Endstation Hollywood
Zwei neue deutsche Übersetzungen versuchen, den lange in vergessenheit Geratenen Autoren John Fante ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken
Von Jörg Auberg
Zu Zeiten der Depression galt John Fante (1909–1983) als junger aufstrebender Autor, der mit seinen Romanen Wait Until Spring, Bandini (1938) und Ask the Dust (1939) das Fundament für die zeitgenössische Los-Angeles-Literatur legte. Ähnlich wie sein Alter Ego Arturo Bandini war Fante »ein ehrgeiziger, fleißiger Junge aus Colorado«, der mit dem Verkauf seiner Story die Barrieren zur beschwerlichen Zeitschriftenwelt durchbrochen hatte. Seinem Ziel, Autor zu werden, war er bereit, alles zu opfern, traktierte in billigen, heruntergekommenen Hotelzimmern seine Schreibmaschine, während er sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt, denn vom Schreiben konnte er nicht leben.1
Ab 1933 verdingte er sich in Hollywood als Drehbuchautor, doch was als Überlebensstrategie für sein Schreiben gedacht war, zehrte seine schriftstellerische Produktivität auf. »Ich schreibe für die Studios, und es ist der widerwärtigste Job im Reich Christi«, beklagte er sich bei seinem Mentor H. L. Mencken, dem Herausgeber der Zeitschrift The American Mercury. »Ich mag das Kino nicht«, schrieb er an anderer Stelle, aber ihm gefielen die Gagen, die in der Filmindustrie gezahlt wurden2. Auch wenn Fante häufig dem linken Spektrum der »West Coast Writers« zugerechnet wird3, war Fante dennoch kein explizit politischer Autor. Vielmehr verarbeitete er persönliche Erfahrungen zu einem spröden Realismus, der die oft karge, vom Kapitalismus gezeichnete Existenz der Italoamerikaner im Westen der USA detailreich beschrieb. Schreiben, Alkohol und Sex interessierten ihn mehr als Ideologien oder politische Überzeugungen. »Ich bin weder für den Kapitalismus noch für Kommunismus«, schrieb er 1936 an seinen langjährigen Freund Carey McWilliams, »sondern für den Klitorismus.«4
Down & Out
Zwar galt Fante als »einer der originärsten und engagiertesten Autoren von Los Angeles«5, doch geriet der Autor Fante nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend in Vergessenheit. Sowohl beim Publikum als auch bei Kritikern fiel er durch das Raster der Wahrnehmung. Für die New Yorker Intellektuellen hatte er keine literarische Bedeutung, da Fantes Romane von einer ethnischen Provinzialität und einer Verwurzelung im italienischen Katholizismus gekennzeichnet waren und ihnen die Verbindung zur Moderne fehlte. Fantes literarische Vorbilder waren Knut Hamsun und Sherwood Anderson, die in den vom Existenzialismus geprägten 1950er Jahren als rückständig galten. Im Gegensatz zu anderen Autoren wie James T. Farrell, Daniel Fuchs, Richard Wright oder Nelson Algren, die im Zuge staatlich geförderter Schreibprojekte in der Ära der »Popular Front« mit ihren oft autobiografisch gefärbten »ethnografischen« Erkundungen der ethnischen Gettoerfahrung zu einer bescheidenen Prominenz im US-amerikanischen Literaturbetrieb gelangten, verloren sich die Spuren Fantes im kulturindustriellen Ödland von »Tinseltown«.6
Aus der Vergessenheit riss ihn Charles Bukowski, der in den 1960er Jahren zu einem international gefeierten »Außenseiter« in der Los-Angeles-Literatur aufstieg und Fantes Arturo-Bandini-Roman Ask the Dust in der öffentlichen Bücherei von Los Angeles entdeckt hatte. Beim Lesen des Romans kam er sich vor »wie ein Mann, der Gold auf der Müllkippe gefunden hatte«7, und künftig war Fante nicht nur sein Idol. »Fante war mein Gott«8, schrieb Bukowski, und dieses Zitat prankte auf jedem Exemplar von Fantes Werkausgabe, die in den 1970er Jahren beim Verlag Black Sparrow Press und später bei HarperCollins unter dem Ecco-Imprint erschien. In den Augen einiger Kommentatoren war Bukowski jedoch – trotz seiner Popularität und des medialen Hypes – nichts anderes als ein Epigone, während Fante das unerreichte Original blieb. In City of Quartz schrieb Mike Davis, Fante habe eine Ein-Mann-Schule des Saufkumpan-Schreibens (»wino writing«) gegründet, das Bukowski in »Fantesken Beschreibungen der Hollywood-Halbwelt der gefallenen ›Stars in den Bars‹« lediglich imitiere.9
Little Italy
In der Short-Story-Sammlung Little Italy (die 1985 im Original unter dem Titel The Wine of Youth erschien) finden sich Kurzgeschichten, die größtenteils im Milieu der italoamerikanischen Kleinbürger und Proletarier spielen. Oft wird aus der Perspektive eines Kindes Momente des Heranwachsens in der engen, vom Katholizismus und Machismus geprägten Welt der italienischen Einwanderer erzählt, und die Stories kreisen um das Hineinwachsen in die kulturelle Umwelt, das Durchlaufen der Erziehung in Schule und Kirche und die kleinen Revolten gegen die Autorität, die sich in Form von Diebstahl und Lüge artikulieren und die entsprechenden Strafen nach sich ziehen. Sportarten wie Baseball und Football stellen kleine Fluchten aus dem prekären Milieu dar: Sie sind Formen der »Amerikanisierung«, mit denen sich die heranwachsenden Protagonisten dem US-amerikanischen Mainstream nähern könnten.
Der Band beruht in erster Linie auf der frühen Kurzgeschichtensammlung Dago Red aus dem Jahre 1940, wobei neun der dreizehn Stories zuerst in The American Mercury erschienen. Hinzugefügt wurden einige Stories, die wie die Geschichte »Der Träumer« den Bandini-Zyklus10 antizipieren und Fantes großes Thema vom um Anerkennung kämpfenden Schriftsteller behandeln, der selbst noch in billigen Absteigen ein Fetzen Glück erhascht. Abgerundet wird das Buch mit einem fundierten Nachwort des Frankfurter Antiquars und »Fanteologen« Wolfgang Rüger, der neben einem biografischen Abriss auch eine Darstellung der Facetten von Fantes Literaturproduktion liefert. Dabei präsentiert Rüger Fante nicht als genialen Autor, sondern zeigt auf, wie tief er im italoamerikanischen Immigrantenmilieu verwurzelt war, und zieht Vergleiche zu Woody Allens nostalgischen Beschwörungen seiner Kindheit im jüdischen Milieu von New York in Filmen wie Annie Hall oder Radio Days. Für Rüger drückt sich in Fantes Prosa eine »antibürgerliche, nonkonformistische Haltung« aus, freilich lediglich aus der männlichen Perspektive. Häufig lebt der proletarische Vater in Fantes Familienszenen sein machohaftes Gehabe aus, während Frauen entweder auf die Rolle der frömmelnden Hausfrau oder jene der platinblonden Verführerin beschränkt sind, welche die Stabilität der italoamerikanischen Familie in Gefahr bringt. »Dass die Frauen bei Fante so schlecht wegkommen, ist nicht seine Schuld«, meint Rüger. »Es ist auch nicht seine Aufgaben, weibliche Utopien zu formulieren.« In dieser antiquierten Vorstellung, in der Fante als Heros der männlichen Welt fungiert, schuf Fante Bücher für die »eine Hälfte der Menschheit« als Ausweg, während die andere vergeblich auf Erlösung hoffte.11
1933 war ein schlimmes Jahr
Eine ähnliche soziale Konstellation wie in diesen frühen Stories findet sich in dem in den 1960er Jahren begonnenen und unvollendet gebliebenen Roman 1933 Was a Bad Year, der 1985 posthum erschien und nun von Alex Capus ins Deutsche übertragen wurde. Protagonist dieser typischen Geschichte des Erwachsenwerdens ist Dominic Molise, ein Abkömmling einer Familie italienischer Zuwanderer in Colorado, der über den Sport (in diesem Fall Baseball) den Absprung in den US-amerikanischen Mainstream bewerkstelligen möchte. Seine Großmutter Bettina hadert immer noch mit den harten amerikanischen Verhältnissen: Die großen Versprechungen eines goldenen Amerikas, eines Landes der Gleichheit und Brüderlichkeit verloren sich im Pestgestank des Kapitalismus, in dessen Miasma all die Hoffnungen auf ein besseres Leben verendeten. Nostalgisch erinnert sich die Großmutter an das karge Leben in den Abruzzen, an die »gute alte Zeit«, als die Städte noch klein waren und die Männer nicht weit gehen konnten. Stets trieb sie der Hunger in die kleine, enge Welt zurück.12
Im Gegensatz zu den Kurzgeschichten aus den 1930er Jahren tritt in diesem kurzen Roman ein nostalgischer Zug oder – mit den Worten Oliver Nachtweys – eine »melancholische Retronormativität«13 hervor. In diesem späteren Text, in dem Fante noch einmal die Versprechungen einer besseren Existenz jenseits der vorgefertigten Warenform einzulösen versuchte, glättete er – wie sein Biograf Stephen Cooper schrieb – die »Kanten seiner jugendlichen Verzweiflung« in der Hoffnung, mit einem marktfähigen Produkt noch einmal im US-amerikanischen Literaturbetrieb reüssieren zu können.14 Die abgemilderte Version der Fante-Prosa reflektiert sich nicht allein in der sämigen Übersetzung, sondern auch in der schmeichlerischen Anbiederung des Übersetzers an den Autor im Nachwort, in dem sich Capus als langjähriger Bewunderer des Autors Fante präsentiert. Dies scheint mittlerweile ein gängiges Klischee zeitgenössischer (mittlerweile auch in die Jahre gekommener) Nachwuchsautoren zu sein. Stets schon kompensieren sie die mangelnde Originalität mit einer götzenhaften Anbetung von Autoren wie John Dos Passos, William Faulkner oder John Fante. So wäre es doch besser, sich gleich ans Original zu halten.
Bibliografische Angaben:
John Fante.
Little Italy: Stories.
Übersetzt von Kurt Pohl und Rainer Wehlen.
Mit einem Nachwort von Wolfgang Rüger.
Augsburg: Maro Verlag, 2016.
368 Seiten, 20 Euro.
John Fante.
1933 war ein schlimmes Jahr.
Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Alex Capus.
Berlin: Aufbau Verlag/Blumenbar, 2016.
144 Seiten, 16 Euro.
© Jörg Auberg 2017
Bildquellen (Copyrights) |
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Foto John Fante | By Nail Babayev (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons |
Cover The Wine of Youth | © HarperCollins/Ecco |
Cover Little Italy | © MaroVerlag |
Cover 1933 Was a Bad Year | © HarperCollins/Ecco |
1933 war ein schlimmes Jahr | © Aufbau Verlag/Blumenbar |
Nachweise
- John Fante, Dreams from Bunker Hill (New York: HarperCollins/Ecco, 2002), S. 9; Stephen Cooper, Full of Life: A Biography of John Fante (Santa Monica, CA: Angel City Press, 2005), S. 89 ↩
- Cooper, Full of Life, S. 139, 151 ↩
- Alan M. Wald, Writing from the Left: New Essays on Radical Culture and Politics (London: Verso, 1994), S. 110; Michael Denning, The Cultural Front: The Laboring of American Culture in the Twentieth Century (London: Verso, 1997), S. 237; Marcella Bencivenni, Italian Immigrant Radical Culture: The Idealism of the Sovversivi in the United States, 1890–1940 (New York: New York University Press, 2011), Kindle-Ausgabe ↩
- John Fante, Selected Letters, 1932–1981, hg. Seamus Cooney (New York: HarperCollins/Ecco, 2002), S. 134; Peter Richardson, American Prophet: The Life and Work of Carey McWilliams (Ann Arbor: University of Michigan Press, 2005), S. 81–82 ↩
- David Fine, Imagining Los Angeles: A City in Fiction (Reno: University of Nevada Press, 2004). S. 182 ↩
- Fred L. Gardaphè, »Left Out: Three Italian-American Writers of the 1930s«, in: Radical Revisions: Rereading 1930s Culture, hg. Bill Mullen und Sherry Linkon (Urbana: University of Illinois Press, 1996), S. 60–77; Ben Pleasants, »The Dust and Fog of L. A.’s Streets: The John Fante Tapes«, http://www.3ammagazine.com/3am/the-dust-fog-of-las-streets-the-john-fante-tapes-one/ ↩
- Charles Bukowski, Vorwort zu: John Fante, Little Italy, übers. Kurt Pohl und Rainer Wehlen (Augsburg: MaroVerlag, 2016), S. 8 ↩
- Ibid., S. 9 ↩
- Mike Davis, City of Quartz: Excavating the Future in Los Angeles (New York: Vintage, 1992), S. 41 ↩
- Zum Bandini-Zyklus gehören neben den frühen Romanen Wait Until Spring, Bandini und Ask the Dust die Spätwerke Dreams From Bunker Hill (1982) und The Road to Los Angeles (1985) ↩
- Wolfgang Rüger, »Als Italiener in Amerika«, in Fante, Little Italy, S. 363 ↩
- John Fante, 1933 Was a Bad Year (New York: HarperCollins/Ecco, 2002), S. 16–17 ↩
- Oliver Nachtwey, Die Abstiegsgesellschaft: Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne (Berlin: Suhrkamp, 2016), S. 37 ↩
- Cooper, Full of Life, S. 71 ↩