Auf der Flucht
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]Drei Bücher beschreiben die harte Realität des Exils während des Nationalsozialismus
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]von Jörg Auberg
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»Der Idee, dass man den Faschismus aushalten könnt, wenn er nur friedlich wär, begegnet man öfters. Sie ist nicht besonders intelligent.«
Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche1
»Die Emigration war nicht gut.«
Klaus Mann, Der Wendepunkt2
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war »Emigrant« das »ärgste Schmähwort« in Deutschland, schreibt Georg Stefan Troller in seinen Memoiren. Im Jahre 1938 vor den Nationalsozialisten aus Wien in die Tschechoslowakei und später nach Frankreich geflohen, wurde er bei Kriegsbeginn interniert, erhielt jedoch zwei Jahre später ein Visum für die USA. Als US-Soldat kehrte er nach Europa zurück und wurde bei der Vernehmung von Kriegsgefangenen eingesetzt. Von Opportunisten wie Wilhelm Furtwängler wurden die »Emigranten« als »schimpflich Geflohene« denunziert. »Wir waren diejenigen, die ihr Land im Stich gelassen hatten, als es um die Wurst ging«, resümiert Troller das Ressentiment der Täter und Mitläufer gegenüber den »Flüchtlingen«. »Nur um draußen in ›südfranzösischen Badeorten‹ (Gottfried Benn) mit ihren gestohlenen Millionen zu schlemmen.«3
Die Identität der Menschen, die nach 1933 das nationalsozialistische Deutschland verlassen mussten, änderte sich unter den Blicken der »Anderen«. »Wir wurden aus Deutschland vertrieben, weil wir Juden sind«, schrieb Hannah Arendt 1943. »Doch kaum hatten wir die Grenze zu Frankreich passiert, da wurden wir zu ›boches‹ gemacht.«4 Im Vordergrund standen das Überleben und das Überwinden bürokratischer Hemmnisse, wie es Lion Feuchtwanger eindrucksvoll in seinem großen Roman Exil (1940) beschrieb. Für die meisten Autoren und Autorinnen, die zunächst in Europa und später auch in anderen Erdteilen Zuflucht vor den Nazis suchten, sollte es keine dauerhafte Emigration, sondern ein Exil auf Zeit sein, dessen Dauer sie jedoch unterschätzten. Die harte Realität des Exils leuchten drei Bücher über verschiedene Formen der Emigration in den 1930er Jahren aus, wobei sie nicht lediglich die Geschichte neu zu erzählen versuchen, sondern ihr neue Facetten abgewinnen.
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Hölle und Paradies: Der Amsterdamer Querido-Verlag
In ihrem Buch Hölle und Paradies rekonstruiert die Rundfunkjournalistin Bettina Baltschev die Geschichte des Exilverlages Querido, der 1933 auf Initiative des deutschen Verlegers Fritz Landshoff in Kooperation mit dem niederländischen Verleger Emanuel Querido ins Leben gerufen wurde. »Emanuel Querido ist einer der erfolgreichsten Verleger der Niederlande«, charakterisiert ihn Baltschev, »und wird zum Ermöglicher eines bedeutenden deutschen Exilverlages […].«5 Landshoff, der vor der nationalsozialistischen Machtübernahme zusammen mit Gustav Kiepenheuer den Gustav Kiepenheuer Verlag in Berlin leitete, brachte sich mit 75.000 Gulden in das Unternehmen ein und nahm Autoren wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers, Arnold Zweig, Ernst Toller, Joseph Roth und andere unter Vertrag. Vor allem zu Klaus Mann, der im Amsterdamer Café Americain Teile seines Roman Mephisto verfasste, verband ihn eine innige Freundschaft (für Klaus Mann war Landshoff »mein brüderlicher Freund«6).
Bei Querido erschienen ausschließlich Erstausgaben, da trotz des Verbots der Bücher der verfemten Autorinnen und Autoren in Deutschland die bereits gedruckten Exemplare im Ausland billig verhökert wurden und Querido mit Neuauflagen dagegen nicht konkurrieren wollte. Daneben bestand in Amsterdam eine sanfte Rivalität zu einem anderen Exilverlag: Mit Unterstützung von Walter Landauer und Hermann Kesten gab Gerard de Lange in seinem Verlag Allert de Lange ebenfalls deutsche Exilliteratur heraus. »Während die Verleger Querido und de Lange sich durchaus nicht sonderlich grün sind«, beschreibt Baltschev das Verhältnis, »teilen die deutschen Verlagsmitarbeiter das literarische Feld zivilisiert und freundschaftlich untereinander auf.«7
Ein politisch hochkarätiges Projekt war die von Klaus Mann in den Jahren zwischen 1933 und 1935 herausgegebene Kulturzeitschrift Die Sammlung, deren erste Ausgabe mit Texten von Alfred Döblin, Joseph Roth, Thomas Mann, Hermann Kesten und anderen erschien. Bereits nach dem Erscheinen gab es unter manchen Autoren einen Streit über die explizit politische Ausrichtung der Zeitschrift. »›Die Sammlung‹ war schöngeistig«, beschrieb sie Klaus Mann, »dabei aber militant – eine Publikation von Niveau, aber nicht ohne Tendenz. Die Tendenz war gegen die Nazis.«8 Um es sich mit den nationalsozialistischen Machthabern nicht gänzlich zu verderben, distanzierten sich Thomas Mann, René Schickele und Alfred Döblin von der Zeitschrift.
Nach der Annexion Österreichs 1938 gingen die Niederlande zu einer »Politik der geschlossenen Grenzen« über, und »Fremde« wurden zu »Unerwünschten«. Als zwei Jahre später deutsche Truppen die Niederlande besetzten, beging der Schriftsteller und Übersetzer Menno ter Braak Selbstmord. Landshoff war zu Verhandlungen nach London gereist und wollte für alle Verlagsangehörigen englische Visa besorgen, doch dieses Angebot schlug Querido aus. Zusammen mit seiner Frau wurde er verhaftet und 1943 im Vernichtungslager Sobibór ermordet. 1948 fusionierte der Querido-Verlag mit dem Bermann-Fischer Verlag, der später im S. Fischer Verlag aufging. Im Jahre 1950 erschien das letzte Buch des Querido-Verlages und war dem Gedächtnis Klaus Manns gewidmet, der ein Jahr zuvor Selbstmord in Cannes begangen hatte.
Baltschev schildert die Geschichte des Querido-Verlages im Kontrast mit der Gegenwart, in der sie Spuren der Vergangenheit sucht. Dabei nähert sie sich ihrem Gegenstand in einer feuilletonistischen Herangehensweise, in der sie die Geschichte präsentiert, als wüsste sie, »wie es gewesen ist«. Ihre Erzählungen sind im Präsens gehalten, was ihnen eine falsche Aura der Authentizität verleiht. Aber auch wenn das Buch wie ein historisches Rundfunkfeature daherkommt, leistet Baltschev mit ihrer Rekonstruktion der Querido-Geschichte einen wichtigen Beitrag, wobei auch die von Baltschev zusammengestellte Querido-Bibliografie die eindrucksvolle Leistung des Verlages dokumentiert.
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Exil als Lebensform
In seiner exzellent recherchierten und aufbereiteten Monografie Exil als geistige Lebensform beschreibt Andreas Rumler die Freundschaft und das Arbeitsbündnis zwischen Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht von den 1920er bis zu den 1950er Jahren. Feuchtwanger war bereits ein arrivierter Autor, als ihn Brecht in München aufsuchte, um ihn als »Coach« für sein Vorankommen im deutschen Kulturbetrieb zu nutzen. Beide Autoren waren – wie Rumler treffend schreibt – »Fremdlinge im eigenen Land«9: Feuchtwanger entstammte einer jüdisch-orthodoxen Familie und war häufig antisemitischen Ressentiments ausgesetzt, während Brecht Spross einer wohlhabenden Familie war, jedoch eher mit den Zielen der revolutionären Arbeiterklasse sympathisierte. Beide entflohen schließlich dem reaktionären, deutschtümelnden Milieu in München mit einer »Emigration« nach Berlin. Nachdem Feuchtwanger die bayrischen Zustände in seinem Roman Erfolg, dem ersten Teil seiner Wartesaal-Trilogie, bissig beschrieben hatte, meinte der Rezensent des Völkischen Beobachters, Feuchtwanger habe sich »seinen zukünftigen Emigrantenpaß« reichlich verdient.10
Nach der »Machtübergabe« 1933 mussten beide Autoren rasch das Weite suchen. Im antifaschistischen Kampf gerieten beide ins strömende Fahrwasser des Stalinismus, dessen Gewalt bis an den Abgrund zu drücken schien. Feuchtwanger begriff Literatur als Medium der Unterhaltung und Aufklärung, unterzog die deutschen Verhältnisse in seiner Wartesaal-Trilogie einer schonungslosen Kritik. Doch als er 1937 in die Sowjetunion reiste, schwieg er über die Moskauer Prozesse und die Exzesse der stalinistischen Diktatur. Dieses Schweigen schädigte letztlich auch seine kritische Position in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus.
Sowohl Feuchtwanger als auch Brecht gelang die Flucht an die Westküste der USA. Hollywood war für Brecht »Paradies und Hölle«, wo er zum Markt fahren musste, »wo Lügen gekauft« wurden. Dort konnte er zwar Drehbücher an den Mann bringen, doch war er vom kulturindustriellen Endprodukt wie etwa von Fritz Langs Film Hangmen Also Die (1943) enttäuscht. Von antikommunistischen Hysterie der Nachkriegszeit vertrieben, suchte er eine neue Zuflucht in der neu gegründeten DDR. Feuchtwanger blieb dagegen bis zu seinem Tod in den USA. »Nicht nur geografisch, auch mental bleibt er sein Leben lang Emigrant«, resümiert Rumler, »das Exil wird ihm zur geistigen Lebensform.«11 Am Ende ihrer Leben sterben sowohl Feuchtwanger als auch Brecht als »Fremdlinge« in den Ländern, in denen sie am Schluss Zuflucht gesucht hatten, ohne sie wirklich zu finden.
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Exil & Meer
In ihrem Buch »Und draußen weht ein fremder Wind …« wirft Kristine von Soden einen dezidiert weiblichen Blick auf die Erfahrung des Exils in den 1930er Jahren. An exemplarischen Biografien der Lyrikerin Mascha Kaléko, der Ärztin Hertha Nathorff, der Journalistin Hilda Marx, den Schauspielerinnen Ruth Klinger und Lilli Palmer, der Künstlerin Anna Frank-Klein und anderen weiblichen Emigrantinnen beschreibt sie eindrucksvoll die Erfahrung des Exils in Zeiten, da viele Auswege aus der nationalsozialistischen Hölle versperrt waren. Kanada nahm keine Akademikerinnen auf; in Argentinien war keine Berufsausübung ohne nationales Diplom möglich; in Belgien wurde eine Aufenthaltsgenehmigung nur erteilt, wenn eine Arbeitsgenehmigung vorlag; in Dänemark mussten Unterhaltsmittel nachgewiesen werden. Für viele bot einzig Palästina einen Ort der Zuflucht, der entweder per Schiff oder per Auto von Berlin nach Jerusalem auf einer Strecke von 4200 Kilometer zu erreichen war. Bis zum Sommer 1939 war auch Shanghai ein Zufluchtsort, der mehr der Verzweiflung denn einer freien Wahl geschuldet war. »Niemand entscheidet sich aus freien Stücken für Shanghai«, schreibt von Soden. »Doch wohin? Weltweite Einwanderungsbeschränkungen lassen kaum noch Silberstreifen am Horizont erkennen.«12
Das Eindrucksvolle dieses außerordentlichen Buches ist nicht allein die Beschreibung von Einzelschicksalen, in denen die Erfahrung der Emigration und Entwurzelung für die Leserinnen und Leser erfahrbar gemacht wird, sondern auch das Aufzeigen immergleicher Mechanismen im Prozess der Vertreibung: Die Herrschaftsmaschinerie treibt nicht allein die stigmatisierten Menschen außer Landes, sondern bereichert sich an ihrem Hab und Gut, räubert sie aus, bevor sie sie in die Wüste schickt, und international agierende Schlepperbanden profitieren von der Verzweiflung und Ausweglosigkeit der Flüchtlinge. Darüber hinaus gelingt von Soden eine kritische Rekonstruktion der Geschichte aus verschiedenen Materialien wie Tagebucheinträgen, Briefen, Gedichten, Periodika, Zeitungsannoncen, Fotos, Reiseprospekten und selbst Pässen. So ist ihr Versuch – wie sie im Vorwort schreibt –, »einen neuen Blick auf die Fluchten ins Exil während des Nationalsozialismus zu werfen«13, nicht nur gelungen, sondern er verwebt Vergangenheit und Gegenwart zu einer kritischen Bestandsaufnahme dessen, was bei der Diskussion von Emigration und Menschenrecht (die noch in Zeiten des Krieges Hannah Arend initiierte) immer noch auf der Agenda steht: Jeder Mensch hat das Recht, an jedem Ort dieser Welt zu sein, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen.
[sh_margin margin=“30” ][/sh_margin]Bibliografische Angaben:
Bettina Baltschev.
Hölle und Paradies: Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur.
Berlin: Berenberg Verlag, 2016.
168 Seiten, 22,00 Euro.
Andreas Rumler.
Exil als geistige Lebensform: Brecht + Feuchtwanger – Ein Arbeitsbündnis.
Berlin: Edition A · B · Fischer, 2016.
160 Seiten, 16,80 Euro.
Kristine von Soden.
»Und draußen weht ein fremder Wind …«: Über die Meere ins Exil.
Berlin: AvivA Verlag, 2016.
240 Seiten, 19,90 Euro.
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Cover Hölle und Paradies — Berenberg Verlag
Cover Die Sammlung — Wikimedia Commons
Cover Exil als Lebensform — Edition A B Fischer
Cover »Und draußen weht ein fremder Wind …« — AvivA Verlag
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© Jörg Auberg 2017
Nachweise
- Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche: Erweiterte Ausgabe (Berlin: Suhrkamp, 2016), S. 132 ↩
- Klaus Mann, Der Wendepunkt: Ein Lebensbericht, hg. Fredric Kroll (Reinbek: Rowohlt, 2006), S. 461 ↩
- Georg Stefan Troller, Unterwegs auf vielen Straßen: Erlebtes und Erinnertes (Köln: Edition Memoria, 2016), S. 36 ↩
- Hannah Arendt, The Jewish Writings, hg. Jerome Kohn und Ron H. Feldman (New York: Schocken, 2007), S. 270; Arendt, Wir Flüchtlinge, übers. Eike Geisel (Stuttgart: Reclam, 2016), S. 23–24 ↩
- Bettina Baltschev, Hölle und Paradies: Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur (Berlin: Berenberg, 2016), S. 28 ↩
- Klaus Mann, Der Wendepunkt, S. 420 ↩
- Bettina Baltschev, Hölle und Paradies, S. 43 ↩
- Klaus Mann, Der Wendepunkt, S. 409; zur Kontroverse um die Zeitschrift siehe Frederic Spotts, Cursed Legacy: The Tragic Life of Klaus Mann (New Haven: Yale University Press, 2016), S. 76–84, 101–102 ↩
- Andreas Rumler, Exil als geistige Lebensform: Brecht + Feuchtwanger – Ein Arbeitsbündnis (Berlin: Edition A · B · Fischer, 2016), S. 16 ↩
- Andreas Rumler, Exil als geistige Lebensform, S. 56 ↩
- Andreas Rumler, Exil als geistige Lebensform, S. 112, 150 ↩
- Kristine von Soden, »Und draußen weht ein fremder Wind …«: Über die Meere ins Exil (Berlin: AvivA Verlag, 2016), S. 154 ↩
- Kristine von Soden, »Und draußen weht ein fremder Wind …«: Über die Meere ins Exil, S. 9 ↩