Unerwünschte Zombies
Über das Nachleben von Mordgesellen der Mafia, die sich selbst überlebten
von Jörg Auberg
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die US-amerikanischen, sich einer Reihe »unerwünschter Bürger« italienischer Herkunft zu entledigen, die zu Beginn des Jahrhunderts in die USA emigriert waren und in der Folgezeit zumeist brutale Handlangerdienste im Auftrag der Mafia ausgeführt hatten. Ähnlich wie 1919, als der US-amerikanische Staat missliebige Anarchisten mit »Migrationshintergrund« ins revolutionäre Russland deportiert hatte, verfrachtete er nun kriminelle »mercenarios« der Mafiaorganisationen wie auch einzelne Anarchisten, die illegal in den USA lebten, auf den schwedischen Passagierdampfer »Gripsholm« und ließ sie im Hafen von Neapel aussetzen, und die depravierten Racketeers mussten sich in den italienischen Landschaften arbeits‑, mittel- und beziehungslos durch ihr Nachleben schlagen. Im Jahre 1951 organisierte der heruntergekommene Gangster Frank Frigenti noch einen »Hungermarsch« für die sozial deklassierten Remigranten, der in der Presse als »Marsch der müden Tiger« verhöhnt wurde.
Der Journalist und Schriftsteller Gian Carlo Fusco (1915–1984) spürte diesen zwiespältigen wie zwielichtigen Figuren wie Frigenti, Lily Valentino und Lou Grisafi nach und porträtierte sie in seinem erstmals 1962 erschienen Buch Gli indesiderabili, das 2003 neu aufgelegt und die Grundlage für den gleichnamigen Film des Regisseurs und Drehbuchautors Pasquale Scimeca bildete. Unter dem Titel Die Unerwünschten bringt nun der Berenberg-Verlag diese journalistische Forschungsarbeit in einer eindrucksvollen Übersetzung von Monika Lustig heraus, wobei der Untertitel (»Als Amerika nach Hause schickte«) etwas zu reißerisch daherkommt, denn keineswegs entledigte sich der US-amerikanische Staat der kriminellen Netzwerke der Mafia, sondern einzelner beliebig austauschbarer Handlanger von Crime Inc., deren Verschwinden nicht den Fortbestand des kriminellen Systems der Unterdrückung gefährdete. Die Mafia hatte sich längst in die Schächte der Macht eingegraben und war überall zu Hause. Zur eigenen Herrschaftssicherung benutzte sie marktkonforme Verbrecher, deren Interesse sich auf die Aneignung des größtmöglichen Anteils am zirkulierenden Mehrwert beschränkte. »Das Stigma des Verbrechers ist die Nutzlosigkeit«, konstatierte Max Horkheimer in seiner kurzen »Theorie des Verbrechers«. Seine Aktivität reduziert sich auf das »Abjagen des Mehrwerts unter Ausschaltung des Tauschs«. Innerhalb des kapitalistischen Systems repräsentierte der brutale Racketeer den archaischen, gesichtslosen, beliebig austauschbaren Agenten der rohen Gewalt, während die Herren des kriminellen Systems wie Lucky Luciano dem Terror einen respektablen Schein gaben.
Daher konterkariert das gediegene Bürgerlichkeit vorgaukelnde Portrait Lucianos am Anfang des Buches den Inhalt des Forschungsberichtes. Nicht die bürgerliche Fassade der ubiquitären kriminellen Herrschaft beschreibt Fusco, sondern er zeichnet grelle Miniaturen der abgewrackten Racketeers, die nach dem sozialen Abstieg noch den allerletzten Plunder aus ihren besseren Tag zu Geld machen wollen oder ein Gnadenbrot als Nachtwächter für ein Käsereilager erhalten, ehe sie von der Vergangenheit eingeholt und aus Blutrache für ein altes Verbrechen liquidiert werden. Dabei bedient sich der »Philologe des Verbrechens« (wie ihn Adrian Giacomelli in seinem Nachwort tituliert) einer kraftvollen, bildhaften Sprache, um die »Gesellschaft der zugenähten Münder«, als deren ausrangiertes Personal die Mafia-Zombies seiner kurzen, prägnanten Geschichten agieren. »Die Lippen, die einst scharfgehäckselte Drohungen und Befehle ausgespuckt hatten, waren nun schlaff wie tote Mollusken«, heißt in der Beschreibung einer seiner Protagonisten. Oder an einer anderen Stelle skizziert er eine typische Aktivität eines Mafia-Söldners: »Zack kam das Schießeisen unter seinem Jackett hervor und spuckte Tickets für die Hölle aus.« Die besondere Note erhält das Buch durch die außergewöhnliche und einfallsreiche Übersetzung Monika Lustigs, die einen originellen Sprachmix aus Italienisch und amerikanischem Englisch kreiert, sodass bizarre Worte wie »isse noccaut« (»es ist ein Knockout«), »raitar« (»writer«) »Dschurnaliste«, »okei« oder »olreit« (»alright«) den Text durchziehen und die Entwurzelung der zwangsweise zurückgeschickten Gangster widerspiegeln.
Seine Figuren zeichnet Fusco in plastischen, grellen Farben, wobei oft das Schrille auf Kosten der Komplexität und Zwischentöne dominiert. Dies wird beispielsweise in der Beschreibung des anarchistischen Schriftstellers Ezio Taddei (1895–1956) deutlich, der nach mehrjähriger Haft in den faschistischen Gefängnissen als blinder Passagier nach New York floh und nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit den Mafia-Gangstern nach Italien deportiert wurde. Zu Beginn der 1940er Jahre hatte er an der Zeitung Il Martello des anarchistischen und antifaschistischen Journalisten Carlo Tresca mitgearbeitet, ehe er dieser im Januar 1943 von unerkannten Tätern auf einer Straße in New York unweit des Redaktionsgebäudes erschossen wurde. In der Beschreibung des Zeitzeugen wird Tresca reduktionistisch als »heißblütiger, gewaltbereiter, verbohrter Riesenkerl« dargestellt, wobei in diesem Bild nicht nur die charakterliche Facetten Trescas wie auch die politischen und kulturellen Kompexitäten im italoamerikanischen Emigrantenmilieu New Yorks (das eindringlicher und nuancierter in den Tresca-Biografien von Dorothy Gallagher und Nunzio Pernicone beschrieben wird). Zudem war Taddei – wie Pernicone bemerkt – eine problematische Figur, die nach der Ermordung Trescas in einer Aussage bei der Staatsanwaltschaft zunächst die Kommunisten als Täter beschuldigte, sich jedoch drei Wochen später mit dem KP-Blatt L’Unità del Popolo verbündete und nun Mafia-Schergen als Urheber des Verbrechens verantwortlich machte (was spätere Untersuchungen auch belegten). Im Falle Taddeis wirkt Fuscos Herangehensweise etwas zu unkritisch, da er die Aufrichtigkeit seines Zeitzeugens nie in Frage stellt. Dennoch ist dieses Buch über die retournierten »Unerwünschten« eine interessante Entdeckung des Berenberg-Verlages, und es bietet eine lohnenswerte Lektüre von weitestgehend unbekannten Geschichten aus der Racket-Vergangenheit.
Bibliografische Angaben:
Gian Carlo Fusco.
Die Unerwünschten:
Als Amerika die Mafia nach Hause schickte.
Vorwort von Andrea Camilleri.
Nachwort von Adrian Giacomelli.
Aus dem Italienischen von Monika Lustig.
Berlin: Berenberg Verlag, 2014.
152 Seiten, 20 Euro.
ISBN: 978–3‑937834–69‑8.
Bildquellen (Copyrights) |
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Cover Die Unerwünschten | © Berenberg Verlag |
Zuerst erschienen in satt.org, April 2014
© Jörg Auberg 2014/2019