Verfemt in Amerika

V

AchiveZwei Biografien über die politischen Aussenseiter John Howard Lawson und David Dellinger

 

von Jörg Auberg

 

 

 

John Howard Law­son und David Del­lin­ger waren Zeit ihres Lebens außer­halb des Krei­ses der jewei­li­gen Cog­nis­cen­ti eher obsku­re Gestal­ten einer kon­trä­ren lin­ken Geschich­te, die ledig­lich in einem his­to­ri­schen Moment ins Licht der Öffent­lich­keit rück­ten. Law­son, ein bekann­ter Thea­ter- und Dreh­buch­au­tor aus dem Orbit der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, wur­de zum Aus­ge­sto­ße­nen, als er in einer öffent­li­chen Anhö­rung des Unter­su­chungs­aus­schus­ses für uname­ri­ka­ni­sche Umtrie­be (House-Com­mit­tee on Un-Ame­ri­can Acti­vi­ties – HUAC) im Jah­re 1947 den Vor­sit­zen­den nie­der­zu­brül­len ver­such­te und dafür mit dem Ende sei­ner poli­ti­schen und künst­le­ri­schen Kar­rie­re bezahl­te. Der für die poli­ti­sche Öffent­lich­keit eher im Ver­bor­ge­nen agie­ren­de Radi­kal­pa­zi­fist Del­lin­ger errang wider sei­nen Wil­len natio­na­le Berühmt­heit, als er als Mit­or­ga­ni­sa­tor der gewalt­tä­ti­gen Anti­kriegs­de­mons­tra­ti­on in Chi­ca­go 1968 der Ver­schwö­rung ange­klagt und auch vor das HUAC zitiert wur­de. Sei­ne Aus­sa­ge „Ich glau­be, ich spre­che für die bes­ten Inter­es­sen des bes­ten Ame­ri­kas“ hät­te auch Law­son für sich in Anspruch neh­men wol­len. Zwei jüngst erschie­ne­ne, hand­werk­lich recht unter­schied­li­che Bio­gra­fien befrei­en die­se bei­den Gestal­ten vom Schlei­er der Obskurität.

John Howard Law­son (1894–1977) gehör­te zu den Grün­dern der lin­ken Thea­ter­be­we­gung in den 1920ern, reüs­sier­te als Dra­ma­ti­ker in New York und war ein enger Freund John Dos Pas­sos’, ehe er in den drei­ßi­ger und frü­hen vier­zi­ger Jah­ren ein erfolg­rei­cher Film­au­tor in Hol­ly­wood wur­de, der Dreh­bü­cher für anti­fa­schis­ti­sche Fil­me wie „Blo­cka­de“ (1938), der den Spa­ni­schen Bür­ger­krieg zum The­ma hat­te, oder für Hum­phrey-Bogart-Kriegs­ve­hi­kel wie „Saha­ra“ oder „Action in the North Atlan­tic“ (1943) schrieb und zu den ange­se­hens­ten Ver­tre­ter sei­ner Zunft gehör­te. Noch wich­ti­ger war Law­son jedoch in sei­ner Eigen­schaft als Spi­ri­tus rec­tor der Screen Wri­ters Guild, in der sich Dreh­buch­au­to­ren gewerk­schaft­lich orga­ni­sier­ten. Erst­mals mach­ten Autoren hier ihre Bedeu­tung im Film­be­trieb gel­tend (die spä­ter in der „poli­tique des auteurs“, die den Regis­seu­ren allen künst­le­ri­schen Ein­fluss zuschrieb, wie­der nivel­liert wur­de). Dar­über hin­aus war Law­son eine domi­nan­te Figur in der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in Hol­ly­wood, der auf ande­re Autoren, deren Arbei­ten nicht sei­nen künst­le­ri­schen und poli­ti­sche Vor­stel­lun­gen ent­spra­chen, insti­tu­tio­nel­len Druck ausübte.

So war Law­son ein wider­sprüch­li­cher Cha­rak­ter, der sich einer­seits für huma­ni­tä­re Anlie­gen im poli­ti­schen All­tag enga­gier­te, ande­rer­seits aber der Käl­te im sozia­len Umgang im kol­le­gia­len Umfeld gezie­hen wur­de. Die­se Wider­sprü­che ver­mag Gerald Hor­ne in sei­ner Law­son-Bio­gra­fie nicht adäquat zu behan­deln. Wie Lar­ry Cep­lair, Co-Autor des Stan­dard­wer­kes „The Inqui­si­ti­on in Hol­ly­wood“ (1980), tref­fend in sei­ner Kri­tik in der New Yor­ker Film­zeit­schrift „Cine­as­te“ anmerkt, ist Hor­ne zwar ein unschlag­ba­rer Recher­cheur, doch ver­mag er nicht all die infor­ma­ti­ve Fak­ti­zi­tät sei­nes Buches mit einer ana­ly­ti­schen Tie­fe zu ver­bin­den. Tat­säch­lich lei­det es an einer „Zita­tio­ni­tis“: Inner­halb eines Sat­zes wer­den diver­se Zita­te mit­ein­an­der ver­mengt, sodass der Ein­druck einer Viel­stim­mig­keit erweckt wird, doch tat­säch­lich ver­schwin­det hin­ter der poly­pho­ni­schen Auf­bie­tung der zahl­lo­sen Archiv­quel­len der gestal­te­ri­sche Wil­len. Statt­des­sen arti­ku­liert sich eine aus­ufern­de Belie­big­keit, die sich letz­ten Ende selbst nicht über den Weg traut. „Es gehört zur schrift­stel­le­ri­schen Tech­nik, selbst auf frucht­ba­re Gedan­ken ver­zich­ten zu kön­nen, wenn die Kon­struk­ti­on es ver­langt“, notier­te Ador­no in „Mini­ma Mora­lia“. Hor­ne ist jedoch offen­bar von dem Ehr­geiz getrie­ben, mög­lichst vie­le Fund­stü­cke sei­ner Recher­che­ar­beit im Buch unter­zu­brin­gen, wäh­rend zen­tra­le Moti­ve und Gedan­ken buch­stäb­lich unter den Tisch fallen.

Ein zen­tra­les Argu­ment Hor­nes ist, dass der Anti­se­mi­tis­mus ein Haupt­merk­mal der poli­ti­schen Atta­cken auf Hol­ly­wood war, doch ist der Zusam­men­hang zwi­schen Anti­kom­mu­nis­mus und Anti­se­mi­tis­mus viel­schich­ti­ger als ihn Hor­ne etwas grob­schläch­tig dar­stellt. Zwei­fels­oh­ne zogen vie­le Poli­ti­ker aus dem HUAC-Umfeld das anti­se­mi­ti­sche Ticket: So woll­te ein Unter­su­chungs­aus­schuss­mit­glied im Herbst 1947 die libe­ra­le Oppo­si­ti­on zum Schwei­gen brin­gen, indem es die Öffent­lich­keit anstän­di­ger Ame­ri­ka­ner wis­sen ließ, dass vie­le der Pro­tes­tie­rer Juden sei­en und ihre wah­ren „Juden­na­men“ ver­schwie­gen: Dan­ny Kaye hieß in Wahr­heit Kamin­sky, Eddie Can­tor Isko­witzm, Mel­vyn Dou­glas Hes­sel­berg und Edward G. Robin­son Emma­nu­el Gol­den­berg. Insi­nu­iert wur­de eine abge­feim­te Ver­schwö­rung jüdi­scher Strip­pen­zie­her, die das gut­gläu­bi­ge ame­ri­ka­ni­sche Publi­kum aufs Übels­te hin­ters Licht geführt hat­ten und im Inter­es­se der Sowjet­macht agier­ten. Ande­rer­seits setz­te auch das intel­lek­tu­el­le „Ame­ri­can Com­mit­tee for Cul­tu­ral Free­dom“, in dem ehe­ma­li­ge Kom­mu­nis­ten wie der Phi­lo­soph Sid­ney Hook orga­ni­siert waren, auf das anti­kom­mu­nis­ti­sche Ticket und for­der­te die Ent­fer­nung kom­mu­nis­ti­scher Ver­däch­ti­ger aus dem Schul- und Uni­ver­si­täts­dienst. Hin­ter einem Wust an Archiv­ma­te­ri­al ver­mag Hor­ne nicht, ver­schie­de­ne intel­lek­tu­el­le und his­to­ri­sche Strän­ge zu ver­knüp­fen. So führt er Hook in einem Cameo-Auf­tritt als „anti­kom­mu­nis­ti­schen Phi­lo­so­phen“ vor, unter­schlägt dabei aber des­sen kom­mu­nis­ti­sche Vor­ge­schich­te, wobei ihm essen­ti­el­le psy­cho­lo­gi­sche Beweg­grün­de für bestimm­te Ver­hal­tens­wei­sen ent­ge­hen. „Hook und Co.“, schrieb die New Yor­ker Autorin Mary McCar­thy 1952, „den­ken im Sin­ne von Seil­schaf­ten und kul­tu­rel­len Mono­po­len und wur­den durch das kur­ze sta­li­nis­ti­sche Inter­mez­zo der drei­ßi­ger Jah­re wirk­lich trau­ma­ti­siert, als sie zum Bei­spiel arg­wöhn­ten, dass sich Ver­le­ger nicht für ihre Bücher ein­setz­ten, weil unter den Buch­händ­lern oder sogar Mit­ar­bei­tern sta­li­nis­ti­sche Ein­flüs­se vorherrschten.“

Die­se psy­cho­lo­gi­sche Dimen­si­on der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Intel­lek­tu­el­len, die von einer ähn­li­chen Basis star­te­ten, jedoch gegen­läu­fi­ge Ent­wick­lun­gen nah­men, nimmt Hor­ne nicht wahr. Für ihn ist Law­son der Funk­tio­när inner­halb der gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sa­ti­on der Film­au­toren und der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, jedoch nie der Intel­lek­tu­el­le, der zu einem bestimm­ten Zeit­punkt die für ihn fata­le Wahl traf, Tech­ni­ker der Macht zu wer­den. In sei­nem Pro­log wür­digt er ihn als „US-Intel­lek­tu­el­len mit glo­ba­ler Reich­wei­te“, der nicht nur Nach­wuchs­au­to­ren wie Clif­ford Odets oder Abby Mann beein­fluss­te, son­dern auch bei Ser­gej Eisen­stein mit sei­nem theo­re­ti­schen Werk „Theo­ry and Tech­ni­que of Play­wri­ting“ (1936) nach­hal­ti­gen Ein­druck hin­ter­ließ. Mit Law­sons film­theo­re­ti­schen Wer­ke wie „Film in the Batt­le of Ide­as“ (1953) und „Film: The Crea­ti­ve Pro­cess“ (1964) setzt sich Hor­ne aber inhalt­lich kaum aus­ein­an­der. Gleich­falls bleibt sei­ne Rol­le in der Grün­dung der kri­ti­schen Film­zeit­schrift „Hol­ly­wood Quar­ter­ly“, der Vor­läu­fe­rin des renom­mier­ten Maga­zins „Film Quar­ter­ly“, unter­be­lich­tet. Letzt­lich bleibt er auf den einen geschicht­li­chen Moment redu­ziert, als er gegen die Unge­rech­tig­keit der medi­al insze­nier­ten Unter­su­chung des anti­kom­mu­nis­ti­schen Tri­bu­nals anschrie und sich damit nicht nur – wegen „Miss­ach­tung des Kon­gres­ses“ — ins Abseits kata­pul­tier­te. Wäh­rend ande­re Autoren spä­ter wie­der ins Geschäft zurück kehr­ten und bei der Kri­tik wie beim Publi­kum reüs­sier­ten, blieb Law­son Zeit sei­nes Lebens der Ver­fem­te, des­sen Name nie­mals von der „Schwar­zen Lis­te“ ver­schwand. Noch in den 1960ern, als er sich kri­tisch mit den sowje­ti­schen Ver­hält­nis­sen aus­ein­an­der setz­te und sei­nen Lebens­un­ter­halt mit Uni­ver­si­täts­vor­trä­gen bestritt, blieb er in den Augen der Öffent­lich­keit der kom­mu­nis­ti­sche „Par­tei­bon­ze“ der Ver­gan­gen­heit und „Un-Ame­ri­ka­ner“, der bis zu sei­nem Tod ver­geb­lich gegen das Image des macht­ge­fü­gi­gen Polit-Kom­mis­sars ankämpf­te. Lei­der ist Hor­ne eher mit der Struk­tu­rie­rung sei­ner archi­va­ri­schen For­schungs­er­geb­nis­se denn mit den psycho-bio­gra­fi­schen Ent­wick­lun­gen der Figur JHL beschäf­tigt, sodass Law­son letz­ten Endes ledig­lich als Objekt einer tech­no­kra­tisch-aka­de­mi­schen Unter­neh­mung erscheint.

Die Empa­thie, die Hor­ne ver­mis­sen lässt, ist der gro­ße Vor­zug der Bio­gra­fie über den Radi­kal­pa­zi­fis­ten David Del­lin­ger (1915–2004) des an der Uni­ver­si­ty of Water­loo im kana­di­schen Onta­rio leh­ren­den His­to­ri­kers Andrew E. Hunt, der auf Grund sei­nes erzäh­le­ri­schen Talents es nicht nur ver­mag, die poli­ti­schen und bio­gra­fi­schen Fäden mit­ein­an­der über eine jahr­zehn­te­lan­ge Geschich­te zu ver­knüp­fen, die dem gän­gi­gen Mus­ter einer deka­den­ori­en­tier­ten His­to­rio­gra­fie zuwi­der­läuft, son­dern es gelingt ihm, auch die Wider­sprüch­lich­kei­ten sei­nes his­to­ri­schen Prot­ago­nis­ten zu the­ma­ti­sie­ren, ohne ihn zu denun­zie­ren. Archiv- und Inter­view­ma­te­ria­li­en füh­ren hier kein Eigen­le­ben, und der His­to­ri­ker erlag nicht dem „Sire­nen­ge­sang des Archivs“, son­dern Hunt ord­net sein Mate­ri­al im Inter­es­se der Geschich­te sorg­sam an und ent­schlägt sich der Eitel­keit, unent­wegt mit den Zita­ten­kärt­chen aus der Schatz­kam­mer des Anek­do­ten­tums zu wedeln. Sein Buch ist eine Gegen­ge­schichts­schrei­bung, die eine his­to­ri­sche Figur vor dem Ver­ges­sen bewah­ren will und gegen die kon­for­me Mei­nung argu­men­tiert. „Del­lin­ger ist immer ein Narr gewe­sen“, gab 1996 der US-Staats­an­walt und Chef­an­klä­ger im Ver­schwö­rungs­pro­zess von Chi­ca­go im Jah­re 1969, Tho­mas Foran, zu Pro­to­koll, „er wird immer ein Narr sein, und es lohnt nicht die Mühe, über ihn etwas zu sagen. Um die Welt stün­de es bes­ser, wenn man eini­ge Leu­te voll­kom­men igno­rier­te.“ Gegen die­ses Ansin­nen, in einer von Gewalt bestimm­ten, ein­di­men­sio­na­len Welt die Uto­pie eines Ande­ren schon im Den­ken zu unter­bin­den, ist Hunts Buch gerichtet.

Del­lin­ger ent­stamm­te einer wohl­ha­ben­den Anwalts­fa­mi­lie in Mas­sa­chu­setts und stu­dier­te an der Eli­te­uni­ver­si­tät Yale Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten, doch ver­ließ er schon früh den vor­ge­zeich­ne­ten Weg und wand­te sich einem christ­lich begrün­de­ten, aber auch von Gan­dhi beein­fluss­ten Radi­kal­pa­zi­fis­mus zu. Auf einer Rei­se durch das kri­sen­ge­schüt­tel­te Euro­pa im Jah­re 1936, die ihn sowohl in das vom Bür­ger­krieg gezeich­ne­te Spa­ni­en als auch in das nazis­ti­sche Deutsch­land führ­te, zwei­fel­te er kurz­zei­tig, ob die herr­schen­den Zustän­de mit Mit­teln der Gewalt­lo­sig­keit zu über­win­den sei­en, doch erschie­nen ihm die Alter­na­ti­ven, etwa der Kom­mu­nis­mus (der in jenen Jah­ren in radi­ka­len Zir­keln en vogue war), nicht bes­ser geeig­net, mit den grim­mi­gen Rea­li­tä­ten der Zeit fer­tig zu wer­den. Gera­de die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei mit ihren abrup­ten Posi­ti­ons­wech­seln ver­folg­te in sei­nen Augen ledig­lich eine machia­vel­lis­ti­sche Poli­tik. Für Del­lin­ger war der zwei­te Welt­krieg nicht der „gute Krieg“ gegen den Faschis­mus, son­dern ein gewalt­tä­ti­ges Unter­neh­men, das nicht die Wur­zel des Übels aus­merz­te, son­dern ledig­lich die Welt sicher für die Gewalt und Bar­ba­rei mach­te. Als akti­ver Pazi­fist und Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer ging er in den frü­hen 1940er Jah­ren – obwohl selbst der berühm­te Theo­lo­ge Rein­hold Nie­buhr gegen die­se Posi­ti­on oppo­nier­te und auf Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rer ein enor­mer poli­ti­scher, sozia­ler und mora­li­scher Druck aus­ge­übt wur­de – mehr­mals ins Gefäng­nis. Es war typisch für Del­lin­gers anar­chis­ti­sche Grund­hal­tung Zeit sei­nes Lebens: In der Ver­fol­gung sei­ner poli­ti­schen Zie­le scheu­te er sich nicht, all sei­ne Exis­tenz in den Kampf zu wer­fen – auch wenn er einen hohen Preis bezahl­te. Er opfer­te sei­ne Kar­rie­re, ein mög­li­ches Leben in Wohl­stand und Respek­ta­bi­li­tät, nahm Ver­haf­tun­gen und Gefäng­nis­stra­fen auf sich, rui­nier­te fast sein Pri­vat­le­ben und sei­ne Gesund­heit, um sei­nem Ziel – die Welt etwas bes­ser zu machen – ein paar Schrit­te näher zu kom­men: Keep your eyes on the prize.

In sei­ner Bio­gra­fie schil­dert Hunt nicht allein den poli­ti­schen Men­schen Del­lin­ger, son­dern zeigt über die Jahr­zehn­te des Enga­ge­ments auch die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen des unent­weg­ten Ein­sat­zes für die Sache des Frie­dens auf den fami­liä­ren Mikro­kos­mos der Del­lin­gers: Manch­mal konn­ten die Kin­der die Gewalt­lo­sig­keit ihres Vaters nicht län­ger ertra­gen und baten dar­um, wie „gewöhn­li­che“ ame­ri­ka­ni­sche Kin­der behan­delt zu wer­den; und die lan­gen Zei­ten der Abwe­sen­heit des poli­ti­schen Akti­vis­ten Del­lin­ger führ­ten schließ­lich dazu, dass sich sei­ne Frau in den spä­ten 1960er von ihm ent­frem­de­te und für eini­ge Jah­re von ihm trenn­te. Die­se pri­va­ten Aspek­te prä­sen­tiert Hunt nicht aus einer voy­eu­ris­ti­schen Per­spek­ti­ve, son­dern bet­tet sie in eine brei­te­re Erzäh­lung ein, wel­che die Pro­ble­ma­tik des unent­weg­ten Akti­vis­mus am Ran­de des „work­al­co­ho­lism“ the­ma­ti­siert, ohne das poli­ti­sche Enga­ge­ment zu denunzieren.

In den Zei­ten des Kal­ten Krie­ges war Del­lin­ger ein eher schat­ten­haf­ter Rebell gegen das kon­for­mis­ti­sche Ame­ri­ka, ein Akti­vist des Pazi­fis­mus, der jedoch in der Öffent­lich­keit vor allem durch den radi­kal­so­zia­lis­ti­schen Theo­lo­gen A. J. Mus­te (1885–1967) reprä­sen­tiert wur­de. Mus­te war auch die trei­ben­de Kraft in der Grün­dung des unab­hän­gi­gen lin­ken Maga­zins „Libe­ra­ti­on“ im Jah­re 1956, die als Gegen­kraft zur sozi­al­de­mo­kra­tisch-anti­kom­mu­nis­ti­schen Zeit­schrift „Dis­sent“ kon­zi­piert war, um als Sprach­rohr einer „neu­en Lin­ken“ zu fun­gie­ren. In den Fol­ge­jah­ren war Del­lin­ger der feder­füh­ren­de Redak­teur die­ses Pro­jekts, und Hunt zeigt auf, wie sowohl poli­ti­sche Dif­fe­ren­zen als auch per­sön­li­che Diver­gen­zen das Maga­zin an den Abgrund zu füh­ren droh­ten, wobei er auch Del­lin­gers Fehl­ein­schät­zun­gen hin­sicht­lich des eman­zi­pa­to­ri­schen Cha­rak­ters der kuba­ni­schen Revo­lu­ti­on (die zum Absprung eini­ger Redak­teu­re führ­te) nicht unterschlägt.

Obwohl Del­lin­ger die krie­ge­ri­schen Ereig­nis­se in Süd­ost­asi­en wie vie­le Ame­ri­ka­ner zunächst kaum wahr­nahm, wur­de er ab 1963 zu einem füh­ren­den Akti­vis­ten der Anti­kriegs­be­we­gung, der auch von den jün­ge­ren „Neu­en Lin­ken“ wie Tom Hay­den und Richard Flacks akzep­tiert und bewun­dert wur­de. All­mäh­lich trat Del­lin­ger aus dem Schat­ten A. J. Mus­tes her­aus und wur­de zu einem pro­mi­nen­ten Reprä­sen­tan­ten der Anti­kriegs­be­we­gung, der die Mit­tel des gewalt­lo­sen Wider­stan­des mit den Tech­ni­ken der „neu­en Gue­ril­la“ zu ver­bin­den such­te. Damit ent­frem­de­te er sich einer­seits alten Pazi­fis­ten, die ihre Idea­le der Gewalt­lo­sig­keit ver­ra­ten sahen; ande­rer­seits ver­kann­te die Anfäl­lig­keit jun­ger Akti­vis­ten für die Ver­lo­ckun­gen des Medi­en­ge­schäf­tes. So rekru­tier­te er Jer­ry Rubin für die Anti­kriegs­or­ga­ni­sa­ti­on MOBE, wobei er jedoch außer Acht ließ, dass Rubin vor allem durch einen Impe­tus getrie­ben wur­de, stets als Akteur in der media­len Maschi­ne auf­zu­tau­chen, um der eige­nen Wich­tig­keit sich ver­si­chern zu kön­nen. Auch in der Orga­ni­sa­ti­on der Pro­tes­te gegen den Kon­vent der Demo­kra­ti­schen Par­tei in Chi­ca­go 1968 war­fen ihm inter­ne Kri­ti­ker man­geln­de Füh­rungs­qua­li­tä­ten vor, da die Revol­te gegen die poli­ti­schen Rackets außer Kon­trol­le geriet, was jedoch nicht zuletzt an der außer Rand und Band gera­te­nen poli­zei­li­chen Ord­nungs­macht lag. Zusam­men mit ande­ren „Rädels­füh­rern“ wie Ren­nie Davis, Tom Hay­den, Jer­ry Rubin, Abbie Hoff­man und Bob­by Sea­le wur­de er der Ver­schwö­rung ange­klagt und zu einer fünf­jäh­ri­gen Haft­stra­fe ver­ur­teilt, die jedoch spä­ter auf Grund von Ver­fah­rens­feh­lern außer Kraft gesetzt wur­de. Wie schon wäh­rend des zwei­ten Welt­krie­ges war Del­lin­ger bereit, für sei­ne pazi­fis­ti­sche Über­zeu­gung aufs Gan­ze zu gehen und auch eine mehr­jäh­ri­ge Gefäng­nis­stra­fe in Kauf zu neh­men, was ihn von poli­ti­schen Prag­ma­ti­kern und Real­po­li­ti­kern wie Hay­den unter­schied, die nicht wil­lens waren, für ihr Enga­ge­ment einen exis­ten­ti­el­len Preis zu zah­len. „Dave ist ein Pazi­fist“, bemerk­te Hay­den, „und Pazi­fis­ten haben nicht viel Realitätssinn.“

Hay­dens „Rea­li­täts­sinn“ führ­te ihn schließ­lich vom Pro­test zur Macht, vom Ver­such der Rede­mo­kra­ti­sie­rung der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft in das poli­ti­sche Estab­lish­ment, wobei es in den Augen Del­lin­gers kei­ner­lei Recht­fer­ti­gung für die­sen Front­wech­sel gab. Nach dem Ende der Gro­ßen Par­ty blieb er allein zurück: Die ehe­ma­li­gen Weg­ge­noss­sen wand­ten sich ent­we­der dem Spi­ri­tua­lis­mus zu oder ent­deck­ten ihr Herz für den Kon­ser­va­tis­mus. Am Ende stand der Nie­der­gang der Lin­ken, den Del­lin­ger nicht rea­li­sier­te. Das Pro­jekt „Libe­ra­ti­on“ gab er 1977 zu Guns­ten des pres­ti­ge­träch­ti­gen Maga­zins „Seven Days“ auf, das – mit den Wor­ten des Publi­zis­ten Vic­tor Navas­ky – eine Art „Time Maga­zi­ne“ der Lin­ken sein soll­te, aber schon nach kur­zer Zeit im Zuge der all­ge­mei­nen lin­ken Kri­se an den grim­mi­gen Rea­li­tä­ten der Nach-Viet­nam-Ära schei­ter­te. Trotz aller Rück­schlä­ge blieb Del­lin­ger als Pazi­fist bis zur Jahr­tau­send­wen­de aktiv, ehe ihn die Alz­hei­mer-Krank­heit all­mäh­lich ins Sei­ten­aus manö­vrier­te. Im Gegen­satz zum mar­tia­lisch sich insze­nie­ren­den Prä­si­den­ten war Del­lin­ger tat­säch­lich „uname­ri­ka­nisch“, wenn man – wie es Alphon­so Pink­ney in sei­nem Buch „The Ame­ri­can Way of Vio­lence“ (1972) tat – die Gewalt als grund­le­gen­den Wesens­zug des ame­ri­ka­ni­schen Natio­nal­cha­rak­ters iden­ti­fi­ziert. Del­lin­ger ver­kör­per­te die Uto­pie einer poli­ti­schen Gewalt­lo­sig­keit, die ein lebens­lan­ges Enga­ge­ment ver­lang­te, und wider­sprach bis zuletzt der The­se, dass eine Rege­ne­ra­ti­on durch Gewalt erfol­gen kön­ne. In einer Welt, in der Gewalt als allei­ni­ges Mit­tel der Kon­flikt­lö­sung begrif­fen wird, mag dies als man­geln­der Rea­li­täts­sinn begrif­fen wer­den, doch sind die selbst ernann­ten „Rea­lis­ten“ nicht Teil der Lösung, son­dern des all­um­grei­fen­den Pro­blems, das letzt­lich in die Kata­stro­phe über­grei­fen kann.

 

Biblio­gra­fi­sche Angaben:

Gerald Hor­ne. The Final Vic­tim of the Black­list: John Howard Law­son, Dean of the Hol­ly­wood Ten. Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia Press, Ber­ke­ley 2006. 360 Sei­ten, € 21,50.

Andrew E. Hunt. David Del­lin­ger: The Life and Times of a Non­vio­lent Revo­lu­tio­na­ry. New York Uni­ver­si­ty Press, New York 2006. 346 Sei­ten, € 30,50.

 

© Jörg Auberg

Geschrie­ben 2007 — unveröffentlicht

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Jörg Auberg - Writer, critic, editor, publisher