Paul Austers Vermächtnis Ein nahezu klassischer Essay über Waffengewalt von Jörg Auberg Im Juli 1945, als der Zweite Weltkrieg noch im vollen Gange war, konstatierte der italienische Emigrant Niccoló Tucci in der New Yorker pazifistischen Zeitschrift Politics: »Das Problem ist nicht, wie man den Feind loswird, sondern eher, wie man den letzten Sieger loswird. Denn was ist...
- Paul Auster: Bloodbath Nation12. Mai 2024Paul Austers Vermächtnis Ein nahezu klassischer Essay über Waffengewalt von Jörg Auberg Im Juli 1945, als der Zweite Weltkrieg noch im vollen Gange war, konstatierte der italienische Emigrant Niccoló Tucci in der New Yorker pazifistischen Zeitschrift Politics: »Das Problem ist nicht, wie man den Feind loswird, sondern eher, wie man den letzten Sieger loswird. Denn was ist der Sieger etwas anderes als einer, der gelernt hat, dass Gewalt funktioniert? Wer wird ihm eine Lektion erteilen?«1 In seinem schmalen Essayband Bloodbath Nation, das nach seinem Tod sein politisches Vermächtnis darstellt, hat Paul Auster die historische »Gewaltproblematik« der USA mit ihrem Waffenfetisch thematisiert, die sich spektakulär in Amokläufen und Massenmorden in kürzeren Intervallen immer wieder manifestiert und deren menschenleeren Orte der Fotograf Spencer Ostrander in kargen Schwarzweißbildern festhielt. Auster hatte nicht den Anspruch, in seinem knappen Essay Richard Slotkins voluminöse Trilogie über die Gewalt und Waffenkultur der US-amerikanischen »frontier« vom 16. Jahrhundert bis in die Reagan-Ära des 20. Jahrhunderts in geraffter Form zu erzählen.2 Er wählte einen persönlichen Ansatz, indem er von seiner Kindheit berichtet, in der die Idealisierung des waffentragenden Cowboys, der mit Waffengewalt die ihn umgebenden Verhältnisse regelte, in die Vorstellungswelt eines Jungen einwanderte – und zwar in erster Linie mittels der Populärkultur in den 1950er Jahren über die Nachmittagsprogramme des Fernsehens, in denen Darsteller wie Al »Fuzzy« St. John oder Al »Lash« LaRue die »infantile Traumwelt der Fernsehcowboys«3 ins Wohnzimmer und in die kindliche Imagination trugen. Neben dieser allgemeinen kulturellen Prägung kam bei Auster noch die eigene Familiengeschichte ins Spiel: Seine Großmutter Anna Auster erschoss 1919 ihren Mann Harry Auster wegen Geldstreitigkeiten, nachdem ihre Beziehung in die Brüche gegangen war. Aus Rache versuchte ihr Schwager, sie zu erschießen, was jedoch misslang.4 Wegen zeitweiliger Unzurechnungsfähigkeit wurde die Großmutter im Gerichtsverfahren freigesprochen. Das familiäre Trauma zerstörte auch das Leben von Paul Austers Vater, der »vereinsamt und gebrochen« durch sein Leben schlich. In den Augen seines Sohnes war es »die Waffe, die das Leben meines Vater runiert hat«.5 Wie Christine Bold im Times Literary Supplement unterstreicht, erzählte Auster mehrfach in seinen autobiografischen Texten – von The Invention of Solitude (1982) bis zu Winter Journal (2012). In Bloodbath Nation ist es nicht lediglich eine familiäre Episode, sondern eine tiefergehende Erfahrung mit einer durch Waffengewalt geprägte und traumatisierte Familiengeschichte.6 Darüber hinaus richtete Auster seinen Blick von der individuellen Erfahrung auf das gesellschaftliche Ganze: »Warum ist Amerika so anders«, fragte er sich, »– und was macht es zum gewalttätigsten Land der westlichen Welt?«7 In nahezu klassischer Manier verfuhr der immer wieder postmoderner Trickser bezeichnete Autor in seinem Essay im kontemplativen Verweben von individueller und historischer Erfahrung. »Die Beziehung auf Erfahrung – und ihr verleiht der Essay soviel Substanz wie die herkömmliche Theorie den bloßen Kategorien – ist die auf die ganze Geschichte«, konstatierte Theodor W. Adorno; »die bloß individuelle Erfahrung, mit welcher das Bewußtsein als mit dem ihr nächsten anhebt, ist selber vermittelt durch dieübergreifende der historischen Menschheit; daß stattdessen diese mittelbar und das je Eigene das Unmittelbare sei, bloße Selbsttäuschung der individualistischen Gesellschaft und Ideologie.«8 Nach Austers Angaben sind 393 Millionen Schusswaffen im Besitz von US-Bürger*innen, und in einer Kultur der Gewalt, die mittels Ausrottung der ansässigen und nomadenhaften indigenen Völker, Sklaverei und Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus die Territorien und die Rohstoffe (inklusive der menschlichen Individuen und Massen) sich einverleibte. Tatsächlich ging es im alten Westen, wie Auster betonte, »wesentlich zivilisierter und friedlicher und sicherer« zu als im aktuellen Amerika, da in den Frontier-Territorien nicht schießwütige Revolverhelden ihr Unwesen trieben, sondern in den Gemeinden aus Selbstschutz klare Waffenkontrollen durchgeführt wurden.9 Gegenwärtig ist Waffenbesitz nicht ein Recht, sondern nahezu eine Bürgerpflicht.10 die Waffengewalt der staatlichen Autoritäten im Kampf gegen Minderheiten rief eine Gegengewalt hervor, mit der Aktivist*innen von Gruppierungen wie Red Power, den Young Lords oder den Black Panthers in den 1970er Jahren in mediengerechter Symbolik mit Waffen in der Öffentlichkeit auftraten, ohne dass dadurch die Gewalt- und Todesspirale durchbrochen wurde. »Die Vereinigten Staaten sind durch Gewalt zustande gekommen«, schloss Auster seinen Essay, »haben aber durch eine Vorgeschichte, hundertachtzig Jahre in ununterbrochenem Krieg mit den Ureinwohnern des Landes, das wir ihnen weggenommen haben, sowie kontinuierliche Unterdrückung unserer versklavten Minderheit – die zwei Sünden, die wir in die Revolutionszeit mitgebracht und für die wir bis heute nicht gebüßt haben.« 11 Schlussendlich hatte Auster kein Programm zur Lösung des grundlegenden Problems: Weder eine restriktive Waffenkontrolle (die vermutlich einen illegalen Waffenhandel befördern würde) noch ein unbeschränkter Zugang zu Schusswaffen würde dem Verhängnis ein Ende bereiten, da die Ursachen in der Geschichte und in der kollektiven Psyche Amerikas vergraben sind. Er lasse die Leser*innen nach der Lektüre des Essays ratlos zurück, lautete der wiederholte Vorwurf der Kritik. »Auster, einer der besten Geschichtenerzähler der englischen Sprache, erweist sich als sachkundiger und aufgeklärter Führer, während er durch die Thematik mäandert«, konzedierte Gary Younge in einer Rezension im Guardian. »Aber sein Versäumnis, ein Ziel zu anzuzeigen, geschweige denn eines zu erreichen, lässt den Leser wie zu Beginn verloren und in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit zurück.«12 Dabei verkennt der Rezensent jedoch das Wesen des Essays: Er »fängt nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will«, insistierte Adorno; »er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe: so rangiert er unter den Allotria.« In seinen Romanen agierte Auster, wie Chris Ward schrieb, als »Autor-Gott«, der Mann, der in seinem literarischen Universum die Fäden zog und im Kosmos des Zufalls die Figuren mit magischen Kunststücken durch die Kulissen schob.13 Trotz allem sind die literarischen Werke keineswegs postmoderne Spielereien, sondern – wie Adriano A. Tedde – in einer kritischen amerikanischen Tradition von Henry David Thoreau und Walt Whitman verwurzelt und halten die utopische Flamme eines »anderen Amerikas« als Gegenbewegung zum historischen Niedergang von »Ronald zu Donald« seit den 1980er Jahren aufrecht.14 Als Essayist musste er sich an die Erkenntnisse des alten Meisters halten: »All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever Failed. No matter.Try again. Fail again. Fail better.«15 © Jörg Auberg 2024 Bibliografische Angaben: Paul Auster. Bloodbath Nation. Mit Fotos von Spencer Ostrander. Übersetzt von Werner Schmitz. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2024. 192 Seiten, 26 Euro. ISBN: 978–3‑498–00323‑4. Bildquellen (Copyrights) Cover Bloodbath Nation © Rowohlt Verlag Filmplakat Law of the Lash © Producers Releasing Corporation Foto Massengrab in Wounded Knee © Northwestern Photo Co., Public domain, via Wikimedia Commons Foto Black Panther Demonstration © CIR Online, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons Foto Paul Auster © Siri Hustvedt/Grove Atlantic Nachweise Niccoló Tucci, »Commonnonsense«, Politics 2, Nr. 7 (Juli 1945):196 ↩ Cf. Richard Slotkin, Regeneration Through Violence: The Mythology of the American Frontier, 1600–1860 (1973; rpt. Norman: University of Oklahoma Press, 2000); The Fatal Environment: The Myth of the Frontier in the Age of Industrialization, 1800–1890 (1985; rpt. Norman: University of Oklahoma Press, 2000); Gunfighter Nation: The Myth of the Frontier in Twentieth-Century America (1992; rpt. Norman: University of Oklahoma Press, 1998) ↩ Paul Auster, Bloodbath Nation, übers. Werner Schmitz (Hamburg: Rowohlt, 2024), S. 10 ↩ Paul Auster, The Invention of Solitude (London: Faber & Faber, 1992), S. 35–44 ↩ Auster, Bloodbath Nation, S. 21 ↩ Christine Bold, »The Gunk, Gore and Horror: Paul Auster Confronts the Hard Facts of US Gun Law«, Times Literary Supplement, 24. März 2023, https://www.the-tls.co.uk/articles/bloodbath-nation-paul-auster-spencer-ostrander-book-review-christine-bold/ ↩ Auster, Bloodbath Nation, S. 21 ↩ Theodor W. Adorno, »Der Essay als Form«, in: Adorno, Noten zur Literatur, hg. Rolf Tiedemann (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1981), S. 18 ↩ Auster, Bloodbath Nation, S. 83 ↩ Auster, Bloodbath Nation, S. 70 ↩ Auster, Bloodbath Nation, S. 159 ↩ Gary Younge, »US Gun Violence Under the Microscope«, Guardian, 11. Januar 2023, https://www.theguardian.com/books/2023/jan/11/bloodbath-nation-by-paul-auster-review-a-response-to-the-us-gun-crisis ↩ Chris Ward, Reading Paul Auster (o. O.: Wisdom Twin Books, 2023), S. 33 ↩ Adriano A. Tedde, Marginalisation and Utopia in Paul Auster, Jim Jarmusch and Tom Waits: The Other America (London: Routledge, 2022) ↩ Samuel Beckett, Nohow On (London: John Calder, 1992), S. 101 ↩ […]
- Aus den Archiven: Paul Auster — Travels in the Scriptorium7. Mai 2024Der Mensch und die Texte Über Paul Auster und die Exerzitien der Literaturkritik von Jörg Auberg Wie der Intellektuelle es macht, macht er es falsch«, heißt es in Adornos Minima Moralia. Der Schriftsteller (im Sartre’schen Sinne seinem Wesen nach ein Intellektueller, dem es um die Mitteilung des Nicht-Mitteilbaren »unter Ausnutzung des Anteils an Desinformation, den die Gemeinsprache enthält« geht) kann es kaum jemandem Recht machen – weder dem lesenden Publikum noch den Kritikern. Gelang einem Autor einst der Große Wurf, wird er forthin immer daran gemessen und soll mit den Folgeprodukten dem Erfolgsrezept fürderhin folgen. Woody Allen ist noch immer der »Stadtneurotiker«, über den Kritiker und Publikum gleichermaßen herfallen, wenn er den Erwartungen nicht gerecht wird. Paul Auster reüssierte nach Jahren einer literarischen Schattenexistenz vor fast zwanzig Jahren mit der New York Trilogy und gilt seither als postmoderner Trickster. Als er sich mit seinem letzten Buch, The Brooklyn Follies auf das Gebiet des eher konventionellen Geschichtenerzählens ohne postmoderne Taschenspielertricks begab, zeigte sich eine Phalanx professioneller Literaturkritiker ob des »flachen Realismus« enttäuscht. Mit seinem neuen Buch Travels in the Scriptorium kehrt Auster auf das mysteriöse, textuell ineinander verschränkte Terrain früherer Jahre zurück, und auch diesmal fühlt sich das kritische Gewerbe literarisch nicht befriedigt. In Austers Kurzroman, der dem Andenken seines im Jahre 2004 gestorbenen Schwiegervaters Lloyd Hustvedt, eines in akademischen Kreisen bekannten Professors für Skandinavistik, gewidmet ist, sieht sich ein alter Mann – der Einfachheit halber »Mr. Blank« genannt – in einen Raum ohne eine Möglichkeit des Entkommens gesperrt und ist sich im Unklaren, wie er dort hingeraten sein könnte. Das Zimmer ähnelt einem Gefängnis mit Alltagsgegenständen, die zur Identifizierung Etiketten ihrer Objektbeschreibung tragen, während »Mr. Blank« mit den Verfallserscheinungen und temporären Aufwallungen seiner hinfälligen Existenz wie mit dem Eingesperrtsein kämpft. Im Prozess des kulturellen und sozialen Alterns wird der Mensch – wie Jean Améry bemerkte — »zum Weltfremdling und Kauz«, der aus seiner Zeit heraus tritt, aber plötzlich mit Anschuldigungen (die von der Verleumdung bis zum Mord reichen) sich konfrontiert sieht, die er nicht versteht, jedoch offenbar ihre Ursache mit seinem Verhalten in seiner zurückliegenden Existenz haben. Auf dem Schreibtisch findet er ein fragmentarisches Manuskript eines gewissen John Trause , in dem der Protagonist, Sigmund Graf, als Spielfigur im Machtspiel eines imaginären Konföderationsstaates fungiert, der sich in den »fremden Territorien« als Erfüllungsgehilfe wider Willen missbrauchen lässt, erfolgreich seine »Mission« beendet und sich den finalen Rettungsschuss gibt, nachdem er die Ränkespiele und seine naive Willfährigkeit durchschaut hat. In einer klassischen Auster-Situation ist der Protagonist einer Vielzahl disparater wie ambiger Texte, deren Ursprung einerseits in der politischen und sozialen Realität des aktuellen Amerikas und andererseits im literarischen Kanon Austers liegt. Natürlich sind die Anspielungen auf Samuel Beckett (als dessen Herausgeber Auster bei den Grove Centenary Editions of Samuel Beckett fungiert) und Franz Kafka augenfällig, doch ist »Mr. Blank« nicht lediglich ein postmoderner Wiedergänger des Namenlosen oder der Figur K. Auch wenn manches an die Konstellation in Schlagschatten (dem zweiten Teil der New York Trilogy) mit seinen auf denomalisierten Figuren (»Blue«, »White«, »Brown« & »Black«) erinnert, ist Mr. Blank keineswegs eine leere Chiffre. Wie in The Brooklyn Follies beschäftigt sich Auster mit dem physischen und psychischen Verfall im Laufe des fortgeschrittenen Alters. Mit der Figur des Mr. Blank reflektiert Auster selbst sein Älterwerden als Schriftsteller, der vom Markt als Vermittler zwischen Avantgarde und Entertainment in Beschlag genommen wurde und den Betrieb mit Produkten belieferte, die nun in der Bestandsaufnahme oder im existenziellen Kassensturz auf den Urheber zuweilen brachial einwirken. Die Figuren aus früheren Romanen suchen den von »John Trause« mit seinem Text malträtierten »Mr..Blank« heim: Der Polizist James P. Flood, die Krankenschwester Anna Blume und Samuel Farr entstiegen dem Roman Im Land der letzten Dinge, Peter Stillman und Daniel Quinn (der Ankläger) tauchen erstmals in Stadt aus Glas auf; Marco Fogg und David Zimmer gehören zum Ensemble von Mond über Manhattan und aus dem Buch der Illusionen; und schließlich wabert der Auster’sche Grundtypus des Menschen aus Texten, Fanshawe (der seinen Ursprung in Nathanael Hawthornes gleichnamigem Roman hat) in die Figur des Benjamin Sachs in Leviathan. Eine misslaunige Literaturkritik nimmt Auster freilich die Indienstnahme alter Protagonisten übel. Für den Kritiker des Guardian ist Austers neues Buch nach dem ökonomisch erfolgreichen Roman The Brooklyn Follies aus dem letzten Jahr lediglich ein Rückschritt in obskure Territorien, während sein Kollege von der Financial Times das Buch eher als Bonbon für die Auster-Aficianodos sieht, die beim Lesen der eigenen Cleverness sich vergewissern können. Enttäuscht sind auch die Amateurkritiker aus dem Amazon-Universum. So kann sich beispielsweise ein Amazonaut nicht des Eindrucks erwehren, »dass hier nur altbekannte Elemente recycelt werden, um auf die Schnelle ein paar Extradollar zu verdienen«. Hierbei schwingt lediglich ein altes Ressentiment gegen die vorgeblich mangelnde Originalität der modernen Literatur mit, deren Verwebung mit der kapitalistischen Warengesellschaft ihr angelastet wird. Bereits den Dadaisten warfen ihre kritischen Zeitgenossen vor, an der Kunst sich zu vergehen, und später wurde William S. Burroughs, der in seinem voluminösen »work in progress« eigenes Material mit diversen anderen literarischen Materialien vermengte, regelmäßig des Plagiierens geziehen. Der Amateurkritiker kann nicht verstehen, dass ein Autor wie Auster nicht vom Schreiben lassen kann, jedoch kein der Welt entrückter und über den Dingen stehender Literat ist, wie ihn Honoré de Balzac mit der Figur des Daniel d’Arthez in den Verlorenen Illusionen entgegen den gesellschaftlichen und ökonomischen Realitäten imaginierte. Die Frage bleibt, inwieweit der Autor – mittlerweile selbst zur Ware im literarischen Warenumschlagplatz der Spät- oder Postmoderne geworden – der »Korrisionskraft der Ware« (Lothar Baier) sich entziehen kann. Noch mehr aber bleibt zweifelhaft, wo eine Kritik der Literaturkritik überdauern kann, die über das bloße Konsumentenbewusstsein der herrschenden Charaktermasken des Literaturbetriebes hinausreicht, während feiste Vertreter des Gewerbes über die medialen und ökonomischen Umschlagplätze des Betriebes ziehen und mit ihrer allenthalben beschworenen »Service-Mentalität« hausieren gehen, um noch die Reste einer halbwegs integeren Literaturkritik zu verhökern. Daher sind Ärgernisse, wie sie Auster dann und wann anbietet, überaus notwendig. Sie sind ein Affront gegen die geschwätzige Mitteilbarkeit, wie sie aus den Feuilletons und Literatursendungen plärrt. Zuerst erschienen in literaturkritik.de, Januar 2007 © Jörg Auberg 2007/2024 Bibliografische Angaben: Paul Auster. Travels in the Scriptorium. London: Faber & Faber, 2007. 144 Seiten, 9,99 UK-£. ISBN: 9780571232567. Bildquellen (Copyrights) Cover Travels in the Scriptorium © Faber & Faber Cover New York Trilogy © Faber & Faber Cover City of Glass (Graphic Novel) © Faber & Faber Trailer City of Glass © fifty nine productions Ausschnitt Literarisches Quartett (Nr. 41, 22.02.1996) © ZDF […]
- Digitalisierung von Gegenmacht6. Mai 2024Digitalisierung und Macht Intelligenz und Organisation in Zeiten des digitalen Kapitalismus von Jona Larkin White Künstliche Intelligenzen, die Streiks vorhersagen (sollen); digitale Überwachung und Plattformarbeit: Wie kann heutzutage gegen diese Machtinstrumente vorgegangen werden und welches können die neuen(?) Strategien zu einer gewerkschaftlichen Organisierung sein? Netzwerkstreiks, digitale Kommunikation und Singularisierung Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Transcript-Sammelband Digitalisierung von Gegenmacht: Gewerkschaftliche Konfliktfähigkeit und Arbeitskampf heute, in dem sieben wissenschaftliche Analysen zu dem Thema veröffentlicht sind. Herausgeber des Bandes sind der IG-Metaller Falko Blumenthal und Martin Oppelt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für politische Theorie an der Universität Augsburg. Der Großteil der elf Autor:innen des Sammelbandes weisen einen akademischen Hintergrund auf und legen in ihren Texten einen Schwerpunkt auf theoretische Begriffsbestimmungen und Einordnungen in aktuelle Forschungsstände. Es werden rechtliche Fragen darüber diskutiert, ob Netzwerkstreiks unter das Recht um Versammlungsfreiheit fallen, Chancen und Risiken der digitalen Kommunikation beleuchtet und öffentlichkeitswirksame Arbeitskämpfe im Spannungsfeld einer singularisierten Gesellschaft untersucht. Kritischer Exit-Punkt bei Start-up-Unternehmen Eine große Stärke des Werkes ist der konkrete Bezug zu aktuellen Arbeitskämpfen wie den Aufständen des Gorillas Workers Collective oder die Kampagne im Jahr 2021 von der Basisgewerktschaft IWGB (Independent Workers’ Union of Great Britain) gegen Deliveroo. Aufschlussreich und lesenswert für alle gewerkschaftlich interessierten Menschen analysieren Franziska Cooiman und Valentin Niebler die Strukturen von Start-up-Unternehmen, die sich vor allem durch Risikokapital finanzieren, das Potential von Hyperwachstum aufweisen und das Ziel eines erfolgreichen Exits verfolgen (meist durch einen lukrativen Börsengang oder durch die Übernahme eines größeren Unternehmens). Ein Geschäftsmodell, wie es nur zu häufig in der Plattformarbeit und Lieferdienstbranche zu finden ist und sich deswegen die Notwendigkeit auftut, die Unternehmensstrukturen zu begreifen und kritische Punkte in der Unternehmensgeschichte festzustellen. So konnte durch die öffentlichkeitswirksame IWGB-Kampagne 2021 genau zum Börsengang von Deliveroo der Wert der Aktie beträchtlich gesenkt werden.1 Besonders empfehlenswert ist weiterhin der Artikel von Tim Laumann (ver.di-Mitglied und Briefzusteller bei der Deutschen Post), der sich mit Möglichkeiten der Streikvorhersage durch das Datensammeln und Künstliche Intelligenzen (Predictive Risk Intelligence) beschäftigt. In seinem 22-seitigen Beitrag schildert er weiterhin die Mechanismen der Arbeitsverdichtung bei der Deutschen Post, die Durchsetzungsstrategien durch digitale Überwachung sowie einem Stabliniensystem und führt aus, wie gegen neue Methoden auch alte Arbeitskampfmittel wie der Dienst nach Vorschrift wirken können. Digitalisierung von Gegenmacht ist der fünfte Band der Reihe Politik der digitalen Gesellschaft vom Transcript Verlag. Durch die Finanzierung durch den Informationsdienst Politikwissenschaft (POLLUX) und zahlreicher Universitätsbibliotheken steht der Sammelband hier in digitaler Version kostenfrei zur Verfügung oder/und kann für 35 Euro in gedruckter Form erworben werden. Bibliografische Angaben: Martin Oppelt / Falko Blumenthal (Hg.). Digitalisierung von Gegenmacht. Gewerkschaftliche Konfliktfähigkeit und Arbeitskampf heute. Bielefeld: Transcript Verlag, 2023. 180 Seiten, 35 Euro. ISBN: 978–3‑8376–6545‑1. Zuerst erschienen in Direkte Aktion, März 2024 Republikation mit freundlicher Genehmigung der DA-Redaktion Weiterführende Literatur (zusammeeengestellt von Jörg Auberg) Bildquellen (Copyrights) Cover Digitalisierung von Gegenmacht © Transcript Verlag Karikaturen The March of Intellect © The Trustees of the British Museum Foto Mobile Bibliothek Archiv Jörg Auberg Nachweise Wer an dem Thema der Start-up-Unternehmensstrukturen in der Lieferbranche interessiert ist, sei auch auf die Veröffentlichung „Riders unite!“ von Robin de Greef vom Buchmacherei Verlag hingewiesen. ↩ […]