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Aus den Archiven: Depeschen aus dem Untergrund

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AchiveDepe­schen aus dem Untergrund

 
In Smo­king Type­wri­ters reka­pi­tu­liert John McMil­li­an den Auf­stieg und Fall der ame­ri­ka­ni­schen Unter­grund­pres­se in den 1960er Jah­ren und erin­nert an ihr uto­pi­sches Potenzial.

 

von Jörg Auberg

 

Als im Früh­jahr 1968 Stu­den­ten der Colum­bia-Uni­ver­si­tät aus Pro­test gegen den Viet­nam­krieg die Uni­ver­si­tät besetz­ten und gegen die Ver­wick­lung des aka­de­mi­schen Appa­ra­tes in den tech­nisch-mili­tä­ri­schen Kom­plex der US-Admi­nis­tra­ti­on auf­be­gehr­ten, schlug sich die New York Times in ihrer Bericht­erstat­tung auf die Sei­te der Uni­ver­si­täts­ad­mi­nis­tra­ti­on und der Poli­zei – nicht zuletzt, weil der Her­aus­ge­ber der Times im Auf­sichts­rat der Uni­ver­si­tät saß. Die­ses Ver­hal­ten war typisch für die Medi­en des »Estab­lish­ments«, wel­che die Oppo­si­ti­on im eige­nen Land (die sich nicht allein gegen den Krieg, son­dern gegen ver­krus­te­te Gesell­schafts­struk­tu­ren rich­te­te) zumeist als außer Rand und Band gera­te­ne »Chao­ten« dar­stell­te. Als Gegen­in­sti­tu­ti­on hat­ten sich seit Mit­te der 1960er Jah­re loka­le »Unter­grund­zei­tun­gen« gebil­det, die nicht allein der poli­ti­schen Oppo­si­ti­on der Stu­den­ten eine Stim­me gaben, son­dern auch den kul­tu­rel­len Zeit­geist jener Jah­re artikulierte. 

William S. Burroughs - Electronic Revolution (Expanded Media Editions, 1979)
Wil­liam S. Bur­roughs - Elec­tro­nic Revo­lu­ti­on (Expan­ded Media Edi­ti­ons, 1979)

»Die Unter­grund­pres­se ist das ein­zi­ge wirk­sa­me Gegen­mit­tel gegen die wach­sen­de Macht und die immer raf­fi­nier­te­ren Tech­ni­ken, die von den eta­blier­ten Mas­sen­me­di­en ein­ge­setzt wer­den«, schrieb Wil­liam S. Bur­roughs noch vol­ler Opti­mis­mus in sei­nem Essay­band The Elec­tro­nic Revo­lu­ti­on aus dem Jah­re 1971, »um Infor­ma­tio­nen, Bücher und Ent­de­ckun­gen, die den Inter­es­sen des Estab­lish­ments abträg­lich sein könn­ten, zu ver­fäl­schen, zu ver­dre­hen, aus dem Zusam­men­hang zu rei­ßen, rund­her­aus lächer­lich zu machen oder ganz ein­fach zu igno­rie­ren und unter den Tep­pich zu keh­ren.« Im Lau­fe der frü­hen 1970er Jah­re ver­schwand die Unter­grund­pres­se jedoch so schnell von der Bild­flä­che, wie sie auf­ge­taucht war.

 

Die Grün­de für das rasche Erblü­hen und Ver­schwin­den der Unter­grund­pres­se ver­sucht der His­to­ri­ker John McMil­li­an in sei­nem Buch Smo­king Type­wri­ters auf­zu­de­cken. Am Beginn sei­ner Geschich­te der US-ame­ri­ka­ni­schen »under­ground press« steht das auf einem Ver­viel­fäl­ti­gungs­ap­pa­rat her­ge­stell­te Dis­kus­si­ons­bul­le­tin der Stu­den­ten­or­ga­ni­sa­ti­on Stu­dents for a Demo­cra­tic Socie­ty (SDS), das spä­ter in der Zeit­schrift New Left Notes auf­ging, mit der SDS die Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen der Zen­tra­le und den loka­len Ver­bän­den an den Uni­ver­si­tä­ten orga­ni­sier­te.  Obwohl es bereits in den 1950er Jah­ren Ansät­ze gab, über die klei­nen Zir­kel der zer­split­ter­ten Lin­ken hin­aus »alter­na­ti­ve« Zeit­schrif­ten wie die von Nor­man Mailer mit­be­grün­de­te New Yor­ker Vil­la­ge Voice zu eta­blie­ren, ent­wi­ckel­te sich erst ab 1965 eine brei­te­re Bewe­gung, die mit loka­len Zei­tun­gen wie Los Ange­les Free Press (kurz Freep genannt), East Vil­la­ge Other, The Gre­at Speck­led Bird, Ber­ke­ley Barb, Rag und vie­len ande­ren ihre eige­ne kul­tu­rel­le »Com­mu­ni­ty« begrün­de­te. Sie stell­ten nicht allein eine Gegen­öf­fent­lich­keit her, son­dern begrün­de­te in ihrer kol­lek­ti­ven, oft ama­teur­haft wir­ken­den Pra­xis einen Gegen­ent­wurf zum jour­na­lis­ti­schen Pro­fes­sio­na­lis­mus der Main­stream-Medi­en, wel­che die gesell­schaft­li­che Rea­li­tät von Poli­tik und Kul­tur, wie sie die nach­wach­sen­de Gene­ra­ti­on wahr­nahm, igno­rier­ten. Begüns­tigt wur­de das Erblü­hen hun­der­ter sol­cher klei­ner »Revol­ver­blät­ter« durch die »Off­set-Revo­lu­ti­on«, die es ermög­lich­te, eine beträcht­li­che Anzahl von Druckerzeug­nis­sen mit rela­tiv spär­li­chen Mit­teln schnell und ohne grö­ße­re hand­werk­li­che Kennt­nis­se zu produzieren. 

Old Mole (Cover 1968)
Old Mole (Cover 1968)

Neben die­sen aus­schließ­lich lokal agie­ren­den Unter­neh­men bil­de­te sich 1966 das Under­ground Press Syn­di­ca­te (UPS), ein Netz­werk von zunächst fünf Unter­grund­zei­tun­gen, dem sich in der Fol­ge­zeit zahl­rei­che ande­re anschlos­sen. Die­ser Ver­bund ermög­lich­te eine natio­na­le Ver­brei­tung von Arti­keln aus den loka­len Blät­tern, sodass die Vor­tei­le einer dezen­tra­li­sier­ten, loka­len Bericht­erstat­tung von ande­ren Zei­tun­gen genutzt wer­den konn­ten. Zum ande­ren dien­te das UPS als Frame­work gegen Zen­sur und Ein­schüch­te­rung. Die US-Admi­nis­tra­ti­on und das FBI sahen in der Unter­grund­pres­se einen gefähr­li­chen Staats­feind am Wer­ke und ver­such­ten, mit­tels juris­ti­scher Ankla­gen, Ein­schüch­te­rung von Ver­mie­tern und Wer­be­kun­den, Denun­zia­ti­on, Infil­tra­ti­on und geziel­ter Des­in­for­ma­ti­on den Zei­tun­gen den Gar­aus zu machen. Die­se Zer­mür­bungs­pra­xis im Rah­men des Coun­ter Intel­li­gence Pro­grams (COINTELPRO), das zwi­schen 1956 und 1971 zur Dis­kre­di­tie­rung poli­ti­scher Geg­ner ein­ge­setzt wur­de, trug beträcht­lich zum Nie­der­gang der Unter­grund­pres­se bei.

1967 grün­de­ten Ray Mungo und Mar­shall Bloom den alter­na­ti­ven Nach­rich­ten­dienst Libe­ra­ti­on News Ser­vice (LNS), der Berich­te aus ers­ter Hand über die Revol­te an der Colum­bia-Uni­ver­si­tät oder Demons­tra­tio­nen pro­du­zier­te und die Gren­ze zwi­schen Beob­ach­ter und Teil­neh­mer auf­lös­te, wäh­rend Main­stream-Medi­en oft nur die offi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen der staat­li­chen Insti­tu­tio­nen ver­brei­te­ten. Aller­dings bestand der Schwach­punkt des LNS in sei­ner brü­chi­gen Struk­tur. An der Spit­ze stand die Grün­der »Bloo­Mungo«, wel­che die Gunst der Stun­de genutzt hat­ten, ein media­les Instru­ment ins Leben zu rufen, wäh­rend das Kol­lek­tiv, das mit sei­ner Arbeit den LNS am Leben erhielt, demo­kra­ti­sche Par­ti­zi­pa­ti­on und Ega­li­tät in den Ent­schei­dungs­pro­zes­sen ein­for­der­te. Der Kon­flikt kul­mi­nier­te schließ­lich in der Ent­wen­dung der Dru­cker­pres­se durch Bloo­Mungo, die jedoch von den Mit­glie­dern des Kol­lek­tivs auf­ge­spürt wur­den und den Kampf um die Pro­duk­ti­ons­mit­tel und somit um die Macht im alter­na­ti­ven Medi­en­ap­pa­rat ver­lo­ren. Nicht allein die staat­li­che Repres­si­on, son­dern auch sol­che inter­nen Riva­li­tä­ten und Macht­kämp­fe been­de­ten schließ­lich in den frü­hen 1970er Jah­re das Expe­ri­ment einer demo­kra­ti­schen Gegen­öf­fent­lich­keit. Die meis­ten Unter­grund­zei­tun­gen wur­den ein­ge­stellt oder von dubio­sen Unter­neh­mern auf­ge­kauft (die Freep wur­de bei­spiels­wei­se von Hust­ler-Chef Lar­ry Flynt über­nom­men, ehe sie 1978 ein­ge­stellt wur­de). An ihre Stel­le tra­ten die »alt-weeklies«, alter­na­ti­ve Stadt­zei­tun­gen, wel­che rasch in pro­fes­sio­nell geführ­te und kom­mer­zi­ell aus­ge­rich­te­te Unter­neh­men ver­wan­delt wur­den. Das UPS wur­de vom Alter­na­ti­ve Press Syn­di­ca­te abge­löst, und der LNS stell­te sei­ne Arbeit auf­grund feh­len­der Abon­nen­ten 1981 ein.

 

John McMillian - Smoking Typewriters (Oxford University Press, 2011)
John McMil­li­an - Smo­king Type­wri­ters (Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2011)

Der Vor­zug an Smo­king Type­wri­ters ist, dass McMil­li­an nicht ledig­lich die Geschich­te der Unter­grund­pres­se noch ein­mal reka­pi­tu­liert, son­dern sie in den poli­ti­schen Kon­text der Neu­en Lin­ken stellt. Wur­de die sie in frü­he­ren Geschich­ten häu­fig als kul­tu­rel­les Sub­phä­no­men behan­delt, so ver­sucht McMil­li­an ihr eine zen­tra­le Rol­le in der poli­ti­schen Ent­wick­lung der 1960er Jah­re zuzu­schrei­ben. In sei­nen Augen hat die Unter­grund­pres­se als poli­ti­scher Orga­ni­sa­tor dazu bei­getra­gen, radi­ka­le Akti­vis­ten zu »elek­tri­sie­ren«, zu poli­ti­sie­ren und sie zur Bil­dung radi­ka­ler »Com­mu­ni­ties« als Gegen­ent­wurf zur kon­ser­va­ti­ven Main­stream-Gesell­schaft anzu­re­gen. Dabei ver­harrt McMil­li­an nicht allein im Nach­er­zäh­len his­to­ri­scher Epi­so­den und Anek­do­ten, son­dern streicht auch die Bedeu­tung der par­ti­zi­pa­to­ri­schen Demo­kra­tie in der Medi­en­pra­xis der Unter­grund­pres­se her­aus: Da die Zei­tun­gen oft als Organ ihrer jewei­li­gen »Com­mu­ni­ty« begrif­fen wur­den, hat­te jeder Zugang zu ihr, konn­te Bei­trä­ge lie­fern, die auch bei man­geln­der Qua­li­tät kaum redi­giert wur­den. Auch mit den rea­len Tat­sa­chen nah­men es die Ama­teur­jour­na­lis­ten nicht so genau: Wenn es »der Sache« dien­te, wur­den auch Gerüch­te als Fak­ten ver­kauft. In ihrer Aver­si­on gegen Pro­fes­sio­na­li­tät, Eli­tis­mus und Objek­ti­vi­tät hul­dig­te die Unter­grund­pres­se unkri­tisch einer alles über­hö­hen­den Authen­ti­zi­tät und Spon­ta­nei­tät. Die Demo­kra­ti­sie­rung der Medi­en­pra­xis wur­de so mit einem nivel­lie­ren­den Mei­nungs­jour­na­lis­mus erkauft, bei dem es nicht auf Wis­sen, Argu­men­ta­ti­on und Begrün­dung, son­dern ledig­lich auf sub­jek­ti­ve Befind­lich­kei­ten ankam. Zu Recht sieht McMil­li­an die Unter­grund­pres­se als Vor­läu­fer der Blogo­sphä­re, die frei­lich nicht über das uto­pi­sche Poten­zi­al der kurz­le­bi­gen ame­ri­ka­ni­schen »Unter­grund­lin­ge« ver­fügt. Trotz aller Män­gel und Unzu­läng­lich­kei­ten hat­ten sie die Visi­on einer ande­ren Gesell­schaft, wäh­rend die blog­gen­den Mona­den die Welt mit ihren anschwel­len­den Mei­nungs­strö­men beglü­cken wollen.

 

Biblio­gra­fi­sche Angaben:

John McMil­li­an: Smo­king Type­wri­ters, The Sixi­ties Under­ground Press and the Rise of Alter­na­ti­ve Media in Ame­ri­ca. New York: Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2011. 277 Sei­ten, 27,95 Dollar.

 

Zuerst erschie­nen in:  satt.org  (Juli 2011)

© Jörg Auberg

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