Die Rückkehr der Frankfurter Schule

D

Bli­cke auf eine infa­me Welt

Retro­spek­ti­ven auf die Erkennt­nis­se und Erfah­run­gen der Kri­ti­schen Theorie 

 

Die Kri­ti­sche Theo­rie, wie sie von Max Hork­hei­mer, Theo­dor W. Ador­no, Her­bert Mar­cu­se, Leo Löwen­thal und ande­ren Intel­lek­tu­el­len zunächst in Frank­furt begrün­det und spä­ter in den USA unter ver­än­der­ten Prä­mis­sen und Sicht­wei­sen wei­ter ent­wi­ckelt wur­de, gilt in der Umschrei­bung als »Schmug­gel­wa­re der Ver­nei­nung« oder – wie Leo Löwen­thal sie ein­mal cha­rak­te­ri­sier­te – als »Anzei­ge und Cha­rak­te­ri­sie­rung einer infa­men Welt«. Die­se Theo­rie ent­stand nicht an einem Ort, son­dern wur­de nach der Macht­über­nah­me der Natio­nal­so­zia­lis­ten über die Lan­des­gren­zen hin­aus geschmug­gelt und nach 1945 wie­der zurück trans­fe­riert. So ent­wi­ckel­te sich die­se Theo­rie über Jahr­zehn­te – wie Fri­th­jof Hager vor Jah­ren ein­mal tref­fend bemerk­te – an »ort­lo­sen Orten« in Euro­pa und Nord­ame­ri­ka, in denen neben der Kri­tik der jewei­li­gen gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se auch die Uto­pie eines Bes­se­ren mitschwang.

Die Frankfurter Schule und Frankfurt (Wallstein Verlag, 2009)
Die Frank­fur­ter Schu­le und Frank­furt (Wall­stein Ver­lag, 2009)

Eine Aus­stel­lung im Frank­fur­ter Jüdi­schen Muse­um unter dem Titel Die Frank­fur­ter Schu­le und Frank­furt: Eine Rück­kehr nach Frank­furt ver­sucht, die »Remi­gra­ti­on« von Intel­lek­tu­el­len wie Hork­hei­mer, Ador­no und Fried­rich Pol­lock (die zum inne­ren Kreis des Insti­tuts für Sozi­al­for­schung gehör­ten) aus ver­schie­de­nen Blick­win­keln zu the­ma­ti­sie­ren und sie in einen dezi­diert jüdi­schen Kon­text zu stel­len. Die Aus­stel­lung beschreibt nicht allein die Rück­kehr Hork­hei­mers als Ordi­na­ri­us für Sozi­al­phi­lo­so­phie an der Frank­fur­ter Uni­ver­si­tät (aus der er und vie­le ande­re 1933 ver­trie­ben wur­den) und den Neu­an­fang im zer­stör­ten Deutsch­land, son­dern auch die Inte­gra­ti­on der einst ver­fem­ten Wis­sen­schaft­ler ins Zen­trum einer Gesell­schaft, der die Rück­keh­rer mit Vor­be­hal­ten und teil­wei­se auch Unbe­ha­gen begeg­ne­ten. So berich­tet Leo Löwen­thal in einem Inter­view von der Begeg­nung mit einem Taxi­fah­rer, in dem ihm bewusst wur­de, wie wenig sich in Deutsch­land seit dem Ende der Nazi-Herr­schaft ver­än­dert hat­te. Im Gegen­satz zu Hork­hei­mer, Ador­no und Pol­lock zogen es Kol­le­gen wie Löwen­thal, Mar­cu­se oder Franz Neu­mann vor, in den USA zu blei­ben. Zu den eigen­tüm­li­chen Bege­ben­hei­ten zählt die Mit­ar­beit des 1950 wie­der­eröff­ne­ten Insti­tuts für Sozi­al­for­schung am Auf­bau der Bun­des­wehr, wobei es die­je­ni­gen Offi­zie­re beriet und schul­te, wel­che die Bewer­ber auswählten.

Der im Wall­stein-Ver­lag erschie­ne­ne Aus­stel­lungs­ka­ta­log besticht durch sein opu­len­tes Bild­ma­te­ri­al, jedoch weni­ger durch die Bei­trä­ge, wel­che oft im Stil und Duk­tus einer Ver­eins­ge­schich­te daher kom­men. Her­aus­ra­gend ist sicher ein Bei­trag des ame­ri­ka­ni­schen His­to­ri­kers Mar­tin Jay zur Anti­se­mi­tis­mus-Ana­ly­se der Kri­ti­schen Theo­rie, der jedoch bereits drei­ßig Jah­re alt ist, oder der Essay Anson Rab­in­bachs über den Ein­fluss der »sub­ver­si­ven Kraft des Juden­tums«: Der Akt des Nicht­be­nen­nens, das Ver­bot, Got­tes Name aus­zu­spre­chen, sei eine ver­bor­ge­ne jüdi­sche Tra­di­ti­on in der Kri­ti­schen Theo­rie, lau­tet das Argu­ment, das bereits Hork­hei­mer vor­ge­bracht hat­te. In sei­nem Bei­trag über das gespann­te Ver­hält­nis Hork­hei­mers zu Kol­le­gen wie Hen­ryk Gross­mann, die nach dem Krieg die DDR der Bun­des­re­pu­blik den Vor­zug gege­ben hat­ten, the­ma­ti­siert Hen­drik Nie­t­her den auto­ri­tä­ren Wesens­zug des Insti­tuts­di­rek­tors, der sich von sei­ner radi­ka­len Ver­gan­gen­heit distan­zier­te, »um sich mit der west­lich-demo­kra­ti­schen Welt zu arrangieren«.

Dage­gen fällt Det­lev Claus­sens Bei­trag über Ador­nos Heim­kehr ent­täu­schend ab: Aus­gie­big, teil­wei­se sei­ten­lang zitiert Claus­sen aus den Tex­ten Ador­nos, um ihnen ehr­erbie­tig sei­ne Erläu­te­run­gen anzu­fü­gen, wobei der Duk­tus des eil­fer­ti­gen, durch zahl­lo­se Semi­nar­ex­er­zi­ti­en geadel­ten Schü­lers, der als Mund­stück sei­nes Leh­rers fun­giert, vor­herrscht. »Wer die­sen Satz nicht ver­steht, begreift den gan­zen Ador­no nicht …«, kon­sta­tiert Pro­fes­sor Claus­sen, der pries­ter­lich über die kor­rek­te Exege­se wacht.

Lei­der fehlt im Aus­stel­lungs­ka­ta­log der letz­te Teil der Aus­stel­lung, in dem der Umgang der Kri­ti­ker der Kul­tur­in­dus­trie mit den Mas­sen­me­di­en in den 1960er Jah­ren vor­ge­führt wird. So lauscht Ador­no etwa in einem Film­bei­trag der DDR-Natio­nal­hym­ne, um anschlie­ßend ihre Wir­kung zu ana­ly­sie­ren, wäh­rend der Hes­si­sche Rund­funk Hork­hei­mer beim Tele­fo­nie­ren film­te und Hork­hei­mer in Dago­bert Lind­laus ARD-Repor­ta­ge »Frank­furt und die neue Gesell­schaft« aus dem Jah­re 1964 als intel­lek­tu­el­ler Exper­te auftrat.

Thomas Wheatland: The Frankfurt School in Exile (University of Minnesota Press, 2009)
Tho­mas Wheat­land: The Frank­furt School in Exi­le (Uni­ver­si­ty of Min­ne­so­ta Press, 2009)

Während Hork­hei­mer in der Aus­stel­lung als humor­vol­ler, men­schen­freund­li­cher, leut­se­li­ger Geist in der Ade­nau­er-Repu­blik erscheint, zeich­net ihn Tho­mas Wheat­land in sei­nem Buch The Frank­furt School in Exi­le als para­no­iden, geheim­nis­krä­me­ri­schen Ver­wal­tungs­aris­to­kra­ten, der im ame­ri­ka­ni­schen Exil alles dem Wei­ter­be­stand sei­nes Zir­kels opfer­te und sei­ne Herr­schaft inner­halb des Insti­tuts gegen unbot­mä­ßi­ge Mit­glie­der wie Erich Fromm oder Franz Neu­mann, die sich den ame­ri­ka­ni­schen Gege­ben­hei­ten assi­mi­lie­ren woll­ten, ruch­los ver­tei­dig­te. In den Augen Wheat­lands war der »Hork­hei­mer-Kreis« (wie Wheat­land die »Frank­fur­ter Schu­le« eti­ket­tiert) iso­liert und in einen »teu­to­ni­schen Kokon« ein­ge­spon­nen, atta­ckier­te Ver­tre­ter des ame­ri­ka­ni­schen Prag­ma­tis­mus wie Sid­ney Hook (»John Dew­eys Pit­bull«, wie Wheat­land ihn nennt) auf­grund ihres »anti­de­mo­kra­ti­schen«, »höchst anti­li­be­ra­len« und man­darar­i­nen­haf­ten Charakters. 

Ähn­lich argu­men­tiert Wheat­land, wenn es um die Kri­tik der Mas­sen­kul­tur geht, die in sei­nen Auge eine Demo­kra­ti­sie­rung der Kul­tur bewirkt habe. Kri­tik an ihr ist gleich­be­deu­tend mit einer anti­de­mo­kra­ti­schen Hal­tung, ohne dass er die gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se in Rech­nung stellt. »Der Kampf gegen die Mas­sen­kul­tur besteht in der Auf­de­ckung des Zusam­men­hangs zwi­schen ihr und der schlech­ten Herr­schaft«, schrieb Hork­hei­mer 1942. Wheat­land kon­tras­tiert die Kri­tik der Kul­tur­in­dus­trie, wie sie Hork­hei­mer und Ador­no in der Dia­lek­tik der Auf­klä­rung for­mu­lier­ten, mit der Kri­tik der Mas­sen­kul­tur, wie sie New Yor­ker Intel­lek­tu­el­le wie Dwight Mac­do­nald, Cle­ment Green­berg und Irving Howe arti­ku­lier­ten. Wheat­land stellt sich dabei als For­schungs­rei­sen­der auf bis­lang uner­kun­de­tem Ter­rain dar, der die Ver­bin­dun­gen zwi­schen dem Hork­hei­mer-Kreis und den New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len rekon­stru­iert, wobei jedoch vie­les rein spe­ku­la­tiv bleibt, da für die tat­säch­li­chen Ver­bin­dun­gen nur weni­ge fak­ti­sche Nach­wei­se existieren.

Eva-Maria Ziege: Antisemitsísmus und Gesellschaftstheorie (Suhrkamp, 2009)
Eva-Maria Zie­ge: Anti­se­mit­sís­mus und Gesell­schafts­theo­rie (Suhr­kamp, 2009)

In der glei­chen Pose geriert sich Eva-Maria Zie­ge in ihrer Stu­die Anti­se­mi­tis­mus und Gesell­schafts­theo­rie: Die Frank­fur­ter Schu­le im ame­ri­ka­ni­schen Exil, wobei der Unter­ti­tel eine gro­ße Erzäh­lung ver­spricht, die das Buch in kei­ner Wei­se ein­löst. Zie­ge insze­niert sich als Ent­de­cke­rin unter­ir­di­scher Fer­men­te, um zum »wah­ren Kern« der Frank­fur­ter Schu­le vor­zu­sto­ßen. Sie fühlt sich nicht allein den »Gegen­stän­den« ihrer Unter­su­chung über­le­gen, son­dern gibt sich auch cle­ve­rer als alle ande­ren His­to­ri­ker, die bis­lang die­se Geschich­te unter­such­ten, wobei die­se pene­tran­te Selbst­re­kla­me der DAAD-Sti­pen­dia­tin mehr als pein­lich wirkt. Voll­kom­men ein­ge­bun­den in den aka­de­mi­schen Betrieb ist sie unfä­hig zur kri­ti­schen Selbst­re­fle­xi­on und wirft Ador­no die »essay­is­ti­sche Schreib­wei­se« und »Eso­te­rik« vor. Ihr Buch selbst wabert an der Gren­ze zur Unles­bar­keit ent­lang, ver­mengt Deutsch und Eng­lisch zu einer absto­ßen­den Mai­sche, schleift Zita­te wie Beu­te­stü­cke in ihrem Sack durch den aka­de­mi­schen Schlamm und klas­si­fi­ziert Hork­hei­mer als Mann, der die »Nie­de­run­gen der Hoch­kul­tur« abde­cke. Stün­de ihr die Idio­syn­kra­sie gegen die »essay­is­ti­sche Schreib­wei­se« nicht im Wege und ver­füg­te sie über ein gewis­ses Sprach­sen­so­ri­um, hät­te sie sich einen Rat­schlag Ador­nos zu Her­zen neh­men kön­nen: »Wo der Gedan­ke eine Zel­le der Wirk­lich­keit auf­ge­schlos­sen hat, muß er ohne Gewalt­tat des Sub­jekts in die nächs­te Kam­mer drin­gen.« Die aka­de­mi­sche For­schungs­tech­ni­ke­rin ver­harrt jedoch in den Kata­kom­ben eines auf sich selbst fixier­ten Wis­sen­schafts­ap­pa­rats, der die his­to­ri­sche Rea­li­tät nach sei­nen Mus­tern und »Frame­works« modelt, und zieht am Ende ihres tech­no­kra­tisch-wis­sen­schaft­li­chen Unter­neh­mens Bilanz, wie die »Inno­va­tio­nen des IfS« zu bewer­ten sei­en. Das Leben bestehe aus Addi­ti­on und Sub­trak­ti­on, lau­tet das Cre­do des Racke­teers in dem Film-noir-Klas­si­ker Body and Soul; alles ande­re sei Kon­ver­sa­ti­on. Die­ser Auf­fas­sung könn­te sich die aka­de­mi­sche Con­trol­lerin mit ihrem Fai­ble für Bilan­zen in der »Wis­sen­schafts­pro­duk­ti­on« zwei­fels­oh­ne anschließen.

Biblio­gra­fi­sche Angaben:

Moni­ka Boll und Rapha­el Gross (Hg.).
Die Frank­fur­ter Schu­le und Frankfurt:
Die Rück­kehr nach Deutschland.
Göt­tin­gen: Wall­stein Ver­lag, 2009.
304 Sei­ten, 24,90 Euro.

Tho­mas Wheatland.
The Frank­furt School in Exile.
Min­nea­po­lis : Uni­ver­si­ty of Min­ne­so­ta Press, 2009.
415 Sei­ten, 39,95 Dollar.

Eva-Maria Zie­ge.
Anti­se­mi­tis­mus und Gesellschaftstheorie:
Die Frank­fur­ter Schu­le im Exil.
Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 2009.
346 Sei­ten, 13,00.

Bild­quel­len (Copy­rights)
Cover Die Frank­fur­ter Schu­le und Frank­furt © Uni­ver­si­ty of Min­ne­so­ta Press
Cover The Frank­furt School in Exi­le © Uni­ver­si­ty of Min­ne­so­ta Press
Cover Anti­se­mi­tis­mus und Gesellschaftstheorie © Suhr­kamp Verlag

Zuerst erschie­nen in satt.org, Novem­ber 2009
© Jörg Auberg 2009/2019

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Jörg Auberg - Writer, critic, editor, publisher