Wolfgang Pohrt — Gewalt und Politik

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Nachruf auf eine Bestie 

Wolfgang Pohrts Schriften aus den 1980er Jahren 

 

Von Jörg Auberg

Aus den »Lagu­nen des Ver­ges­sens« (Bal­zac) taucht Wolf­gang Pohrt, der es als pole­mi­scher Kri­ti­ker der deut­schen Lin­ken und Frie­dens­be­we­gung in den 1980er Jah­re zu eini­ger Pro­mi­nenz in den ein­schlä­gi­gen Zir­keln der alten Bun­des­re­pu­blik gebracht hat­te, mit einer Aus­wahl sei­ner Reden und Schrif­ten auf. Nach­dem der pro­mo­vier­te Sozi­al­wis­sen­schaft­ler und ehe­ma­li­ge Finanz­re­fe­rent des SDS-Bun­des­vor­stan­des zwei Bücher im Rot­buch-Ver­lag ver­öf­fent­licht hat­te, wel­che die bezeich­nen­den Titel Aus­ver­kauf (1980) und End­sta­ti­on (1982) tru­gen, schloss er sich der Edi­ti­on Tiamat an. Deren Ver­le­ger Klaus Bit­ter­mann agier­te fort­an als Agent Pohrts im Betrieb der lin­ken Kra­wall­pu­bli­zis­tik und publi­zier­te Ports Text­samm­lun­gen Kreis­ver­kehr, Wen­de­punkt (1984), Stam­mes­be­wußt­sein, Kul­tur­na­ti­on (1984), Zeit­geist, Geis­ter­zeit (1986), Ein Hauch von Nerz (1989) und Har­te Zei­ten (1993) in sei­ner Ver­lags­rei­he Cri­ti­ca Dia­bo­lis, die der von Mega­lo­ma­nie umwölk­te Klein­un­ter­neh­mer in sei­ner Lau­da­tio zum fünf­und­zwan­zig­jäh­ri­gen Bestehen sei­nes Ver­la­ges von dem offen­bar in die­sem Milieu maß­geb­li­chen Ver­lags­ver­tre­ter Armin Abmei­er als »die bes­te Essay-Rei­he in Deutsch­land« fei­ern lässt, »an die auch Suhr­kamp nicht herankommt«. 

 

Wolfgang Pohrt
Wolf­gang Pohrt

Als wäre der Autor ein gna­den- wie tadel­lo­ser Wie­der­gän­ger von Bal­zacs Ide­al­fi­gur Dani­el d’Ar­thez, der gegen alle Ver­su­chun­gen der kor­rup­ten Gesell­schaft gefeit ist, wür­digt Bit­ter­mann in einer an Pein­lich­keit gren­zen­den Lob­hu­de­lei die Bril­lanz und Weit­sicht des »schärfs­ten« und »klügs­ten« Kri­ti­ker der deut­schen Frie­dens­be­we­gung und preist die Text­aus­wahl als »umfang­rei­che Leis­tungs­schau des viel­sei­ti­gen Autors« an. Wäh­rend die Ver­lags­wer­bung erklärt, der Main­stream sei Pohrt immer suspekt gewe­sen, nutzt Bit­ter­mann alte Rezen­sio­nen feuil­le­to­nis­ti­scher Sprach­roh­re die­ses Main­streams als Wort­stein­bruch, um die vor­geb­li­che Ein­zig­ar­tig­keit und Genia­li­tät sei­nes Autors her­aus­zu­strei­chen. Trotz aller Vor­be­hal­te gegen­über dem herr­schen­den Betrieb scheu­te Pohrt nicht davor zurück, sich in Main­stream-Orga­nen wie Zeit und Spie­gel als maro­die­ren­der Sold­knecht gegen die »neu­en sozia­len Bewe­gun­gen« der frü­hen 1980er Jah­re zu verdingen.

Der Vor­zug des Buches für den Leser besteht nicht nur dar­in, dass Tex­te aus grau­er Vor­zeit wie­der zugäng­lich gemacht wer­den und zu einer Demys­ti­fi­ka­ti­on eines Autors bei­tra­gen, dem in Krei­sen von Rackets wie den »anti­deut­schen Lin­ken« (die mit ihrem umge­stülp­ten Natio­na­lis­mus exakt das reprä­sen­tie­ren, was sie zu atta­ckie­ren vor­ge­ben) ein gera­de­zu legen­dä­rer Ruf anhaf­tet. Obwohl Bit­ter­mann Tex­te aus der Früh­pha­se (die im Rot­buch-Band Aus­ver­kauf erschie­nen) aus­spart, zeigt der Sam­pler doch eine Ent­wick­lung des Autors Pohrt auf. Die frü­hen Arti­kel imi­tie­ren den an den Grö­ßen der Kri­ti­schen Theo­rie wie Theo­dor W. Ador­no, Max Hork­hei­mer und Sieg­fried Kra­cau­er geschul­ten sozio­lo­gi­schen Stil, der in den Fol­ge­jah­ren zum ver­här­te­ten Jar­gon des Ein­zel­kämp­fers ver­kommt, dem jeg­li­che Fähig­keit zur Dif­fe­ren­zie­rung ver­lo­ren geht. In der Pose des intel­lek­tu­el­len Out­laws schim­mern das gna­den­lo­sen Durch­schau­en und die pene­tran­te Bes­ser­wis­se­rei durch, wel­che jeden Satz durch­drin­gen und des­avou­ie­ren. Dabei benutzt Pohrt einen adjek­ti­vi­schen Stil, der die Spra­che in ein blo­ßes Desi­gna­ti­ons­in­stru­ment ver­wan­delt und alles der Sug­ges­ti­ons­pra­xis unter­wirft, in der Pohrt die Welt wahr­nimmt. Sei­ne Spra­che schirmt sich gegen Dif­fe­ren­zie­run­gen ab: die Höl­le – das sind die Ande­ren. In Pohrt schril­lem Sound­track fir­mie­ren dar­un­ter »die Grü­nen, die Frie­dens­be­weg­ten, der aka­de­mi­sche Mit­tel­stand, die Pfaf­fen, die Lin­ken und der Rest«. In der »tota­li­sie­ren­den Extre­mi­sie­rung« (wie Peter Brück­ner die­ses Phä­no­men nann­te) denun­ziert er alle, die nach sei­ner Wahr­neh­mung das revo­lu­tio­nä­re Pro­jekt ver­rie­ten, als des­sen Sach­wal­ter er sich fühlt. In sei­ner klan­des­ti­nen Exis­tenz, die an Unter­grund­lin­ge wie Dos­to­jew­skis anony­mer Kel­ler­loch­be­woh­ner oder Ralph Elli­sons Unsicht­ba­ren erin­nert, sieht er sich von einer faschis­ti­schen Mas­se umzin­gelt, die alles in den Abgrund zieht. Als Mot­to könn­te ihm d’Ar­thez’ Aus­spruch »Wer sich über die Men­schen erhe­ben will, muß sich auf einen Kampf vor­be­rei­ten und darf vor kei­ner Schwie­rig­keit zurück­wei­chen« die­nen. Wäh­rend er sich als ein­zig legi­ti­mer Erbe Ador­nos und Hork­hei­mer, kari­kiert er die bei­den Begrün­der der Kri­ti­schen Theo­rie als ein­di­men­sio­na­le, schat­ten­haf­te Figu­ren, deren rea­le Wider­sprüch­lich­kei­ten, wie sie bei­spiels­wei­se David Jene­mann in Ador­no in Ame­ri­ca oder Tho­mas Wheat­land in The Fran­furt School in Exi­le beschrei­ben, er ein­eb­net, um ihr Werk als die letz­ten Wor­te im kri­ti­schen Pro­jekt dar­zu­stel­len und mit pene­tran­ter Beharr­lich­keit fest­zu­stel­len, dass alles gesagt sei. 

Sind die ers­ten Tex­te noch durch eine mehr oder weni­ger offe­ne Struk­tur gekenn­zeich­net, erfin­det sich Pohrt mit sei­nem Text »Ein Volk, ein Reich, ein Frie­den«, der 1981 in der taz und der Zeit publi­ziert wur­de, als »Pole­mi­ker« und »Pro­vo­ka­teur«, des­sen Stil zur künf­ti­gen Masche der Waren­mar­ke Pohrt im Medi­en­be­trieb der alten Bun­des­re­pu­blik wird. In der Pose des ein­sa­men, anti­na­tio­na­len Maqui­sard atta­ckiert Pohrt die deut­sche Frie­dens­be­we­gung als »eine getarn­te natio­na­le Erwe­ckungs­be­we­gung«, deren »Deutsch­tü­me­lei«, »Blut-und-Boden-Gerau­ne« und »natio­na­le Dem­ago­gie« jede mora­li­sche und poli­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on tor­pe­dier­ten. Pohrts Sys­tem ist lücken­los: Hin­ter allem lau­ert die faschis­ti­sche Volksgemeinschaft.

Das Ver­stö­ren­de an Pohrts Tex­ten ist, dass sie durch­aus rich­ti­ge Beob­ach­tun­gen, Tat­sa­chen und Schluss­fol­ge­run­gen ent­hal­ten, aber Pohrt die­ses Mate­ri­al – in Para­phra­se Peter Brück­ners – in einem Amok­lauf von »Abs­trak­tio­nen, Ana­lo­gien, Ver­kür­zun­gen und Extra­po­la­tio­nen« struk­tu­riert, wobei er vor grob­schläch­ti­gen Pro­vo­ka­tio­nen und bil­li­gen Poin­ten nicht zurück­scheut. »In die­sem Land ist jede wei­te­re Filia­le der McDo­nald-Ham­bur­ger-Ket­te«, kon­sta­tiert er in einem mali­zi­ös gespiel­ten Pie­sa­cken mit Ansa­ge, »eine neue Insel der Gast­freund­schaft und eine erfreu­li­che Berei­che­rung der Eßkultur.« 

In dem Vor­trag »Rebel­li­on der Hein­zel­männ­chen«, den er 1982 in einem besetz­ten Ber­li­ner Haus hielt, ent­larv­te er nicht allein die Instand­be­set­zer als Syn­the­se aus Bar­ri­ka­den­kämp­fer und Trüm­mer­frau, son­dern ent­hüll­te auch sein Selbst­ver­ständ­nis als Autor. Er rühm­te sich, nicht recher­chiert zu haben, und stell­te sich als »ver­ant­wor­tungs­lo­ser« Kri­ti­ker dar, der kei­ne Rück­sich­ten zu neh­men habe. Sei­ne Auf­ga­be sei es ledig­lich, »eine begrün­de­te abwei­chen­de Mei­nung« zu äußern. Der Kri­ti­ker ist in der Porth’schen Pro­jek­ti­on ein aso­zia­ler Despe­ra­do, der sich jeg­li­chem Grup­pen­druck ver­wei­gert und nur das eige­ne Inter­es­se ver­tritt. In dem titel­ge­ben­den Vor­trag »Gewalt und Poli­tik« aus dem Jah­re 1986 schließ­lich, in dem er die Poli­tik der »Gewalt­frei­heit« ver­höhnt und die Grü­nen als Voll­stre­cker einer völ­ki­schen Regres­si­on atta­ckiert, erhebt der schrei­ben­de Unter­grund­kämp­fer die RAF zum heroi­schen Maquis, der in einem Akt der Befrei­ung und Selbst­be­frei­ung zu Mit­teln der Gewalt griff. »Der Feh­ler der RAF war weder die Anwen­dung von Gewalt noch waren es Kri­mi­nal­de­lik­te«, dekre­tiert er, »son­dern ihr Feh­ler war die Nie­der­la­ge im anti­im­pe­ria­lis­ti­schen Kampf.« Not­hing suc­ceeds like suc­cess. In sei­ner Hom­mage des Erfolgs hul­digt der letz­te Käm­pe einer atro­phier­ten Avant­gar­de einer Logik der Gewalt, ohne je kon­se­quent die­ser Rich­tung gefolgt zu sein. »War­um hat Pohrt dann eigent­lich«, frag­te Chris­toph Tür­cke mit Recht, »nicht zum Erfolg der RAF durch Mit­glied­schaft bei­tra­gen wol­len?« Ver­mut­lich weil dem aso­zia­len Despe­ra­do auch die­ses Kol­lek­tiv zuwi­der war, das er jedoch in sei­nem dif­fe­renz­lo­sen Manich­äis­mus als anti­deut­sche Wider­stands­grup­pe mythologisierte. 

Wolfgang Pohrt: Gewalt und Politik (Edition Tiamat, 2010)
Wolf­gang Pohrt: Gewalt und Poli­tik (Edi­ti­on Tiamat, 2010)

Das Elend des Pro­vo­ka­teurs besteht dar­in, dass sei­ne Pro­vo­ka­tio­nen immer schril­ler daher­kom­men müs­sen, um die Auf­merk­sam­keit des Publi­kums zu erhei­schen. 1981 ver­harm­los­te er die Wir­kung der Neu­tro­nen­bom­be, wäh­rend er zehn Jah­re spä­ter im Golf­krieg zum Ein­satz von Atom­bom­ben auf­ru­fen muss­te, um sei­ner Repu­ta­ti­on als Pole­mi­ker noch gerecht zu wer­den zu kön­nen. In sei­nen enra­gier­ten Rund­um­schlä­gen gegen die Hei­mat­tü­me­lei, den deut­schen Film, die Exil­li­te­ra­tur, die Alter­na­tiv­be­we­gung oder das ande­re Deutsch­land erschöpf­te sich die Pro­vo­ka­ti­on in einem retar­die­ren­den Moment des Immer­glei­chen, sodass der Autor schließ­lich sein Unter­neh­men in den 1990er Jah­ren liqui­dier­te. »Zumin­dest kann noch ein­mal dar­an erin­nert wer­den«, schreibt Bit­ter­mann in sei­nem Nekro­log auf den Autor Pohrt, »daß in Deutsch­land die Lin­ke zwar auf der gan­zen Linie ver­sagt hat, aber dank Wolf­gang Pohrt das Niveau der Kri­tik an ihr weit bes­ser war, als sie es ver­dient hat­te, ja man kann sogar sagen, daß ein rea­lis­ti­sches Bild von ihr nur des­halb erhal­ten geblie­ben ist, weil Pohrt sich ihrer Macken, Feh­ler und Eigen­ar­ten ange­nom­men und damit die Mythen­bil­dung erschwert hat.« Dage­gen fällt es Bit­ter­mann nicht schwer, die eige­nen ver­zerr­ten Pro­jek­tio­nen der his­to­ri­schen Rea­li­tät über­zu­stül­pen und eine intel­lek­tu­el­le Rand­fi­gur der 1980er Jah­re, die nicht ein­mal in Stu­di­en über die deut­sche post-68er Lin­ke wie Hans Kundna­nis Uto­pia or Ausch­witz en pas­sant erwähnt wird, als über­di­men­sio­nier­te Legen­de an die Nach­welt zu ver­kau­fen. Am Ende wir­ken die­se »anti­deut­schen« Figu­ren in ihren his­to­ri­schen Kos­tü­men so gro­tesk deutsch wie der von der Mau­er aus­ge­düns­te­te Cesa­re aus dem Cabi­net des Dr. Caligari.

Nachtrag 2020:

Wolfgang Pohrt: Werke, Band 4 (Edition Tiamat, 2019)
Wolf­gang Pohrt: Wer­ke, Band 4 (Edi­ti­on Tiamat, 2019)

Seit 2019 gibt Klaus Bit­ter­mann eine mehr­bän­di­ge Pohrt-Werk­aus­ga­be in der Auf­ma­chung der klas­si­schen MEW-Aus­ga­be heraus.

Bis­lang erschie­nen (Stand April 2020):
Wer­ke Bd. 1: Theo­rie des Gebrauchs­werts: Tex­te 1969–1980, 592 Sei­ten, 32 Euro.
Bd 2: Aus­ver­kauf & End­sta­ti­on (1977–1982), 580 Sei­ten, 30 Euro. 
Bd. 3: Hono­ré de Bal­zac. Der Geheim­agent der Unzu­frie­den­heit, 144 Sei­ten, 18 Euro
Bd. 4: Kreis­ver­kehr, Wen­de­punkt & Stam­mes­be­wußt­sein, Kul­tur­na­ti­on (1982–1984), 584 Sei­ten, 30 Euro. 
Bd. 5.1: Zeit­geist, Geis­ter­zeit (1985–1986), 360 Sei­ten, 26 Euro. 
Bd. 5.2: Ein Hauch von Nerz (1987–1989), 352 Sei­ten, 26 Euro. 
Bd. 10: Kapi­ta­lis­mus Fore­ver & Das aller­letz­te Gefecht (2011–2014), 312 Sei­ten, 22 Euro.

 

 

Bibliografische Angaben:

Wolf­gang Pohrt.
Gewalt und Politik:
Aus­ge­wähl­te Reden und Schrif­ten 1979–1993.
Her­aus­ge­ge­ben von Klaus Bittermann.
Ber­lin: Edi­ti­on Tiamat, 2010.
447 Sei­ten, 22 Euro.
ISBN: 978–3‑89320–141‑9.

Bild­quel­len (Copy­rights)
Por­trätWolf­gang Pohrt © Edi­ti­on Tiamat
Cover Gewalt und Poli­tik © Edi­ti­on Tiamat
Cover Wer­ke, Band 4 © Edi­ti­on Tiamat

Zuerst erschie­nen in literaturkritik.de, Nr. 7 (Juli 2010)
© Jörg Auberg 2010/2020

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