Texte und Zeichen

Ronnie A. Grinberg: Write Like a Man

R

Männerwelt des Geistes

Ronnie Grinberg untersucht die Maskulinität der Intellektuellen

von Jörg Auberg

Im zwei­ten Teil von Her­mann Brochs Roman­tri­lo­gie Die Schlaf­wand­ler träu­men die deut­schen Arbei­ter und Ange­stell­ten von »Ame­ri­ka« als einem uto­pi­schen Ort, wo man »hoch­kom­men« kön­ne, ohne sich »wie hier umsonst zu schin­den«, und zitier­ten Goe­the: »Ame­ri­ka, du hast es bes­ser«.1 Der deut­sche Dich­ter­fürst hat­te die USA gerühmt, »kei­ne ver­fal­le­nen Schlös­ser« zu besit­zen und ohne unnüt­zes Erin­nern aus­zu­kom­men: »Dem Teu­fel gehör­te der gan­ze Plun­der.«2

White Noise

Auf dem ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent wur­de die­ses Feh­len von Tra­di­tio­nen und his­to­ri­scher Erin­ne­rung jedoch nicht über­all gefei­ert. In sei­nem defi­ni­ti­ven Essay »The New York Intellec­tu­als« aus dem Jah­re 1968 lamen­tier­te der New Yor­ker Lite­ra­tur­kri­ti­ker Irving Howe über eine feh­len­de »Intel­li­gen­zi­ja« in der kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Geschich­te der USA: US-ame­ri­ka­ni­sche Intel­lek­tu­el­le – ob als Indi­vi­du­en oder Grup­pen – hät­ten stets in Iso­la­ti­on agiert. Ein­zig die »New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len«, die sich in den 1930er Jah­ren um die Zeit­schrift Par­ti­san Review und spä­ter um Publi­ka­ti­ons­or­ga­ne wie Poli­tics, Com­men­ta­ry, Dis­sent, New York Review of Books oder Public Inte­rest grup­pier­ten, kamen laut Howe der Vor­stel­lung einer »Intel­li­gen­zi­ja« am nächs­ten, da sie mit ihren poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Vor­stel­lun­gen vor allem in der Zeit nach dem Zwei­ten Welt­krieg, als der Anti­kom­mu­nis­mus inter­na­tio­nal als essen­zi­el­les Instru­ment insti­tu­tio­na­li­siert und mit Regie­rungs­gel­dern aus diver­sen Quel­len finan­ziert wur­de, das »Bewusst­sein der Nati­on« präg­te.3 In Howes Defi­ni­ti­on, die für die His­to­rio­gra­fie das bestim­men­de Nar­ra­tiv wur­de, waren die New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len eine Grup­pe von »frei­schwe­ben­den« Geis­tern, die ihren Ursprung im lin­ken oder links­ra­di­ka­len Milieu hat­ten, Lite­ra­tur­kri­tik mit sozi­al­kri­ti­schem Schwer­punkt betrie­ben, in den kul­tu­rel­len Krei­sen New Yorks nach Bril­lanz und Aner­ken­nung streb­ten und zumeist jüdi­scher Her­kunft waren. In einer Fuß­no­te schwäch­te Howe die »Beto­nung der jüdi­schen Ursprün­ge« als eine »Ver­dich­tung der Rea­li­tä­ten« und »Bezeich­nung der Ein­fach­heit hal­ber« ab: Im Klar­text soll­te der Begriff die »Intel­lek­tu­el­len New Yorks« bezeich­nen, die »in den Drei­ßi­gern auf­tauch­ten, von denen die meis­ten jüdisch« waren.4

Street Fighting Men

In ihrer Stu­die Wri­te Like a Man: Jewish Mas­cu­li­ni­ty and the New York Intellec­tu­als rekur­riert Ron­nie Grin­berg auf Howes Defi­ni­ti­on, um ihre The­se vom Zusam­men­spiel von Mas­ku­li­ni­tät und Domi­nanz im New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len­mi­lieu zu bele­gen. In ihrem preis­ge­krön­ten Essay »Neither ›Sis­sy‹ Boy Nor Patri­ci­an Man: New York Intellec­tu­als and the Con­s­truc­tion of Ame­ri­can Jewish Mas­cu­li­ni­ty«5 skiz­zier­te sie, wie vie­le der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len auf­grund ihrer Her­kunft als jüdi­sche Immi­gran­ten der zwei­ten Gene­ra­ti­on ihr mas­ku­li­nes Selbst­bild in ihrem intel­lek­tu­el­len Her­an­wach­sen ent­war­fen und die ideo­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Kon­tra­hen­ten und Kon­kur­ren­ten als eine fort­ge­setz­te Form des street­fightin­gs begrif­fen.6 In ihrem Buch ver­engt Grin­berg die Grup­pe der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len (noch stär­ker und aus­ge­präg­ter als Howe) auf ihren jüdi­schen Cha­rak­ter (wobei zen­tra­le nicht-jüdi­sche Mit­glie­der wie Dwight Mac­do­nald, Fre­de­rick W. Dupee oder Edmund Wil­son weit­ge­hend aus­ge­blen­det wer­den) und fixiert Mas­ku­li­ni­tät auf die jüdisch-tal­mu­di­sche Tra­di­ti­on, aus der der aggres­si­ve säku­la­re Intel­lek­tu­el­le hervorgeht.

Ronnie A. GrinbergIn ihrer Argu­men­ta­ti­on beruft sich Grin­berg auf das auto­bio­gra­fi­sche Nar­ra­tiv von Autoren wie Alfred Kazin und Irving Howe7, in dem die geschei­ter­ten Ver­su­che der Assi­mi­la­ti­on der ers­ten Gene­ra­ti­on der Immi­gran­ten und der Ver­lust des domi­nan­ten Sta­tus der Väter in den Fami­li­en geschil­dert wer­den. Der Vater erschien häu­fig als »Ver­sa­ger«, der nicht für den Lebens­un­ter­halt der Fami­lie sor­gen konn­te, wäh­rend Müt­ter als star­ke Frau­en auf­tra­ten. Mas­ku­li­ni­tät für die Her­an­wach­sen­den war ein Medi­um zur Selbst­be­haup­tung auf den Stra­ßen und in den Alko­ven des New Yor­ker City Col­lege, wobei Domi­nanz und Unter­wer­fung die Grund­stra­te­gien der Aus­ein­an­der­set­zung waren. Wie in einer Street­gang oder in einem Racket wur­de Schwä­che nicht gedul­det: In Semi­na­ren des von sei­nen Schü­lern ver­ehr­ten Phi­lo­so­phie­leh­rers Mor­ris Rapha­el Cohen herrsch­ten Aggres­si­vi­tät, Streit, Pole­mik und zur Schau gestell­te Männ­lich­keit vor. In Grin­bergs Per­spek­ti­ve war »Intel­lek­tua­lis­mus, nicht Radi­ka­lis­mus« stets zen­tra­ler für die Kon­zep­ti­on von Mas­ku­li­ni­tät in den Krei­sen der New Yor­ker, wobei sie kei­ne neu­en Erkennt­nis­se ver­mit­telt, son­dern ledig­lich die Ernst­haf­tig­keit des radi­ka­len Bewusst­seins und Enga­ge­ments der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len in den 1930er Jah­ren in Abre­de stellt, wie es vor ihr schon Autoren wie Ter­ry Coo­ney und Neil Jumon­ville taten.8

 

Komplizenschaft und Hierarchie

Die trü­be Iro­nie der Geschich­te war, dass auch Frau­en – sofern es ihnen gelang, in die­ses Milieu vor­zu­drin­gen – »wie Män­ner schrie­ben«. Sie unter­war­fen sich der Öko­no­mie und Macht­me­cha­nis­men oder Gewalt der »männ­li­chen Herr­schaft« (wie Pierre Bour­dieu die­sen Pro­zess beschrieb): »Die Grund­la­ge der Macht der Wor­te wird durch die Kom­pli­zen­schaft gebil­det, die sich mit­tels der Wor­te zwi­schen einem in einem bio­lo­gi­schen Kör­per fleisch­ge­wor­de­nen sozia­len Kör­per, dem des Wort­füh­rers, und den bio­lo­gi­schen Kör­pern her­stellt, die sozi­al zuge­rich­tet, sei­ne Anwei­sun­gen anzu­er­ken­nen, aber auch sei­ne Ermah­nun­gen, sei­ne Anspie­lun­gen oder sei­ne Befeh­le […].«9 Obwohl das vor­herr­schen­de Nar­ra­tiv sowohl in den Auto­bio­gra­fien von »Par­ti­zi­pan­ten« als auch in wis­sen­schaft­li­chen His­to­rio­gra­fien die Chi­mä­re der »frei­schwe­ben­den Intel­li­genz« New Yorks, herrsch­te in den öko­no­mi­schen, kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Nie­de­run­gen des intel­lek­tu­el­len Appa­rats ein »Korps­geist« vor, der (mit den Wor­ten Bour­dieus) die »Getreu­en« und »Gläu­bi­gen« mit den Ren­di­ten aus dem ange­häuf­ten kul­tu­rel­len Kapi­tal ver­sorgt wur­den.10

Auch im Milieu der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len herrsch­te von Anbe­ginn eine »Hier­ar­chie der Geschlech­ter« vor11 (wie Simo­ne de Beau­voir den Herr­schafts­raum beschrieb). Obwohl der Betrieb ohne die Zuar­beit von Frau­en als Typis­tin­nen, Redak­ti­ons­se­kre­tä­rin­nen, Lek­to­rin­nen, Ehe­frau­en und Müt­ter nicht lauf­fä­hig war und der Mann ohne sein »Vas­al­lin«12 nicht aus­kam, blieb sie in den Män­ner­bio­gra­fien der zurück­lie­gen­den Jahr­zehn­te weit­ge­hend unsicht­bar. Dwight Mac­do­nalds »Ein-Mann-Zeit­schrift« Poli­tics (wie Han­nah Are­ndt sie im Rück­blick cha­rak­te­ri­sier­te) wäre ohne die Unter­stüt­zung sei­ner dama­li­gen Ehe­frau Nan­cy Mac­do­nald (geb. Rod­man) – sowohl in finan­zi­el­ler als auch in arbeits­tech­ni­scher Hin­sicht – nicht denk­bar gewe­sen: Rea­li­ter war sie – wie es der ita­lie­ni­sche Emi­grant und New Yor­ker Autor Nic­coló Tuc­ci aus­drück­te – »die See­le von Poli­tics«.13 Auch Dis­sent, von Irving Howe und ande­ren ehe­ma­li­gen trotz­kis­ti­schen Akti­vis­ten 1954 gegrün­det, war äußer­lich ein aus­schließ­lich »männ­li­ches« Unter­neh­men (bis in die 1980er Jah­re gab es kaum weib­li­che Mit­glie­der in der Redak­ti­on), obwohl Redak­teur­se­he­frau­en wie Simo­ne Plas­trik oder Rose Coser die »Geschäfts­lei­tung« über­nah­men. Auf der ande­ren Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums agier­ten Ehe­frau­en männ­li­cher »Stars« im New Yor­ker Kul­tur­mi­lieu wie Lio­nel Tril­ling oder Nor­man Podho­retz als »Vas­al­lin­nen« ihrer Ehe­män­ner, fühl­ten sich jedoch in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung zurück­ge­setzt und rekla­mier­ten einen Teil des Erfol­ges für sich. Dia­na Tril­ling, die sich über klei­ne Rezen­si­ons­auf­trä­ge an die »Meis­ter­klas­se« der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len her­an­tas­te­te, ver­ach­te­te die »weib­li­che Sen­si­bi­li­tät« einer Vir­gi­nia Woolf und sah ihre Bestim­mung dar­in, »wie in Mann zu schrei­ben«.14


The Whole Sick Crew

»Die New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len waren eine streit­süch­ti­ge und unsym­pa­thi­sche (jüdi­sche?) Fami­lie«, merk­te der New Yor­ker Lite­ra­tur­his­to­ri­ker Euge­ne Good­he­art an, »vol­ler begab­ter, nei­di­scher, vom Kon­kur­renz­den­ken gepräg­ter Geschwis­ter, die meis­tens schlecht über­ein­an­der dach­ten.«15 Dies schlug sich auch im Pri­vat­le­ben nie­der: Als Mary McCar­thy mit Phil­ip Rahv, dem pro­le­ta­ri­schen Grün­der und »Befehls­ha­ber« der Par­ti­san Review liiert war, schlief sie mit Edmund Wil­son, einem der füh­ren­den Lite­ra­tur­kri­ti­ker der Zeit, weil er über »einen bes­se­ren Pro­sa­stil« ver­füg­te und der »Ober­klas­se« in gesell­schaft­li­cher Hin­sicht ange­hör­te. Sex war für sie Mit­tel zum sozia­len Auf­stieg; gleich­zei­tig bedau­er­te sie, dass sie – »ver­führt« vom Alko­hol – mit die­sem »fet­ten, auf­ge­bla­se­nen Mann aus kei­nem Grund« geschla­fen habe. Grin­berg kom­men­tiert die Epi­so­de mit dem Satz: »Jeder schlief mit jeder in jenen Tagen.«.16

Ande­rer­seits fühl­ten sich männ­li­che Intel­lek­tu­el­le von den »dunk­len Damen« des New Yor­ker Estab­lish­ments ero­tisch und sexu­ell erregt oder auch abge­schreckt. Irving Howe stell­te in sei­nen Memoi­ren die weib­li­che Attrak­ti­vi­tät Han­nah Are­ndts in Abre­de, um ihre Anzie­hungs­kraft über »mes­ser­schar­fe Ges­ten«, »impe­ria­len Blick« und »hän­gen­den Ziga­ret­te« her­vor­zu­he­ben.17 Der Lite­ra­tur­kri­ti­ker Alfred Kazin hob die »dunk­le, schat­ten­haf­ti­ge« Sei­te ihres Erschei­nens her­vor, wäh­rend Phil­ip Rahv sie als »gut­aus­se­hen­den Mann« beschrieb.18 »Mas­ku­li­ni­tät« im her­kömm­li­chen Sin­ne – ein Begriff, den Grin­berg mehr als drei­hun­dert Mal in ihrem Buch benutzt – ist ein stän­dig wie­der­keh­ren­des Motiv: Wäh­rend »Radi­ka­lis­mus« (ob in Form des Kom­mu­nis­mus, Anar­chis­mus oder Mar­xis­mus in den 1930er Jah­ren) als Aus­druck der Unrei­fe gilt, preist Grin­berg – dem Nar­ra­tiv der domi­nan­ten Post-1989-His­to­rio­gra­fie fol­gend – den Libe­ra­lis­mus des Kal­ten Krie­ges als »rei­fe Ideo­lo­gie«, als »Gegen­gift« zur »Krank­heit des Kom­mu­nis­mus der 1930er Jah­re« , wobei »Rei­fe« ein Syn­onym für »Ver­nunft« ist.19

 

Für Grin­berg ist Mas­ku­li­ni­tät ein mono­kau­sa­les Kon­zept, dem alle Ent­wick­lun­gen in poli­ti­scher, kul­tu­rel­ler und öko­no­mi­scher Hin­sicht unter­ge­ord­net wer­den, wäh­rend die Mecha­nis­men der Macht und die poli­ti­sche Öko­no­mie in der Zir­ku­la­ti­on von Ware, Pro­duk­ti­on und Akku­mu­la­ti­on (auch in der New Yor­ker Medi­en­in­dus­trie) kei­ne Rol­le spie­len. Kri­tik­los über­nimmt Grin­berg das Nar­ra­tiv, das angeb­lich »tie­fe Wis­sen über den Mar­xis­mus« habe die New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len befä­higt, die poli­ti­sche Öffent­lich­keit in Zei­ten des Kal­ten Krie­ges zu steu­ern, ohne in Betracht zu zie­hen, dass ihr poli­ti­sches Kon­ver­ti­ten­tum vor allem ein Instru­ment des Selbst­mar­ke­tings und der »kul­tu­rel­len Ein­däm­mung« war, die sich gegen Vor­stel­lun­gen rich­te­te, wel­che der domi­nan­ten gesell­schaft­li­chen Hege­mo­nie wider­spra­chen.20 Die »weib­li­che Frak­ti­on« der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len – bestehend aus Eliza­beth Hard­wick, Dia­na Tril­ling, Sus­an Son­tag sowie Mary McCar­thy und Han­nah Are­ndt – war bes­ten­falls ambi­va­lent gegen­über den femi­nis­ti­schen Strö­mun­gen der Zeit (wie sie bei­spiels­wei­se in Kate Mil­letts bahn­bre­chen­dem Buch Sexu­al Poli­tics aus dem Jah­re 1970 zum Aus­druck kam) , wäh­rend der kon­ser­va­tiv gepräg­te Teil die­ser Frak­ti­on (Tril­ling und Midge Dec­ter) die »Ver­weich­li­chung« der Mas­ku­li­ni­tät im Zuge der »Gegen­kul­tur« der Beats und spä­ter der »Hip­pies« als sys­te­mi­sche Kri­se beschrie­ben. Homo­se­xu­el­le waren laut Dec­ter »kei­ne wirk­li­chen Män­ner«, wäh­rend sie in der Wahr­neh­mung des »rich­ti­gen Kerls« Nor­man Mailer nur als »kul­tu­rel­le Out­laws«, »Per­ver­se« und »Psy­cho­pa­then« der Gegen­kul­tur fir­mier­ten.21

Phallus und Wahn

Das »Männ­lich­keits­di­lem­ma«, das Grin­berg als »Ideo­lo­gie der jüdi­schen Mas­ku­li­ni­tät« beschreibt, eska­mo­tiert den »phal­li­schen Nar­ziss­mus«, mit dem Grin­berg ihr Buch eröff­net und repe­tie­rend den »Tes­te­r­on-getrie­be­nen lite­ra­ri­schen Zir­kel« der New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len beschreibt.22 Als »Män­ner­bund« ver­tra­ten die New Yor­ker Intel­lek­tu­el­len – trotz des Ein­tre­tens für indi­vi­du­el­le und künst­le­ri­sche Frei­heit – in klas­si­scher Racket-Manier stets nur die eige­nen Inter­es­sen, die sie in der Hier­ar­chie vor­an­brin­gen soll­ten. »Das Inter­es­se hat kein Gedächt­nis«, schrieb Marx 1842, »denn es denkt nur an sich. Das eine, wor­auf es ihm ankommt, sich selbst, ver­gißt es nicht. Auf Wider­sprü­che aber kommt es ihm nicht an, denn mit sich selbst gerät es nicht in Wider­spruch.«23

Im Gegen­satz zu ande­ren US-ame­ri­ka­ni­schen Intel­lek­tu­el­len wie bei­spiels­wei­se Mur­ray Book­chin (der in 1930er Jah­ren in einem ähn­li­chen Umfeld auf­wuchs wie Irving Howe, Alfred Kazin oder Dani­el Bell) ver­such­ten sie nie, die Ent­wick­lung einer öko­lo­gi­schen Gesell­schaft jen­seits von Hier­ar­chie und Herr­schaft anzu­sto­ßen, son­dern ver­harr­ten stets im Racket-Mus­ter der eige­nen Inter­es­sen­exis­tenz, um schließ­lich auf die Frei­heit in kul­tu­rel­ler und sozia­ler Hin­sicht zu ver­zich­ten und demo­kra­ti­sche Prin­zi­pi­en der Macht der neu­en Rech­ten und ihrer Vasal­len (für die neo­kon­ser­va­ti­ve New Yor­ker Intel­lek­tu­el­le wie Nor­man Podho­retz, Midge Dec­ter, Irving Kris­tol oder Saul Bel­low ein­tra­ten) unter­zu­ord­nen.24 Podho­retz, der sich über die »dunk­len Damen der ame­ri­ka­ni­schen Lite­ra­tur« wie Han­nah Are­ndt oder Mary McCar­thy mokier­te und gegen »unmänn­li­che« Beat­niks Stim­mung mach­te, hat­te kein Pro­blem damit, sich hin­ter den »Mas­ku­li­nis­ten« Donald Trump als Unter­stüt­zer ein­zu­rei­hen, der noch im Wahl­kampf 2016 aus­rief: »Grab them by the pus­sy. You can do any­thing.« Trump war für Podho­retz »kei­ne Mem­me« (sis­sy boy im New Yor­ker Jar­gon), son­dern ein »Kerl, der zurück­schlug«.25 Lei­der hat Grin­berg den Zusam­men­hang von Männ­lich­keit und Gewalt (von dem die gesam­te Gesell­schaft betrof­fen ist) nicht kon­se­quent ver­folgt: Auch im »geis­ti­gen« oder media­len Bereich ist (wie Bour­dieu es bezeich­ne­te) »der Wil­le zur Herr­schaft, zur Aus­beu­tung oder zur Unter­drü­ckung« vor­han­den26 Die­ser äußert sich auch im »intel­lek­tu­el­len« Milieu.

© Jörg Auberg 2024

Bibliografische Angaben:

Ron­nie A. Grinberg.
Wri­te like a Man:
Jewish Mas­cu­li­ni­ty and the New York Intellectuals.
Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2024.
384 Sei­ten, 35 US-Dol­lar.
ISBN: 9780691193090.

Bild­quel­len (Copy­rights)
Cover Wri­te Like a Man
© Prince­ton Uni­ver­si­ty Press
Trai­ler Zelig
© Ori­on Pictures
Por­trait Ron­nie A. Grinberg
© Prince­ton Uni­ver­si­ty Press
Video Day at Night: Irving Howe
© CUTV
Video Zur Per­son: Han­nah Arendt
© SFB
TV Doku­men­ta­ti­on Sturm auf das Capi­tol, 6. Janu­ar 2021
© France24

Nachweise

  1. Her­mann Broch, Die Schlaf­wand­ler: Eine Roman­tri­lo­gie (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 1994), S. 211
  2. Johann Wolf­gang Goe­the, »Zah­me Xeni­en IX«, in: Sämt­li­che Gedich­te (Frankfurt/Main: Insel, 2007), S. 1020
  3. Zur Rol­le der west­li­chen Intel­lek­tu­el­len im Kal­ten Krieg cf. Fran­ces Stonor Saun­ders, Who Paid the Piper? The CIA and the Cul­tu­ral Cold War (Lon­don: Gran­ta, 1999), und Andrew N. Rubin, Archi­ves of Aut­ho­ri­ty: Empire, Cul­tu­re, and the Cold War (Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2012)
  4. Irving Howe, Decli­ne of the New (Lon­don: Vic­tor Gol­lan­cz, 1971), S.214–215Fn
  5. Ron­nie A. Grin­berg, »Neither ›Sis­sy‹ Boy Nor Patri­ci­an Man: New York Intellec­tu­als and the Con­s­truc­tion of Ame­ri­can Jewish Mas­cu­li­ni­ty«, Ame­ri­can Jewish Histo­ry, 98, Nr. 3 (Juli 2014): 127–151
  6. Cf. Jörg Auberg, New Yor­ker Intel­lek­tu­el­le: Eine poli­tisch-kul­tu­rel­le Geschich­te von Auf­stieg und Nie­der­gang, 1930–2020 (Bie­le­feld: Tran­script-Ver­lag, 2022), S. 43
  7. Alfred Kazin, A Wal­ker in the City (1951), Start­ing Out in the Thir­ties (1965) und New York Jew (1978); Irving Howe (mit Ken­neth Libo), World of Our Fathers: The Jour­ney of the East Euro­pean Jews to Ame­ri­ca and the Life They Found and Made (1976), und A Mar­gin of Hope: An Intellec­tu­al Auto­bio­gra­phy (1982)
  8. Ron­nie Grin­berg, Wri­te Like a Man: Jewish Mas­cu­li­ni­ty and the New York Intellec­tu­als (Prince­ton, NJ: Prince­ton Uni­ver­si­ty Press, 2024), S. 43; sie­he auch Ter­ry A. Coo­ney, The Rise of the New York Intellec­tu­als: Par­ti­san Review and its Cir­cle, 1934–1945 (Madi­son: Uni­ver­si­ty of Wis­con­sin Press, 1986), und Neil Jumon­ville, Cri­ti­cal Crossings: The New York Intellec­tu­als in Post­war Ame­ri­ca (Ber­ke­ley: Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia Press, 1991)
  9. Pierre Bour­dieu, Die ver­bor­ge­nen Mecha­nis­men der Macht, hg. Mar­ga­re­ta Stein­rü­cke, übers. Jür­gen Bol­der (Ham­burg: VSA, 2015), S. 83; sie­he auch Bour­dieu, Die männ­li­che Herr­schaft, übers. Jür­gen Bol­der (Frankfurt/Main: Suhr­kamp, 2012), S. 90–100
  10. Bour­dieu, Die ver­bor­ge­nen Mecha­nis­men der Macht, S. 84
  11. Simo­ne de Beau­voir, Das ande­re Geschlecht: Sit­te und Sexus der Frau, übers. Uli Aumül­ler und Gre­te Oster­wald (Rein­bek: Rowohlt, 2018), S. 57
  12. Simo­ne de Beau­voir, Das ande­re Geschlecht, S. 181
  13. Han­nah Are­ndt, »He’s All Dwight«, in: Are­ndt, Thin­king Wit­hout a Banis­ter: Essays in Under­stan­ding, 1953–1975, hg. Jero­me Kohn (New York: Scho­cken, 2018), S. 397; Micha­el Wres­zin, A Rebel in Defen­se of Tra­di­ti­on: The Life and Poli­tics of Dwight Mac­do­nald (New York: Basic Books, 1994), S. 136
  14. Grin­berg, Wri­te Like a Man, S. 80–81
  15. Euge­ne Good­he­art, The Reign of Ideo­lo­gy (New York: Colum­bia Uni­ver­si­ty Press, 1997), S. 86, Über­set­zung zitiert nach Auberg, New Yor­ker Intel­lek­tu­el­le, S. 24
  16. Mary McCar­thy, Intellec­tu­al Memoirs: New York 1936–1938 (New York: Har­court Brace, 1992), S. 101–105; Grin­berg, Wri­te Like a Man, S. 55
  17. Howe, A Mar­gin of Hope: An Intellec­tu­al Auto­bio­gra­phy (San Die­go: Har­court Brace Jova­no­vich, 1982), S. 270
  18. Richard M. Cook, Alfred Kazin: A Bio­gra­phy (New Haven: Yale Uni­ver­si­ty Press, 2009), S. 319; Grin­berg, Wri­te Like a Man, S. 57
  19. Grin­berg, Wri­te Like a Man, S. 93; sie­he auch Richard H. Pells, The Libe­ral Mind in a Con­ser­va­ti­ve Age: Ame­ri­can Intellec­tu­als in the 1940s and 1950s (Midd­le­town, CT: Wes­ley­an Uni­ver­si­ty Press, ²1989), S. 122; und Igna­zio Silo­ne, Der Fascis­mus: Sei­ne Ent­ste­hung und sei­ne Ent­wick­lung (1934; rpt. Frankfurt/Main: Ver­lag Neue Kri­tik, 1984), S. 46–58
  20. Cf. Andrew Ross, No Respect: Intellec­tu­als and Popu­lar Cul­tu­re (New York: Rout­ledge, 1989), S. 42–64
  21. Grin­berg, Wri­te Like a Man, S. 221; Nor­man Mailer, Mind of an Out­law: Sel­ec­ted Essays, hg. Phil­ip Sipio­ra (Lon­don: Pen­gu­in, 2013), Essays »The Homo­se­xu­al as Vil­lain« (1955) und »The White Negro« (1957), S. 14–20, 41–65; Kate Mil­lett, Sexu­al Poli­tics (New York: Colum­bia Press, 2016), S. 314–335 (über Nor­man Mailer)
  22. Grin­berg, Wri­te Like a Man, S. 123, 1; zum »phal­lisch« besetz­ten »Männ­lich­keits­di­lem­ma« cf. Phil­ip Zah­n­er, »Die Fühl­form des isla­mi­schen Gegen­sou­ve­räns: Über miso­gy­ne und anti­se­mi­ti­sche Gewalt am 7. Okto­ber«, sans phra­se, Nr. 24 (Som­mer 2024), S. 133
  23. Karl Marx, »Debat­te um das Holz­dieb­stahls­ge­setz«, in MEW, Bd. 1 (Ber­lin: Dietz, 2006), S. 132; Hin­weis auf das Marx-Zitat von Phil­ip Zah­n­er, »Die Fühl­form des isla­mi­schen Gegen­sou­ve­räns«, S. 105
  24. Mur­ray Book­chin, Rema­king Socie­ty (Mont­re­al: Black Rose Books, 1989), S. 19–73; John Ganz, When the Clock Bro­ke: Con Men, Con­spi­ra­cists, and How Ame­ri­ca Cra­cked Up in the Ear­ly 1990s (New York: Farr­ar, Straus and Giroux, 2024), S. 56–79
  25. Auberg, New Yor­ker Intel­lek­tu­el­le, S. 240, 271Fn.; Grin­berg, Wri­te like a Man, S. 273; Trump-Zitat: BBC, 9. Okto­ber 2016, https://www.bbc.com/news/election-us-2016–37595321
  26. Bour­dieu, Die männ­li­che Herr­schaft, S. 96

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Jörg Auberg - Writer, critic, editor, publisher