style=“bordered” background_pattern=“otw-pattern‑5”]Gerade brandet Kollege Charles Bukowski mit einem neuen Sammelbändchen mit dem Titel Kaputt in Hollywood (Maro Verlag) herein. Ich grause mich, lache aber sofort auch vor Vergnügen, denn Bukowski, aus Andernach stammend, doch gottlob nur noch amerikanisch schreibend (die Übersetzungen von Carl Weissner sind phänomenal, als habe er nachts mitgetrunken und mitgejazzt auf der Maschine), ist ein Nachfahre von Louis Ferdinand Céline, dem vehementesten Haß-Dichter, den ich kenne und der mir genützt hat. Bukowski sagt sarkastisch wahr, was wir nicht auszusprechen wagen. Er sehnt sich nach Utopie, dieser verzweifelte Säufer, hat jedoch noch ständig mit der Zertrümmerung zu tun. Seine Lehre heißt: Die Amerikaner werden es nicht schaffen, daß die ganze westliche Welt wie sie wird. Welch kühne Verheißung! – Günter Herburger (1977)6[/otw_shortcode_quote]
In der von Benno Käsmayr herausgegebenen Anthologie Marotte wird diese Geschichte noch einmal lebendig. Eröffnet wird der Band mit einem Text von Jörg Schröder und Barbara Kalender, der an die Zusammenarbeit mit Käsmayr im Jahre 1990 erinnert, als sie einen kompetenten Drucker für das work in progress Schröder erzählt suchten. Natürlich fehlen nicht Arbeiten von Maro-Cashcows wie Bukowski, Tiny Stricker oder Texte von US-amerikanischen Autoren wie Jim Morrison, John Fante, Gerald Locklin oder Gilbert Sorrentino, der in Mulligan Stew fiktive Ablehnungsbriefe für einen fiktiven Roman vorstellt. In Erinnerung bleibt auch die Reminiszenz Michael Schultes an einen Besuch bei dem legendären Kleinverleger Victor Otto Stomps in seinem Domizil im Taunus im Jahre 1965, das vor Büchern, Manuskripten, Unterwäsche, Schnapsgläsern, Orangenschalen und anderen Überresten der alltäglichen Existenz überquoll, während Stomps seinem Gast stolz erklärte, er habe am Tag vorher aufgeräumt. »Das bleibt«, schreibt Schulte, »einer der rätselhaftesten Sätze, die ich in meinem Leben gehört habe.«7
Glanzpunkte der Anthologie sind jedoch zwei Texte des viel zu früh verstorbenen Carl Weissner, der nicht allein Generationen von Lesern den literarischen Kosmos von Nelson Algren, William S. Burroughs und Charles Bukowski eröffnete, sondern selbst ein produktiver Autor war, der häufig jedoch hinter dem »Literaturvermittler« verschwand.8 Im ersten Beitrag, der im Jahre 2004 im Magazin Rolling Stone veröffentlicht wurde, zeichnet er ein scharf gezeichnetes Porträt Jörg Fausers. Im zweiten Text, der ursprünglich das Vorwort zu Harold Norses Buch Beat Hotel aus dem Jahre 1975 darstellte, beschreibt er das kleine Hotel im Pariser Quartier Latin, in dem viele Autoren der Beat Generation und Avantgardisten wie William Burroughs und Brion Gysin ihr Quartier bezogen. Dort entstand schließlich die Collagetechnik der »Cut-Up-Methode«, mit der Burroughs in der ersten Hälfte der 1960er Jahre seine Nova-Trilogie produzierte (The Soft Machine [1960], The Ticket That Exploded [1962] und Nova Express [1964]). »Was für ein irrsinniger Witz in diesen Büchern steckt (und was für eine Knochenarbeit die konsequente Anwendung der Cut-Up-Methode dem Schreiber abverlangt)«, schrieb Weissner, »kann man leider nur ermessen, wenn man die Originaltexte liest – die deutschen Übersetzungen sind derart grauenhaft, dass es einem die Löcher in den Socken zusammenzieht.«9 Erst als Weissner später die Burroughs-Werkausgabe bei Zweitausendeins herausgab, erschien zumindest Nova Express in einer kongenialen Übertragung, während The Soft Machine und The Ticket That Exploded keine Neuübersetzung erfuhren.
Mit den Übersetzungen US-amerikanischer Autoren lieferte Maro nicht immer großartige Arbeit ab, wie Jörg Fauser in einer zornigen Rezension von John Fantes Ich, Arturo Bandini und Ronald Koertges Boogeyman aus der Maro-Produktion anprangerte. Die Übertragungen machten die Romane »schlicht unlesbar«, schrieb er voller Wut. »Entweder man ist Verleger, oder man ist keiner. Entweder man übersetzt Bücher, oder man läßt es bleiben. Wenn man es aber macht, dann macht man es so gut, daß die Leute, die 20 Mark für ein Buch hinlegen, für ihre 20 Mark so gut bedient werden, wie sie das verlangen können.«10 Leider fehlt der Anthologie eine selbstkritische Reflexion über die Buchproduktion in den zurückliegenden Jahrzehnten. Stattdessen hält der Autodidakt Käsmayr starrköpfig an den alten Idealen des Druckers fest, der irgendwann in die Position des Verlegers rutschte. In die Welt der marktkonformen Verlagskonzerne, wie sie sich alljährlich auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren, wollte er nicht abtauchen.
[otw_shortcode_quote border_style=“bordered” background_pattern=“otw-pattern‑5”]Es gab dann später durchaus Übernahmeversuche, da kamen Leute, die das Handwerk gelernt hatten und bei mir einsteigen wollten. Als die dann aber sahen, welche Philosophie vertreten habe, sind die alle abgesprungen. […]. Die gehen ja davon aus, bei einer Auslieferung verursacht jeder Titel jeden Monat so und soviel Lagerkosten. Deshalb gibt es ja dieses Verramschen, Kaputtmachen, Makulieren, oder wie die das nennen, das habe ich ja nie gemacht. So ticke ich nicht. – Benno Käsmayr (2008)11[/otw_shortcode_quote]
Da Käsmayr anders als die anderen tickt, ist Marotte nicht einfach eine Wiederaufbereitung von exemplarischen Texten aus den letzten vier Jahrzehnten. Vielmehr erhält jeder einzelne Text eine besondere Note dadurch, dass die Gestaltung in Zusammenarbeit mit Studierenden der Hochschule Augsburg erfolgte. So weisen die Texte aufgrund interpretatorischer Designs über ihre historischen Kontexte hinaus und stellen eine Verbindung zur Gegenwart her, ohne im nostalgischen Schlick der Vergangenheit zu verenden. Darin besteht die außerordentliche Leistung dieser Anthologie.
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]
Bibliografische Angaben:
Benno Käsmeyr (Hg.):
Marotte.
Gestaltung: Studierende der Hochschule Augsburg (Tatjana Burke, Janina Hellmig, Paul Christ, Antonia Kern, Lisa Krischke, Julius Ertelt, Jacky-Loreen Rasch, Jan Lachenmair, Franziska Binzer, Tatjana Junker, Stefania Puie, Regina Bissinger, Alina Mirwald, Franziska Binzer, Julia-Kristina Szigheti, Zeynep Tokdemir, Mona Kurland; Betreuung: Michael Wörgötter).
Augsburg: Maro Verlag, 2016. 208 Seiten, 15 Euro.
© Jörg Auberg 2016
[otw_shortcode_content_box title=“Bildquellen” title_style=“otw-regular-title” content_link_color=“otw-blue-link” title_color=“otw-aqua-text” icon_type=“general foundicon-photo”]Cover der Acid-Antholgie — Jörg Schröder, Barbara Kalender und Jan-Frederik Bandel: Immer radikal, niemals konsequent. Der März Verlag – erweitertes Verlegertum, postmoderne Literatur und Business Art. Hamburg: Philo Fine Arts, 2011.
Cover Gasolin 23 — RealityStudio.org
Cover Marotte — Maro Verlag 2016
Maro-Verlagsanzeige — aus: William S. Burroughs, Die alten Filme. Frankfurt/Main: Fischer, 1983.
Lesezeichen Marotte — Maro Verlag 2016
[/otw_shortcode_content_box]
Nachweise
- William S. Burroughs, »Cobble Stone Gardens«, in: The Burroughs File (San Francisco: City Lights Books, 1984). S. 223 ↩
- Benno Käsmayr, »Auf den Bukowski gekommen«, http://www.bukowski-gesellschaft.de/data/jahrbuch/_bjuk2005_027-033_Benno-Kaesmayr2_.pdf, S. 27 (Orthographie angepasst – JA) ↩
- Matthias Penzel und Ambros Waibel, Rebell im Cola-Hinterland: Jörg Fauser – eine Biografie (Berlin: Edition Tiamat, 2004), S. 63 ↩
- Irving Howe, »Mass Society and Postmodern Fiction«, Partisan Review, 26:3 (1959), S. 435 ↩
- Cf. Michael Schneider, Den Kopf verkehrt aufgesetzt oder Die melancholische Linke: Aspekte des Kulturzerfalls in den siebziger Jahren (Darmstadt: Luchterhand, 1981) ↩
- Günter Herburger, »Ich habe gelesen«, Konkret, Nr. (Februar 1977), S. 35 ↩
- Michael Schulte, »Besuch bei V. O. Stomps«, in: Marotte, hg. Benno Käsmayr (Augsburg: Maro, 2016), S. 118–119 ↩
- Cf. Matthias Penzel, »Bibliography of Carl Weissner Translations«, http://realitystudio.org/publications/death-in-paris/bibliography-of-carl-weissner-translations/ ↩
- Carl Weissner, »Beat Hotel«, in: Marotte, S. 59; die Burroughs-Übersetzungen von Peter Behrens erschienen im Limes-Verlag und in der Taschenbuch-Version bei Ullstein ↩
- Jörg Fauser, »Eine Art von Zorn« (1982), in: Fauser, Der Strand der Städte: Gesammelte journalistische Arbeiten 1959–1987, hg. Alexander Wewerka (Berlin: Alexander Verlag, 2009), S. 658–659 ↩
- Frank Schäfer, »›Ich bin ein Micky-Maus-Heft‹: Interview mit Benno Käsmayr«, Zeit Online, 3. April 2008, in: Marotte, S. 201 ↩
Die »Marotten« habe ich auch gerne gelesen. Insgesamt ein schöner Scheinwerfer auf gute Texte, die es verdient haben nicht vergessen zu werden.
Allerdings habe ich es als literarisches Magazin verstanden, ist es wirklich eine Anthologie? Fehlen dann nicht viele wichtige Texte aus dem Programm?
Der Begriff “Literarisches Magazin” impliziert für mich einen periodischen Charakter, der auf Marotte meines Erachtens nicht zutrifft. Zudem würde ich von einem “literarischen Magazin” erwarten, dass dort Texte publiziert werden, die nicht bereits an anderer Stelle erschienen.
Das Wesen der Anthologie definiert sich über “Lücken”: Die Auswahl der Texte soll einen Querschnitt der Produktion reflektieren, ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu erfüllen.
Wie es so ist im Leben: Irgendwann stößt man auf einen Begriff, der genau auf den Tag und seiner Stimmung passt: heute war es “Maro”. Ein glücklicher “Zufall”? Wohl kaum. Der Pfeil trifft sein Ziel.