Bernd F. Lunkewitz:
Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt.
In seiner Farce Gespräche mit Professor Y (Entretiens avec le professeur Y, 1955) konstatierte Louis-Ferdinand Céline: »Alles in allem sieht man, wenn man es genau nimmt, eine ganze Menge Schriftsteller in der Gosse enden, andererseits findet man nur selten einen Verleger unter einer Brücke … ist das nicht zum Piepen?« Nicht alle Verleger enden so dramatisch wie Giangiacomo Feltrinelli und finden eine adäquate literarische Würdigung wie Nanni Balestrinis Roman Der Verleger, der sich über Form & Wort im Territorium der Herrschaft durchsetzt.
Dagegen fühlt sich der ehemalige Verleger der Aufbau-Verlages, Bernd F. Lunkewitz, als Betrogener der Geschichte und gibt eine weitschweifige Jeremiade über sein Leben und Überleben unter den »Buchmachern« in Deutschland zum Besten. Sein Buch Der Aufbau-Verlag und die kriminelle Vereinigung in der SED und der Treuhandanstalt beschreibt einerseits sehr dokumenten- und zitatenorientiert die Geschichte des Aufbau-Verlages in der DDR und will andererseits den Unternehmer Lunkewitz als Opfer des Nachwende-Kapitalismus in Gestalt der Treuhand darstellen. Obwohl der Aufbau-Verlag bis zum Ende der DDR zum Kulturbund und nicht zum »Volkseigentum« der SED gehört habe, sei er von der Treuhandanstalt verhökert worden, Wie Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung (10. Mai 2010) schrieb: »Tausendfünfhundert Lizenzen, die der Verlag zwischen 1990 und 2008 geschlossen und verkauft hat, sind rechtswidrig vergeben worden, weil der angebliche Eigentümer, die Aufbau Verlagsgruppe GmbH, über die Rechte nicht verfügen durfte. Lizenznehmer wie Filmstudios, Fernsehsender und Buchverlage in Europa, Asien und den USA haben Rechte in Anspruch genommen (und dafür bezahlt), ohne sie wirklich erworben zu haben. Epidemisch sind Urheber- und Markenrechte verletzt worden.«
Leyendecker beschreibt Lunkewitz als »Salonmarxisten«, der sich in Frankfurt/Main im Umkreis der maoistischen Splitterpartei KPD/ML umhertrieb und bereits im Alter von 29 Jahren mit dem Verkauf von Gewerbeimmobilien seine erste Million machte. Der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann spitzte ihn schließlich auf die Investition in den maroden DDR-Verlag an, der sich als vermögenslose Leiche erwies. »Der Verleger hat also«, resümierte Leyendecker 2010, »fast zwei Jahrzehnte in ein Unternehmen investiert, das ihm faktisch nicht gehörte, und plant jetzt, sich die Investitionen — allein in den Aufbau-Verlag hat er über die Jahre 27 Millionen Euro gesteckt — zurückzuholen.«
Das Buch ist ein Addendum für Lunkewitz’ Leidensgeschichte und entsprechend humorlos. Unentwegt und ausschweifend listet er alte Akten, Bilanzen, Briefe sowie Kassen- und Fünfjahrespläne der »HV Verlage und Buchhandel, Abteilung Ökonomie, Sektor Planung« auf.
Der Fünfjahresplan 1971–1975 wurde auf der Grundlage der zentralen Dokumente von Partei und Regierung und der Weisungen der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel ausgearbeitet und im Verlagskollektiv diskutiert und verabschiedet.«
Einzelne Textpassagen erinnern an Franz Kafkas Amtliche Schriften (Luchterhand, 1991), und Lunkewitz selbst bemüht den Vergleich mit Kafka: Unter der Kapitelüberschrift »Der Prozess« heißt am Schluss des Buches: »Jemand musste Bernd F. Lunkewitz verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde am 6.4.2020 ein Haftbefehl gegen ihn erlassen.«
Das »Böse«, das er getan hatte, bestand darin, dass er Werke von Lion Feuchtwanger, »den Lunkewitz so gerne liest« (Leyendecker), und anderen Aufbau-Autoren, als Vermögensanlage nutzen wollte. Zwar behauptete er, der Verlag sei sein Lebenswerk, doch vor allem war er an der Rendite interessiert: Er wolle seinen »Schaden ersetzt bekommen«. So erbärmlich erweist sich der vorgebliche »Kämpfer gegen das Unrecht« einig mit den »deutschen Verhältnissen«.
© Jörg Auberg 2022 (2022–02-17)