Tom Hayden (1939–2016) sicherte sich mit seiner maßgeblichen Rolle in der Gründungsphase der Neuen Linken in den USA zu Beginn der 1960er Jahre einen Platz in der jüngeren Geschichte. Vor allem seine Autorenschaft für das Port Huron Statement, das vielfach als »Manifest einer Generation« bezeichnet wird, machte ihn berühmt. In den turbulenten »Sixties« gehörte er zu den »Prominenzen des Protests« in den Bürgerrechts- und Antikriegsbewegungen. In späteren Jahren wechselte er als Parteigänger der Demokraten in die Mainstream-Politik. Zu Beginn der letzten Präsidentschaftskandidatenkampagne stand er anfänglich auf Seiten Bernie Sanders‘, wendete sich später jedoch dem Clinton-Lager zu, da ihm das Sanders-Programm in der Realität nicht umsetzbar erschien. Nach längerer Krankheit starb er am 23. Oktober 2016.
Der folgende Text über Haydens Essay zum Werk C. Wright Mills‘ erschien erstmals im Januar 2007. Rechtschreibfehler wurden stillschweigend korrigiert.
Nomaden und Outlaws
C. Wright Mills, Tom Hayden und die Neue Linke
Von Jörg Auberg
Drifter’s Escape
»Die Auferstehung der Toten müßte auf dem Autofriedhof stattfinden«, schrieb Theodor W. Adorno in seinen »Aufzeichnungen zu Kafka«. Heute jedoch reduziert sich die Auferstehung banal auf die Exhumierung, und diese findet auf dem Campus statt. So wurde im Januar 2006 die US-amerikanische Studentenorganisaton SDS (Students for a Democratic Society), die in den »Roaring Sixties« einige Zeit für Furore sorgte, unter Mitarbeit ehemaliger Sechziger-Aktivisten aus dem Grab geholt, um der gegenwärtigen Studentengeneration eine übergreifende politische Organisation zu geben. Ironischerweise fand zur gleichen Zeit an der New Yorker Columbia University ein Workshop zum Thema »Radical Politics and the Ethics of Life« statt, der ehemaligen Mitgliedern der Stadtguerilla-Gruppe Weatherman ein Forum bot, die 1969 der originalen SDS-Organisation mit einem in einen symbolischen Gewaltrausch abgetauchten »Kriegsrat« in Flint (Michigan) den Garaus bereitete. Mit Recht kritisierte Jesse Lemisch, ein ehemaliges SDS-Mitglied in den Jahren 1964 bis 1969 und mittlerweile ein emeritierter Professor der Geschichte, in der linken Zeitschrift New Politics, dass zwischen Neo-SDS und alten Weatherman-Aktivisten wie Bernardine Dohrn ein unkritisches, ahistorisches Verhältnis aufgebaut wurde, in dem die »alten Kontroversen« der Vergangenheit unter den Tisch gekehrt wurden und selbsternannte »Anarchisten« des Neo-SDS vor der militanten Vergangenheit der Weather-Aktivisten in serviler Ehrfurcht erstarrten. Einsichtig moniert Lemisch, dass eine linke Organisation, welche internes politisches Streiten lediglich als »sektiererische Verleumdung« begreift, unter einem schlechten Stern steht. Vor allem scheint ihr das Wissen um die Vergangenheit zu fehlen.
Desolation Row
Um die Geschichte vor den spektakulären Ereignissen der späten sechziger Jahre und den Beginn der Hoffnungen einer »Neuen Linken« noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, lohnt ein Blick in Tom Haydens Magisterarbeit Radical Nomad über C. Wright Mills, die er 1963 abschloss, nachdem er ein Jahr zuvor mit dem »Port Huron Statement« das Gründungsmanifest der amerikanischen »New Left« verfasst hatte. Dieser Text ist nicht allein aus historischen Gründen interessant: Er ähnelt kaum heutigen akademischen Fleißarbeiten mit überbordenden Fußnoten-und Bibliografieapparaten, in denen mehr referiert denn argumentiert wird, sondern stellt eher einen emphatisch-kritischen, luzide geschriebenen Essay über die intellektuelle Karriere Mills’ dar, der zwar keineswegs alle Aspekte beleuchtet, jedoch klar die Stärken und Schwächen dieses Ausnahme-Soziologen herausstellt. Darüber hinaus beschränkt sich diese Neuveröffentlichung nicht allein auf den historischen Text, sondern bettet ihn in die politische und soziale Erfahrung der Linken in den zurückliegenden vierzig Jahren ein, die fortwährend regressiven Schüben unterlag. Der ehemalige SDS-Aktivist Richard Flacks insistiert zu Recht, dass die Gesellschaftstheorie häufig an der gesellschaftlichen Realität scheiterte. Dieses Scheitern muss jedoch nicht in Resignation und Unterwerfung enden, sondern kann zu einem Bewusstsein führen, dass Wissen sich immer neu an den Verhältnissen abarbeiten muss und einfache, abrupte Lösungen nicht verfügbar sind.
Mills war in den frühen sechziger Jahren ein Bindeglied zwischen der traditionellen Linken und den neuen Aktivisten der aufkeimenden Bürgerrechts- und Studentenbewegung, »ein einsamer und prophetischer Arbeiter«, wie Tom Hayden schrieb, »ein radikaler Nomade«. Sowohl als Soziologieprofessor an der prestigiösen Columbia-Universität als auch im Zirkel der New Yorker Intellektuellen blieb er ein Außenseiter, der den jeweiligen Status quo nicht akzeptieren und mit der intellektuellen »Einbettung« in die Maschinerie des Kalten Krieges, die seine ehemaligen Weggefährten Dwight Macdonald und Irving Howe akzeptierten, nicht sich abfinden wollte, jedoch nicht an den Grundfesten der bürgerlichen Institutionen rüttelte. Trotz aller Widersprüchlichkeiten war Mills keineswegs – wie ihm Angehörige des akademischen Establishments vorwarfen – ein heuchlerischer Poseur, der sich über die Bürokratisierung des kulturellen Apparats, den Konformismus integrierter Linksintellektueller und die Verwandlung der öffentlichen Sphäre in bloße Medienmärkte aufregte, während er als Columbia-Professor von den Vorzügen einer Eliteinstitution profitierte. Immer wieder setzte er seine Reputation als Soziologe aufs Spiel, um als schreibender Intellektueller mit radikaler Gesellschaftskritik »aus dem stickigen Treibhaus des akademischen Lebens auszubrechen« (wie John Dos Passos in seiner Romantrilogie USA über Mills’ Vorgänger Thorstein Veblen schrieb).
Mills beschränkte sich nicht auf die Funktion des soziologischen Forschungstechnikers, der die gesellschaftlichen Bedingungen aus den Augen verlor, sich im Gemäuer der Experten und Spezialisten verschanzte und den Jargon der verschworenen akademischen Gemeinschaft (den Mills — in Anlehnung an George Orwells »Newspeak« – »Socspeak« nannte) plapperte, sondern war Grenzverletzer. Mutwillig überschritt er seine Kompetenz als Sozialwissenschaftler, als er die amerikanische Außenpolitik der Kennedy-Administration harsch kritisierte und die kritische Intelligenz für ein politisches Projekt unter dem Codenamen »Neue Linke« zu begeistern suchte, und unterstrich durch diese »anmaßende« Intervention seine Rolle als Intellektueller, wie ihn Jean-Paul Sartre definierte: Er überschritt die Demarkationslinie, »missbrauchte« seinen fachlichen Ruhm, den er sich als Autor soziologischer Standardwerke erworben hatte, zur radikalen Kritik der amerikanischen Gesellschaft. Damit setzte sich Mills nicht allein in Widerspruch zur herrschenden Macht, sondern auch zu ihren kritischen Erfüllungsgehilfen, die Sartre »falsche Intellektuelle« nannte, da sie zwar vordergründig die herrschende Ideologie in Frage stellten, zugleich aber die radikale Kritik als Hilfestellung für die feindliche Macht denunzierten und zu intellektueller Besonnenheit aufriefen. Mills wandte sich sowohl gegen die »NATO-Intellektuellen«, die sich um den CIA-finanzierten »Kongress für kulturelle Freiheit« scharten und die Ideologie vom Ende der Ideologie propagierten, als auch gegen orthodoxe Marxisten mit ihrer Metaphysik der Arbeiterklasse in einem von der Geschichte überholten Szenario des Staatssozialismus, obgleich er die kubanische Revolution gegen die US-amerikanische Außenpolitik verteidigte.
Allen Widrigkeiten zum Trotz ließ sich Mills seine kritische Fantasie nicht abkaufen. Seine »amerikanische Trilogie« über die staatlich integrierte Arbeiterschaft, die Angestellten aus der Mittelklasse und die Machteliten in Ökonomie, Politik und Militär – The New Men of Power (1948), White Collar (1952) und The Power Elite (1956) – erinnere entfernt, meinte Christopher Lasch, an Dos Passos’ USA-Trilogie: Auch Mills’ Werk war der Versuch eines panoramischen Poems, das unter die Oberfläche purer Daten und Fakten drang; eine amerikanische Kritik Amerikas, der Kulturindustrie und der Machtapparate; die Suche nach dem Subjekt in der blind funktionierenden sozialen Maschinerie; das schwierige Unterfangen, einen originären amerikanischen Radikalismus zu definieren und zu begründen. Mills war – beobachtete Dan Wakefield – eine Art intellektueller Gatsby, der aus der texanischen Provinz nach New York, in die Zitadelle des Erfolgs, gekommen war, wo er im grauen, desolaten Terrain auf die Aschenreste des »Debakels« der Linken aus den 1930er Jahren stieß; aber er glaubte auch an das grüne Licht der neuen Welt, der orgiastischen Zukunft, das immer wieder verschwand und von Neuem auftauchte.
Auch in Zeiten gesellschaftlicher und geistiger Lethargie rückte Mills nie von seiner Vorstellung ab, dass der Intellektuelle lediglich an Stelle der Ohnmächtigen agierte, dass er weder Diener der Macht noch Embryo einer neuen Klasse war, die sich zur neuen Herrschaft aufschwang. Für Mills lief die Beschäftigung mit dem kulturellen Apparat und den Intellektuellen auf die Rekonstruktion der demokratischen Öffentlichkeit hinaus: Die »junge Intelligenz« der späten 1950er Jahre begriff er als einzige radikal denkende und handelnde Kraft, während frühere Bündnispartner der linken Intellektuellen – die Arbeiter – zur Arrièregarde übergelaufen waren. Über die Gefahren und Unwägbarkeiten einer intellektuellen Avantgarde reflektierte Mills kaum: In einer Zeit der oppositionellen Apathie und der Agonie der Linken ging es ihm darum, Anstöße für das Projekt einer »Neuen Linken« zu geben, die apathischen Intellektuellen aufzurütteln und die jungen Radikalen zur neuen Bewegung zu ermuntern. Was danach kommen könnte, schien in weite Zukunft gerückt. »Das Zeitalter der Selbstgefälligkeit geht zu Ende«, konstatierte er 1960 in seinem Brief an die Neue Linke in der Londoner Zeitschrift New Left Review. »Lasst die alten Weiber sich klugeweise über das ›Ende der Ideologie‹ beklagen. Wir fangen an, uns neu zu bewegen.«
Zwar analysierte Mills die Massengesellschaft, Apathie und Konformität scharf und sehnte eine neue Linke herbei, doch zugleich blendete er, moniert Hayden mit Recht, die entstehende Bürgerrechtsbewegung, die zunehmende Armut (wie sie der Sozialist Michael Harrington 1962 in seinem Bestseller The Other America beschrieb) und die Auswirkungen des McCarthyismus aus seinen Überlegungen weitgehend aus. Trotz aller Schwächen prägte er wie kaum ein anderer Intellektueller die Gründergeneration der amerikanischen Neuen Linken, die aus seiner Inspiration heraus zu »Kulturarbeitern« wurden, die zu Beginn der 1960er in den Süden des Landes gingen und sich an den Aktionen der Bürgerrechtsbewegung beteiligten oder allmählich eine Widerstandsbewegung gegen den Krieg in Südostasien formierten. Mills war, schreibt Richard Flacks, »romantisch optimistisch bezüglich des Aufstiegs einer neuen Generation radikaler Intellektueller und Aktivisten«. Die Hoffnung, dass sich eine neue Linke dauerhaft in der amerikanischen Gesellschaft etablieren könne, scheiterte an den Realitäten: sowohl an jenen der herrschenden Rackets als auch an den Unzulänglichkeiten der oppositionellen Formationen und individuellen Akteure.
Like a Rolling Stone
Freilich greift es auch zu kurz, die »Roaring Sixties« in eine Periode der großen Hoffnungen und in eine der gewalttätigen Verzweiflung und Zerstörung zu unterteilen, wie es Todd Gitlin, der ehemalige SDS-Vorsitzende der Saison 1963–64 und mittlerweile ein Soziologieprofessor an der Columbia-Universität, in seinem autobiografisch-historischen Buch The Sixties: Years of Hope, Days of Rage (1987) stilbildend vorführte. Zur historischen Realität gehört die Erkenntnis, dass SDS nicht über das institutionelle Framework verfügte, um einerseits eine partizipatorische Demokratie innerhalb der Organisation zu ermöglichen und andererseits die Manipulation des existierenden Apparates durch professionelle Kader zu verhindern. »Die Prominenzen des Protestes sind Virtuosen der Geschäftsordnungen und formalen Prozeduren«, bemerkte Adorno, und dies traf in den Endsechzigern auf alle Apparate des westlichen neuen Linken zu.
In den USA versuchte der studentische Ableger der maoistischen Partei Progressive Labor mit einer proletarischen Ausrichtung Zugriff auf die Studentenbewegung zu ergattern, während sich die Gegenkraft als (im wahrsten Sinne des Wortes) schlagkräftiger Agent der revolutionären Jugendbewegung unter dem Namen RYM (Revolutionary Youth Movement) zu etablieren suchte. Im Kampf um das vorgeblich richtige Aktionsprogramm ging schließlich die militante Gruppe »Weatherman« (deren Name aus Bob Dylans »Subterranean Homesick Blues« entwendet wurde) als Siegerin hervor: Sie besetzte die Schaltstellen des SDS-Apparates, um im Zuge zunehmender Gewalt sowohl auf Seiten der staatlichen Organe als auch der studentischen Militanten die Organisation SDS zu zerschlagen, um in Guerilla-Aktionen das System verdeckt anzugreifen. Als bei einer verunglückten Bombenherstellung in New York 1970 drei Weatherman-Aktivisten in den Tod gesprengt wurden, ging die Gruppe in den Untergrund und bildete bis Ende des Jahrzehnts die Weather Underground Organization (WUO), deren Aktivität sich auf symbolische Bombenattentate als “Propaganda der Tat” und der Herausgabe revolutionärer Schriften beschränkte und die keine Blutspur wie ähnliche Untergrundorganisationen in Westeuropa hinterließen. Erst im Jahre 1981, als eine Reihe von WUO-Mitglieder aufgetaucht und sich den Behörden gestellt hatten, beteiligten sich Kathy Boudin und David Gilbert, die ihre politische Karriere in der Bürgerrechtsbewegung begonnen hatten, zusammen mit Aktivisten der Black Liberation Army an einem Überfall auf einen Geldtransporter in Nyack (New York), bei dem drei Menschen getötet wurden. Während Boudin 2003 begnadigt wurde, wird Gilbert (obwohl ihm keine aktive Beteiligung an den Tötungen nachgewiesen werden konnte) bis zu seinem Lebensende eingekerkert bleiben, da frühestens im Jahre 2058 eine Haftentlassung beantragt werden kann.
The Times They Are A‑Changin’
Die Ereignisse von Nyack koinzidierten mit dem Triumph der konservativen Reagan-Herrschaft über das Vermächtnis der antiautoritären Revolte der 1960er. Symptomatisch überschrieb die neokonservative Publizistin Midge Decter in der Zeitschrift Commentary ihren abgrundtiefen Verriss der Weatherman-Historie mit einem symbolträchtigen Dostojewski-Titel (»Notes from the American Underground«), womit nicht allein eine Linie vom Port-Huron-Manifest zur selbsternannten Guerilla gezogen, sondern generell die Linke, zu der in früheren Dekaden auch einmal die New Yorker Intellektuellen zählten, in den Orkus verabschiedet wurde. In der Defensive versuchten ehemalige, mittlerweile ins akademische Establishment integrierte Aktivisten der Neuen Linken, das Strandgut der Revolte in Sicherheit zu bringen, während Weatherman nicht allein als »bogeyman« und Inkarnation der »loony left« öffentlich angeprangert, sondern als Verantwortlicher für das Scheitern der amerikanischen Neuen Linken dämonisiert wurde. So attestierte der Historiker und langjährige Herausgeber der linken Wochenzeitung In These Times James Weinstein (1926–2005) in seinem Buch The Long Detour: The History and Future of the American Left (2003) den »Weatherpeople« einen Erfolg in der Zerstörung der Hoffnung auf eine demokratische Linke in den USA.
Auf der anderen Seite begann im Laufe der Jahre eine Romantisierung der Untergrund-Linken, wobei zweifelhafte Karrieren und Praktiken ineinander greifen. In seinen Memoiren Fugitive Days (2001) rekurrierte Bill Ayers, ein ehemaliges WUO-Führungsmitglied und inzwischen Professor an der University of Chicago, vor allem auf den machistischen und sexistischen Aktionismus der Revolte, als die Verbrennung von Büstenhaltern als Ausdruck eines politischen Bewusstseins galt. Literarisch in die Postmoderne eingewandert, erlebten depravierte und dislozierte Weatherman-Inkarnationen in Paul Austers Leviathan (1992) mit symbolischen Bombenattentaten ihre Einwanderung in den kulturellen Mainstream.
Dagegen versucht Dan Berger in seinem Buch Outlaws of America die Geschichte der Weathermen von Beginn an neu zu erzählen, wobei der Titel irreführend ist. Er erinnert an einschlägige amerikanische Geschichten wie Fritz Langs You live Only Once (1936) und zeigt an dem heimlichen Protagonisten Davild Gilbert auf, welchen Weg ein leidenschaftlicher Revolutionär — ohne je zuvor in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein – in den Kerker nehmen kann. Freilich ist Berger – laut Verlagsauskunft ein »Autor, Aktivist und Doktorand« – kaum in der Lage, die historischen Debatten — etwa jene der »Theorie der neuen Arbeiterklasse« — in ihren grundlegenden Thesen zu referieren, noch vermag er zu erklären, warum Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung immer weiter den Weg in die Gewalt beschritten. Anders als Todd Gitlin in seiner Studie der gegenseitigen Beeinflussung von Massenmedien und der Neuen Linken (The Whole World is Watching, 1980) nimmt Berger niemals Bezug auf die damalige Kultur der Gewalt. Generell schließt er größere politische Frameworks aus und fokussiert seine Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Personen seiner Widerstandsgeschichte, wobei seine Sympathien ausgeprägt bei Davild Gilbert liegen. Dies ist der Belang des Autors, der – im Gegensatz zu einer erwartbaren Professionalität – das Hohelied auf ein selbsternanntes Racket von »Berufsrevolutionären« anstimmt, das mit seinem Primat der militanten Praxis wesentlich zur intellektuellen Regression der Neuen Linken beitrug. Ironischerweise endete die Organisation in den späten 1970er in jener Position, die sie in den Endsechzigern attackiert hatte: Nunmehr entdeckten die Militanten die multinationale Arbeiterklasse und die Notwendigkeit einer kommunistischen Partei. Die Ironie entgeht Berger freilich in seinem uninspirierten Zusammenstoppeln von Interview- und Archivmaterial.
Zu Recht wirft Lemisch Berger vor, ein »zutiefst apologetisches Werk« produziert zu haben, das sich an der Grenze der Hagiografie bewegt. Obwohl mittlerweile bereits eine kleine Bibliothek der »Weathermanology« existiert, steht das Buch, das eine adäquate Interpretation dieser geschichtlichen Episode jenseits von Dämonisierung und Idolatrie leistete, noch aus. »Die Linke ist wieder tot«, konstatiert Hayden; »die Linke ist wieder geboren.« Allerdings bedarf es eines kritischen Wissens um die vergangene Geschichte, damit die Linke nicht wieder so wie in der Vergangenheit endet und verendet.
Bibliografische Angaben:
Tom Hayden.
Radical Nomad:
C. Wright Mills and his Times.
Mit Beiträgen von Richard Flacks, Stanley Aronowitz und Charles Lemert.
Boulder, CO: Paradigm Publishers, 2006.
226 Seiten, £ 28,99.
Dan Berger.
Outlaws of America:
The Weather Underground and the Politics of Solidarity.
Oakland, CA: AK Press, 2006.
432 Seiten, $ 20.
Zuerst erschienen in: literaturkritik.de, 9:1 (Januar 2007)
© Jörg Auberg