Ungenügend
Bert Rebhandls Godard-Biografie
Von Wolfram Schütte
Jean-Luc Godard ist unter den Filmmachern, was Picasso unter den Bildenden Künstlern war: »Der permanente Revolutionär«. Zutreffend für das heute kaum noch zu überblickende Oeuvre des Neunzigjährigen lautet so der Untertitel der Biographie, die der 1964 geborene österreichische Filmkritiker Bert Rebhandl dem französischen Regisseur widmete.
Seit dem von P.W.Jansen & mir herausgegebenen Band 19 der Reihe Hanser – er ist 1979 erschienen, wurde von 6 Autoren bestritten & ist längst vergriffen – hat niemand mehr in der deutschsprachigen Filmpublizistik sich einlässlich mit dem seit 1980 im schweizerischen Rolle, am Genfer See, zusammen mit seiner dritten Lebensgefährtin Anne-Marie Miéville lebenden & arbeitenden Filmmacher beschäftigt. Obwohl der aus einer französisch-schweizerischen Großbürgerfamilie stammend JLG nach dem Ende seiner »klassischen« Kino-Filme 1968 numerisch wesentlich mehr Arbeiten bis in die Gegenwart realisieren konnte, ist er jedoch im Kino niemals mehr so dominant gewesen wie zwischen 1960 (À bout de souffle) & 1968 (Le Gai Savoir & Weekend).
Rebhandl hat Godards unermüdliches solitäres Schaffen, das im Gegensatz zu allen seiner zeitgenössischen Kollegen & Kolleginnen immer auch (& je länger, desto intensiver) die materiell-technische Entwicklung des audiovisuellen Mediums mitvollzog, experimentell erforschte, erprobte & vorantrieb, in 7 historischen Phasen verankert. Deren erste, die von 1950 bis 1959 reichte, bestand hauptsächlich aus seinen Filmkritiken im Kreis seiner zumeist gleichaltrigen Pariser Freunde, die sich zur später weltweit Ton angebenden Nouvelle Vague zusammentaten. Der originellste, phantasievollste & auch arroganteste unter ihnen war JLG, wie er sich selbst aus den Anfangsbuchstaben seines Namens zum Begriff machte.
Als der dreißigjährige Godard 1960 mit À bout de souffle seine Filmmacher- Karriere begann, hatte er auf Anhieb die Kinodebuts seiner Freunde Truffaut, Chabrol, Rivette ed. al. übertrumpft – weil nicht nur die amoralisch-pessimistische Lakonie des plein-air-Films mit der Entdeckung des Schauspielers Jean Paul Belmondo dafür sorgte, sondern auch die Kameraarbeit Raoul Coutards & noch mehr durch Schnitt & Montage von Godards anti-illusionistischer, gewissermaßen »ungehobelter« Erzählweise für Aufsehen sorgte.
In den 8 folgenden Jahren entstand das immer kontroverse, um nicht zu sagen (wertfrei verstanden): spektakuläre Oeuvre Godards, das das Ansehen & ‑hören des Films im Kino durch eine bis dahin ungeahnte Erweiterung & Instrumentalisierung seiner ästhetischen Möglichkeiten spielerisch-ironisch revolutionierte — & sogar in die empirische Realität zurückstrahlte. Seismographisch bildeten Godards Filme die politischen Entwicklungen & Verwerfungen der westlichen Nachkriegsgesellschaften, die weltpolitischen Konflikte, Kriege, Befreiungsbewegungen & den »Consumismo« (Pasolini) der »Kinder von Karl Marx & Coca Cola« ab & reflektierten zugleich die Entwicklung der audio-visuellen Medien, deren materielle Produktion, ästhetische Ambiguität & soziale Rezeption.
Wie andere Filmemacher seiner Generation (z.B. Glauber Rocha oder Pasolini) »engagierte« sich Godard auch politisch – allerdings politisch-ästhetisch radikaler & folgenreicher als alle anderen: bis zu seinem persönlichen Verschwinden hinter der Fiktion des linksradikal-maoistischen Kollektivs »Dziga Vertov«, das aber im Wesentlichen, nach Godards eigenen Worten, nur aus ihm & Jean-Pierre Gorin bestand, der JLG mit der zeitgenössischen revolutionären französischen Philosophie bekannt machte.
Rebhandl nennt diese Zeit »Revolutionskino«, das nach apokryphen Semidokumentar & Essayfilmen durch die Mitwirkung von Yves Montand & Jane Fonda mit dem dadurch herbeigeführten internationalen Erfolg von Tout va bien (1972) endet, bevor Godard – von Paris nach Grenoble gezogen — sich vornehmlich der Video-Produktion & dem Fernsehen zuwendete (bis 1980). Erst danach kehrt er wieder zum Kino(-Film) zurück & wurde mit Miéville in Rolle ansässig Zugleich hatte er für die sozialistische Regierung Mozambiks deren Fernsehstruktur aufgebaut & seine vielteilige subjektive Geschichte des Films in Angriff genommen.
Alle medialen Entwicklungen, Ups & Downs seiner Autorenbiografie hingen sowohl von seinen persönlichen Interessen als auch von prekären Produktionsbedingungen ab, weil er mit seinem linksdogmatischen Engagement ebenso wie mit seiner komplexen Ästhetik jedem Produzenten signalisierte, keine kommerziellen -, oder gar Mainstream-Filme herstellen zu wollen. Dennoch fand JLG immer wieder Produzenten, die sich auf das Risiko Godard (& dessen Eigenwilligkeiten) einließen & auch prominente Schauspieler, die sich gewissermaßen »geadelt« fühlten, in einem Godard-Film auftreten zu dürfen..
Godards Spätwerk, das Rebhandl in zwei Phasen von 1980–1996 & 1997–2020 segmentiert, bewegt sich digital auf einen radikalen Solipsismus & ein lyrisches Selbstgespräch zu, die seine letzten Filme derart intim & rätselhaft machen, dass man sowohl an den späten Beethoven als auch den ultimativen Beckett denken muss, um vergleichbar selbstversunkene Spätestwerke in der Kunstgeschichte zu finden – sofern man Godards Arbeiten heute überhaupt noch (außer bei ihrem Debüt auf einem Filmfestival) öffentlich zu sehen bekommt.
Ohne Zweifel gehört eine Godard-Biographie, die auf der geistigen Höhe des Porträtierten sich bewegen sollte, zu den schwierigsten biografistischen Vorsätzen & journalistischen Aufgaben der Gegenwart. Wie Rebhandl in seiner Vorbemerkung erwähnt, haben sich bislang ein britischer, ein US-amerikanischer & ein französischer Autor daran gewagt. Als letzter & jüngster steht der Österreicher ohne Zweifel auf deren Schultern. Ob er damit, wie der antike Aphorismus behauptet, selbst als Zwerg weiter sähe als seine drei Vorgänger, weiß ich nicht, ebenso wenig, ob z.B. die eigenartige Periodisierung des Oeuvres nach Godards erotischen Beziehungen zu Anna Karina, Anne Wiazemsky & (am längsten) zu Anne-Marie Miéville nun auf Rebhandls Mist gewachsen ist oder »nur« von einem seiner Vorgänger adaptiert wurde.
Biographisch dürfte das irreparable Zerwürfnis (1973) zwischen den engen Freunden Godard & Truffaut mehr sein als der Hahnenkampf eines neidischen Machos mit einem vielgeliebten Frauenflüsterer. Von der konkurrenzlogischen Radikalität, die der Sohn aus großbürgerlichem calvinistischem Elternhaus als sein künstlerisches Lebensprinzip verfolgte, musste das brillante Erzählkino des Kleinbürgers Truffaut wie ein langsamer Rückschritt zur einst verhassten »tradition de qualité« des französischen Films erscheinen, gegen den die Nouvelle Vague auf breiter Front angebrandet war. Eine außerordentliche Liebe zur Literatur haben beide. Truffaut eher zur spätromantischen europäischen Literatur, Godard mehr zur philosophisch-essayistischen Schriftkultur – mit besonderer Hinwendung zur deutschen Literatur des frühen 19. Jahrhunderts.
Leider hat das Buch Bert Rebhandls aber ein fundamentales Manko: der Autor besitzt weder eine beschreibend-evokative Sprache, um einen Film zu resümieren, noch die notwendige Ökonomie, zwischen wichtigen & unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Ein paar Bespiele:
Am Ende von Une femme mariée besuchen die verheiratete Frau & ihr Liebhaber, der Pilot, ein Flughafen-Kino. Dort sehen sie Alain Resnais’ Dokumentarfilm Nuit et brouillard. Rebhandl schreibt: »den Film über die Konzentrationslager, in dem die Perspektive der französischen Deportierten so wichtig war (Eine rätselhaften Bemerkung, kursiviert von mir).
Rebhandl fährt dann fort:« Wenn in Une femme mariée zum ersten Mal das Wort Auschwitz fällt, reagiert Charlotte mit einer Fehlleistung. Sie spricht von Thalidomid, also von dem Medikament, das die Missbildungen bewirkte, die im Contergan-Skandal 1961/62 aufgedeckt wurden. Roger Leenhardt korrigiert sie, ohne dass sie darauf reagiert. Charlottes Bestimmung als Gegenwart wird so auch zu einer Bestimmung der Konsummoderne — sie ist präsentisch, ohne Gestern und Morgen, und steht damit der Vergangenheitsbewältigung entgegen (…) Auch auf Nuit et brouillard reagiert Charlotte nicht, und so führt die Affäre mit Robert zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Eine Hand ergreift eine Hand – und schiebt sie weg: Oui, c’est fini. Was ist zu Ende? Ein Versuch, in einer Liebe die Gegenwart einzuholen«. So what?
Alphaville, fällt ihm ein, »ist ein Science-Fiction-Film, der ohne Spezialeffekte auskommt: alle technischen Verfahren sind solche des Mediums Film, das künstlerische Verfahren ist eines der Verfremdung. Das Paris von À bout de souffle ist auch das von Alphaville – und doch sieht es ganz anders aus. Das hat mit den Schauplätzen zu tun (gedreht wurde vornehmlich in La Défense, dem Stadtviertel im Westen von Paris, in dem sich die Geschäftswelt neue Architekturen geschaffen hat«.
Umständlicher kann man kaum von Godards fabulöser schwarz/weiß Montage aus Teilansichten des La Défense-Ambientes sprechen, die zum Labyrinth der imaginären »Zukunftsstadt zusammenschießen. Neben Bemerkungen zu Eddie Constantine & seinen Lemmy-Caution-Filmen oder dazu, wie Godard zu Alphaville kam, beschließt Rebhandl sein Kapitel damit: «Die Erfahrungen seiner transatlantischen Reisen gehen in Alphaville ein. Auch die popkulturelle Energie von À bout de souffle ist hier noch einmal zu spüren, in einem Film, der sehr gut die Grenze zwischen Dystopie und Thriller trifft, der von Paul Misrakis Musik angetrieben wird und doch im Kern all die experimentellen Anliegen von Godard enthält: Für ihn war Alphaville vor allem ein Film über Licht«. (Kursiv von mir)
Zu Made in USA heißt es über die Figur, die Anna Karina spielt: «Mit einem Larousse-Wörterbuch, in dem sie ihre Pistole versteckt hat (ein essenzielles Godard-Bild) bewegt sie sich durch eine Recherche, in der sie von Beginn an auch unter Verdacht steht«.
In Maskulin-feminin bekennt er zu einer Figur. »Man wird nicht so richtig klug aus ihm« & später referiert er: »Paul ist mit Madelaine zusammen, die gerade als Sängerin durchstartet (sie ist Nummer sechs in Japan)« – als gehörte die »Nummer sechs in Japans« zur Fundamentalinformation des Films.
Wie oft Rebhandel zum Wort »gebrochen« flüchtet, z.B. »ein Scheinwerfer bricht die Schwärze des Bildes« oder »eines wie auch immer gebrochenen Spielfilms«, habe ich nicht gezählt. Was er damit sagen will, wie auch mit » die für Godard so charakteristische Schere zwischen Ton und Bild«, bleibt im Dunkel einer rätselhaften Metaphorik.
Manchmal fragt man sich, ob seine ausgesprochene Absicht, »den Stationen auf dem Weg von Godard möglichst gleichrangig gerecht zu werden«, mit Notwendigkeit dazu führt, dass ihm die Filme eher zum Sammelsurium von Einzelteilen zerfallen, als sich zur sprachlich suggestiven Beschwörung von Kunstwerken zu verdichten. Oft habe ich in seinen Worten nicht mehr den Film rekonstruieren können, dessen Gestalt & Stoff ich aus eigener Erinnerung noch imaginiere.
Liegt es daran, dass in Rebhandls Generation der »Plot« einzig zählt, was natürlich bei der Ästhetik der assoziativen Äquilibristik Godards nicht »zielführend« ist?
Wenn der Autor am Ende seiner Vorbemerkung äußert, er habe sich »keine bessere Lektorin wünschen können« als jene, die »im Auftrag des Verlags das Buch betreut hat«, muss man ihm aber, als oft leidgeprüfter Leser seiner sprachlichen Unglücke, heftig widersprechen.
© Wolfram Schütte 2021
Zuerst erschienen in Glanz und Elend
Republikation mit freundlicher Genehmigung des Autors und von Glanz und Elend
Bibliografische Angaben:
Bert Rebhandl.
Jean Luc Godard:
Der permanente Revolutionär.
Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2020.
280 Seiten, 25 Euro.
ISBN: 978–3‑552–07209‑1.
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Bildquellen (Copyrights) |
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Cover Jean-Luc Godard: Der permanente Revolutionär |
© Paul Zsolnay Verlag |
Cover Jean-Luc Godard |
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Fotos aus Godard-Filmen |
Archiv Moleskin Blues |
Cover Jean-Luc Godard: Histoire(s) d’un cinéaste |
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Cover Jean-Luc Godard: Denkende Bilder |
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Screenshot Godard-Dossier |
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