In Smoking Typewriters rekapituliert John McMillian den Aufstieg und Fall der amerikanischen Untergrundpresse in den 1960er Jahren und erinnert an ihr utopisches Potenzial.
von Jörg Auberg
Als im Frühjahr 1968 Studenten der Columbia-Universität aus Protest gegen den Vietnamkrieg die Universität besetzten und gegen die Verwicklung des akademischen Apparates in den technisch-militärischen Komplex der US-Administration aufbegehrten, schlug sich die New York Times in ihrer Berichterstattung auf die Seite der Universitätsadministration und der Polizei – nicht zuletzt, weil der Herausgeber der Times im Aufsichtsrat der Universität saß. Dieses Verhalten war typisch für die Medien des »Establishments«, welche die Opposition im eigenen Land (die sich nicht allein gegen den Krieg, sondern gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen richtete) zumeist als außer Rand und Band geratene »Chaoten« darstellte. Als Gegeninstitution hatten sich seit Mitte der 1960er Jahre lokale »Untergrundzeitungen« gebildet, die nicht allein der politischen Opposition der Studenten eine Stimme gaben, sondern auch den kulturellen Zeitgeist jener Jahre artikulierte.
»Die Untergrundpresse ist das einzige wirksame Gegenmittel gegen die wachsende Macht und die immer raffinierteren Techniken, die von den etablierten Massenmedien eingesetzt werden«, schrieb William S. Burroughs noch voller Optimismus in seinem Essayband The Electronic Revolution aus dem Jahre 1971, »um Informationen, Bücher und Entdeckungen, die den Interessen des Establishments abträglich sein könnten, zu verfälschen, zu verdrehen, aus dem Zusammenhang zu reißen, rundheraus lächerlich zu machen oder ganz einfach zu ignorieren und unter den Teppich zu kehren.« Im Laufe der frühen 1970er Jahre verschwand die Untergrundpresse jedoch so schnell von der Bildfläche, wie sie aufgetaucht war.
Die Gründe für das rasche Erblühen und Verschwinden der Untergrundpresse versucht der Historiker John McMillian in seinem Buch Smoking Typewriters aufzudecken. Am Beginn seiner Geschichte der US-amerikanischen »underground press« steht das auf einem Vervielfältigungsapparat hergestellte Diskussionsbulletin der Studentenorganisation Students for a Democratic Society (SDS), das später in der Zeitschrift New Left Notes aufging, mit der SDS die Kommunikation zwischen der Zentrale und den lokalen Verbänden an den Universitäten organisierte. Obwohl es bereits in den 1950er Jahren Ansätze gab, über die kleinen Zirkel der zersplitterten Linken hinaus »alternative« Zeitschriften wie die von Norman Mailer mitbegründete New Yorker Village Voice zu etablieren, entwickelte sich erst ab 1965 eine breitere Bewegung, die mit lokalen Zeitungen wie Los Angeles Free Press (kurz Freep genannt), East Village Other, The Great Speckled Bird, Berkeley Barb, Rag und vielen anderen ihre eigene kulturelle »Community« begründete. Sie stellten nicht allein eine Gegenöffentlichkeit her, sondern begründete in ihrer kollektiven, oft amateurhaft wirkenden Praxis einen Gegenentwurf zum journalistischen Professionalismus der Mainstream-Medien, welche die gesellschaftliche Realität von Politik und Kultur, wie sie die nachwachsende Generation wahrnahm, ignorierten. Begünstigt wurde das Erblühen hunderter solcher kleiner »Revolverblätter« durch die »Offset-Revolution«, die es ermöglichte, eine beträchtliche Anzahl von Druckerzeugnissen mit relativ spärlichen Mitteln schnell und ohne größere handwerkliche Kenntnisse zu produzieren.
Neben diesen ausschließlich lokal agierenden Unternehmen bildete sich 1966 das Underground Press Syndicate (UPS), ein Netzwerk von zunächst fünf Untergrundzeitungen, dem sich in der Folgezeit zahlreiche andere anschlossen. Dieser Verbund ermöglichte eine nationale Verbreitung von Artikeln aus den lokalen Blättern, sodass die Vorteile einer dezentralisierten, lokalen Berichterstattung von anderen Zeitungen genutzt werden konnten. Zum anderen diente das UPS als Framework gegen Zensur und Einschüchterung. Die US-Administration und das FBI sahen in der Untergrundpresse einen gefährlichen Staatsfeind am Werke und versuchten, mittels juristischer Anklagen, Einschüchterung von Vermietern und Werbekunden, Denunziation, Infiltration und gezielter Desinformation den Zeitungen den Garaus zu machen. Diese Zermürbungspraxis im Rahmen des Counter Intelligence Programs (COINTELPRO), das zwischen 1956 und 1971 zur Diskreditierung politischer Gegner eingesetzt wurde, trug beträchtlich zum Niedergang der Untergrundpresse bei.
1967 gründeten Ray Mungo und Marshall Bloom den alternativen Nachrichtendienst Liberation News Service (LNS), der Berichte aus erster Hand über die Revolte an der Columbia-Universität oder Demonstrationen produzierte und die Grenze zwischen Beobachter und Teilnehmer auflöste, während Mainstream-Medien oft nur die offiziellen Verlautbarungen der staatlichen Institutionen verbreiteten. Allerdings bestand der Schwachpunkt des LNS in seiner brüchigen Struktur. An der Spitze stand die Gründer »BlooMungo«, welche die Gunst der Stunde genutzt hatten, ein mediales Instrument ins Leben zu rufen, während das Kollektiv, das mit seiner Arbeit den LNS am Leben erhielt, demokratische Partizipation und Egalität in den Entscheidungsprozessen einforderte. Der Konflikt kulminierte schließlich in der Entwendung der Druckerpresse durch BlooMungo, die jedoch von den Mitgliedern des Kollektivs aufgespürt wurden und den Kampf um die Produktionsmittel und somit um die Macht im alternativen Medienapparat verloren. Nicht allein die staatliche Repression, sondern auch solche internen Rivalitäten und Machtkämpfe beendeten schließlich in den frühen 1970er Jahre das Experiment einer demokratischen Gegenöffentlichkeit. Die meisten Untergrundzeitungen wurden eingestellt oder von dubiosen Unternehmern aufgekauft (die Freep wurde beispielsweise von Hustler-Chef Larry Flynt übernommen, ehe sie 1978 eingestellt wurde). An ihre Stelle traten die »alt-weeklies«, alternative Stadtzeitungen, welche rasch in professionell geführte und kommerziell ausgerichtete Unternehmen verwandelt wurden. Das UPS wurde vom Alternative Press Syndicate abgelöst, und der LNS stellte seine Arbeit aufgrund fehlender Abonnenten 1981 ein.
Der Vorzug an Smoking Typewriters ist, dass McMillian nicht lediglich die Geschichte der Untergrundpresse noch einmal rekapituliert, sondern sie in den politischen Kontext der Neuen Linken stellt. Wurde die sie in früheren Geschichten häufig als kulturelles Subphänomen behandelt, so versucht McMillian ihr eine zentrale Rolle in der politischen Entwicklung der 1960er Jahre zuzuschreiben. In seinen Augen hat die Untergrundpresse als politischer Organisator dazu beigetragen, radikale Aktivisten zu »elektrisieren«, zu politisieren und sie zur Bildung radikaler »Communities« als Gegenentwurf zur konservativen Mainstream-Gesellschaft anzuregen. Dabei verharrt McMillian nicht allein im Nacherzählen historischer Episoden und Anekdoten, sondern streicht auch die Bedeutung der partizipatorischen Demokratie in der Medienpraxis der Untergrundpresse heraus: Da die Zeitungen oft als Organ ihrer jeweiligen »Community« begriffen wurden, hatte jeder Zugang zu ihr, konnte Beiträge liefern, die auch bei mangelnder Qualität kaum redigiert wurden. Auch mit den realen Tatsachen nahmen es die Amateurjournalisten nicht so genau: Wenn es »der Sache« diente, wurden auch Gerüchte als Fakten verkauft. In ihrer Aversion gegen Professionalität, Elitismus und Objektivität huldigte die Untergrundpresse unkritisch einer alles überhöhenden Authentizität und Spontaneität. Die Demokratisierung der Medienpraxis wurde so mit einem nivellierenden Meinungsjournalismus erkauft, bei dem es nicht auf Wissen, Argumentation und Begründung, sondern lediglich auf subjektive Befindlichkeiten ankam. Zu Recht sieht McMillian die Untergrundpresse als Vorläufer der Blogosphäre, die freilich nicht über das utopische Potenzial der kurzlebigen amerikanischen »Untergrundlinge« verfügt. Trotz aller Mängel und Unzulänglichkeiten hatten sie die Vision einer anderen Gesellschaft, während die bloggenden Monaden die Welt mit ihren anschwellenden Meinungsströmen beglücken wollen.
Bibliografische Angaben:
John McMillian: Smoking Typewriters, The Sixities Underground Press and the Rise of Alternative Media in America. New York: Oxford University Press, 2011. 277 Seiten, 27,95 Dollar.
Zuerst erschienen in: satt.org (Juli 2011)
© Jörg Auberg