Es geht nicht um das Buch
Marginalien zur Frankfurter Buchmesse 2017
Von Jörg Auberg
»Beim Besuch einer Buchmesse ergriff mich eine sonderbare Beklemmung«1, notierte Theodor W. Adorno im Oktober 1959. Im Jahre 2017 erinnerte die Frankfurter Buchmesse an jene Ereignisse vor fünfzig Jahren, die Roman Brodmann unter dem Titel Der Polizeistaatsbesuch – Beobachtungen unter deutschen Gastgebern dokumentiert hatte. Bereits seit Jahren war das Buch auf der Frankfurter Buchmesse zur vernachlässigbaren Nebensache geworden, seit der Marketing-Experte Juergen Boos 2005 das Direktorat der Frankfurter Buchmesse übernahm und deren »Modernisierung« im Sinne des neoliberalen Zeitgeistes betrieb. Die »Modernisierung« bestand vor allem in der Förderung des Crossmedia- und Transmedia-Publishings sowie der Digitalisierung, um den Produzenten von »Content« neue Bühnen zur Selbstdarstellung und Vermarktung zu bieten.
In diesem »Kontext« erscheint der Katalog der Kurt Wolff Stiftung mit dem fast schon desperaten Titel Es geht um das Buch als Marginalie auf dem Jahrmarkt des Kommerzes und der Eitelkeiten. Für »Bücher, die mit großer Sorgfalt, hohem Qualitätsanspruch und Liebe zum Detail verlegt werden«2 interessiert sich realiter lediglich eine Minorität. Was zählt, sind prall gefüllte Auftragsbücher und der internationale Austausch von Lizenzen.
Hysterie und Dialog
Neben dem üblichen Geschäft des Kommerzes und der Zurschaustellung der analogen und digitalen Waren aus dem Portfolio der Publishing- und Medienindustrie wurde die Frankfurter Buchmesse 2017 auch von politischen »Tumulten« gekennzeichnet. Bereits im Vorfeld des medialen Auftriebs wurde die Entscheidung der Leitung der Buchmesse kritisiert, neofaschistischen Verlagen wie Antaios oder der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit an exponierter Stelle Bühnen für ihren »Kulturkampf« gegen eine liberale Gesellschaft zu bieten. Zugleich beschwichtigten Medien wie die Berliner tageszeitung (die sich bei anderen Gelegenheiten in einer aufgeheizten Krawallpublizistik gefällt), dass der »Trubel« um den Aufmarsch rechter Verlage nicht mehr als »Hysterie« sei.3 Die Verbreitung neofaschistischer Ideen und der damit ausgeübten Gewalt in der jüngeren Vergangenheit erklärten »abgeklärte« Redakteure wie Arno Frank zur »Normalität« in der demokratischen Auseinandersetzung.
Ins gleiche Horn stieß die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, die sich als Cover-Girl der Jungen Freiheit verdingte und – ob aus Dummheit oder Geltungssucht – sich »bereit für die Debatte« erklärte. Wer sie für den Dialog mit den Neofaschisten aufgefordert hatte oder in welcher Funktion sie sich auf der Bühne der Neofaschisten anbiederte, blieb freilich ungeklärt.
Neofaschistische Tumulte
Die Einladung zum Dialog nutzten die Neofaschisten auf ihre Weise. Als Achim Bergmann, der 74-jährige Verleger des Trikont-Verlages, beim Vorbeigehen am Stand der Jungen Freiheit einen negativen Kommentar rief, stürzte ein Schläger aus dem Pulk der Neofaschisten und schlug Bergmann mit der Faust ins Gesicht, den das Opfer als »Mörderschlag« empfand.4 Der Täter lief nicht davon, sondern stellte sich mit einem Selbstbewusstsein zur Schau, das mit brutaler Gewalt seine Opfer verhöhnt. Auch beim Auftritt neofaschistischer Rackethäuptlinge am Stand des Antaios-Verlages nahmen die Rechtsextremen unter Führung des Ideologen Götz Kubitschek das Heft der Gewalt in die Hand, ohne dass die Leitung der Buchmesse in der Lage gewesen wäre, den Exzessen Einhalt zu bieten.
Im Bericht der Frankfurter Polizei sind die Frankfurter Messehallen bereits Teil der »trumpifizierten Umgebungen«, in denen die Verantwortung für die Ereignisse »volksgemeinschaftlich« bei beiden Seiten des politischen Spektrums abgeladen wird.
Juergen ohne Land
Obgleich Boos als Direktor der Frankfurter Buchmesse von den neofaschistischen Rackets vorgeführt wurde, bleibt er unerschütterlich in seinem Kommandostand und gibt weiter Direktiven an seinen Generalstab aus. »Das wichtigste Gut der Frankfurter Buchmesse ist seit 500 Jahren die Meinungsfreiheit«8, gibt er als Bonmot in einem Interview mit dem Kultursender 3Sat zum Besten. Unterschlagen wird dabei, dass Boos persönlich im Jahre 2009, als China Gastland der Frankfurter Buchmesse war, chinesische Dissidenten auslud. Verschwiegen wird auch das »Anempfinden an die Macht«, das seit je den Börsenverein der Deutschen Buchhändler auszeichnete. Im April 1933 hatte er sich in »der Judenfrage« dem »Sofortprogramm« der neuen Reichsregierung untergeordnet. Mit diesem »opportunistischen Anpassungsverhalten«9 (wie Jan-Pieter Barbian es treffend beschreibt) geht auch Boos konform.
Zerstörerische Toleranz
Mit der Öffnung für neofaschistische Positionen (die medial unter dem Banner »Rechtspopulismus« segeln) haben politische Parteien, Medien und berufsständische Organisationen Tore geöffnet, über die reaktionäre Horden in den öffentlichen Raum strömen. Anders als die zwischen Krawallpublizisitik und Bagatellisierung lavierende tageszeitung hat die Frankfurter Rundschau auf der Buchmesse Diskussionen zu »rechten Mythen« veranstaltet und die Erinnerung an den »Widerstand gegen die Rechte« im Bewusstsein gehalten, eine Erinnerung, die sich aus den Erfahrungen der Revolte von 1968 speist, ohne deren Fehler aus dem Gedächtnis zu verlieren. »Vor der Welt, wie sie ist, kann man sich gar nicht genug fürchten«11, resümierte Adorno in seinen »Marginalien zu Theorie und Praxis« im Jahre 1969. Angesichts der jetzigen Zustände gibt es keinen Grund, dieses Resümee zu revidieren.
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Cover Es geht um das Buch | © Kurt Wolff Stiftung |
Buchmessenfotos | © Jörg Auberg |
© Jörg Auberg 2017
Nachweise
- Theodor W. Adorno, »Bibliographische Grillen«, in: Adorno, Noten zur Literatur, hg. Rolf Tiedemann (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1981), S. 345 ↩
- Kurt Wolff Stiftung, Es geht um das Buch (Leipzig: Kurt Wolff Stiftung, 2017), ohne Paginierung ↩
- Arno Frank, »Keine Invasion von rechts«, taz, 9. Oktober 2017, https://www.taz.de/!5453196/. Im Mai 2017 verglich der taz-Kolumnist Uli Hannemann die Kirchentagsbesucher in Berlin mit deutschen Besatzungssoldaten von Paris. ↩
- https://trikont.de/themen/die-trikont-story/nachrichten-aus-dem-trikont-universum/achim-bergmann-ueber-die-attacke-auf-der-buchmesse/ ↩
- Danijel Majic, »Versuch einer Landnahme«, Frankfurter Rundschau, 16. Oktober 2017, S. 26 ↩
- Frankfurter Polizei, »POL‑F: 171015 — 1104 Frankfurt-Westend: Tumult auf der Frankfurter Buchmesse«, http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/4970/3761226 ↩
- Frankfurter Buchmesse, Pressemitteilung, 14. Oktober 2017 ↩
- Juergen Boos, Interview in der Sendung Kulturzeit, 3Sat, 16. Oktober 2017 ↩
- Jan-Pieter Barbian, Die vollendete Ohnemacht? Schriftsteller, Verleger und Buchhändler im NS-Staat (Essen: Klartext, 2008), S. 40 ↩
- Herbert Marcuse, »Repressive Tolearanz«, in: Marcuse, Schriften, Bd. 8 (Springe: Klampen, 2004), S. 164 ↩
- Adorno, »Marginalien zu Theorie und Praxis«, in: Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, hg. Rolf Tiedemann (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2003), S. 778 ↩