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Moleskin Blues

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  • Aus den Archiven: Paul Auster — Travels in the ScriptoriumAus den Archi­ven: Paul Aus­ter — Tra­vels in the Scrip­to­ri­um7. Mai 2024Der Mensch und die Tex­te Über Paul Aus­ter und die Exer­zi­ti­en der Lite­ra­tur­kri­tik von Jörg Auberg Wie der Intel­lek­tu­el­le es macht, macht er es falsch«, heißt es in Ador­nos Mini­ma Mora­lia. Der Schrift­stel­ler (im Sartre’schen Sin­ne sei­nem Wesen nach ein Intel­lek­tu­el­ler, dem es um die Mit­tei­lung des Nicht-Mit­­teil­­ba­­ren »unter Aus­nut­zung des Anteils an Des­in­for­ma­ti­on, den die Gemein­spra­che ent­hält« geht) kann es kaum jeman­dem Recht machen – weder dem lesen­den Publi­kum noch den Kri­ti­kern. Gelang einem Autor einst der Gro­ße Wurf, wird er fort­hin immer dar­an gemes­sen und soll mit den Fol­ge­pro­duk­ten dem Erfolgs­re­zept für­der­hin fol­gen. Woo­dy Allen ist noch immer der »Stadt­neu­ro­ti­ker«, über den Kri­ti­ker und Publi­kum glei­cher­ma­ßen her­fal­len, wenn er den Erwar­tun­gen nicht gerecht wird. Paul Aus­ter reüs­sier­te nach Jah­ren einer lite­ra­ri­schen Schat­ten­exis­tenz vor fast zwan­zig Jah­ren mit der New York Tri­lo­gy und gilt seit­her als post­mo­der­ner Tricks­ter. Als er sich mit sei­nem letz­ten Buch, The Brook­lyn Fol­lies auf das Gebiet des eher kon­ven­tio­nel­len Geschich­ten­er­zäh­lens ohne post­mo­der­ne Taschen­spie­ler­tricks begab, zeig­te sich eine Pha­lanx pro­fes­sio­nel­ler Lite­ra­tur­kri­ti­ker ob des »fla­chen Rea­lis­mus« ent­täuscht. Mit sei­nem neu­en Buch Tra­vels in the Scrip­to­ri­um kehrt Aus­ter auf das mys­te­riö­se, tex­tu­ell inein­an­der ver­schränk­te Ter­rain frü­he­rer Jah­re zurück, und auch dies­mal fühlt sich das kri­ti­sche Gewer­be lite­ra­risch nicht befrie­digt. In Aus­ters Kurz­ro­man, der dem Andenken sei­nes im Jah­re 2004 gestor­be­nen Schwie­ger­va­ters Lloyd Hust­vedt, eines in aka­de­mi­schen Krei­sen bekann­ten Pro­fes­sors für Skan­di­na­vis­tik, gewid­met ist, sieht sich ein alter Mann – der Ein­fach­heit hal­ber »Mr. Blank« genannt – in einen Raum ohne eine Mög­lich­keit des Ent­kom­mens gesperrt und ist sich im Unkla­ren, wie er dort hin­ge­ra­ten sein könn­te. Das Zim­mer ähnelt einem Gefäng­nis mit All­tags­ge­gen­stän­den, die zur Iden­ti­fi­zie­rung Eti­ket­ten ihrer Objekt­be­schrei­bung tra­gen, wäh­rend »Mr. Blank« mit den Ver­falls­er­schei­nun­gen und tem­po­rä­ren Auf­wal­lun­gen sei­ner hin­fäl­li­gen Exis­tenz wie mit dem Ein­ge­sperrt­sein kämpft. Im Pro­zess des kul­tu­rel­len und sozia­len Alterns wird der Mensch – wie Jean Amé­ry bemerk­te — »zum Welt­fremd­ling und Kauz«, der aus sei­ner Zeit her­aus tritt, aber plötz­lich mit Anschul­di­gun­gen (die von der Ver­leum­dung bis zum Mord rei­chen) sich kon­fron­tiert sieht, die er nicht ver­steht, jedoch offen­bar ihre Ursa­che mit sei­nem Ver­hal­ten in sei­ner zurück­lie­gen­den Exis­tenz haben. Auf dem Schreib­tisch fin­det er ein frag­men­ta­ri­sches Manu­skript eines gewis­sen John Trau­se , in dem der Prot­ago­nist, Sig­mund Graf, als Spiel­fi­gur im Macht­spiel eines ima­gi­nä­ren Kon­fö­de­ra­ti­ons­staa­tes fun­giert, der sich in den »frem­den Ter­ri­to­ri­en« als Erfül­lungs­ge­hil­fe wider Wil­len miss­brau­chen lässt, erfolg­reich sei­ne »Mis­si­on« been­det und sich den fina­len Ret­tungs­schuss gibt, nach­dem er die Rän­ke­spie­le und sei­ne nai­ve Will­fäh­rig­keit durch­schaut hat. In einer klas­si­schen Aus­­­ter-Situa­­ti­on ist der Prot­ago­nist einer Viel­zahl dis­pa­ra­ter wie ambi­ger Tex­te, deren Ursprung einer­seits in der poli­ti­schen und sozia­len Rea­li­tät des aktu­el­len Ame­ri­kas und ande­rer­seits im lite­ra­ri­schen Kanon Aus­ters liegt. Natür­lich sind die Anspie­lun­gen auf Samu­el Beckett (als des­sen Her­aus­ge­ber Aus­ter bei den Gro­ve Cen­ten­ary Edi­ti­ons of Samu­el Beckett fun­giert) und Franz Kaf­ka augen­fäl­lig, doch ist »Mr. Blank« nicht ledig­lich ein post­mo­der­ner Wie­der­gän­ger des Namen­lo­sen oder der Figur K. Auch wenn man­ches an die Kon­stel­la­ti­on in Schlag­schat­ten (dem zwei­ten Teil der New York Tri­lo­gy) mit sei­nen auf denoma­li­sier­ten Figu­ren (»Blue«, »White«, »Brown« & »Black«) erin­nert, ist Mr. Blank kei­nes­wegs eine lee­re Chif­fre. Wie in The Brook­lyn Fol­lies beschäf­tigt sich Aus­ter mit dem phy­si­schen und psy­chi­schen Ver­fall im Lau­fe des fort­ge­schrit­te­nen Alters. Mit der Figur des Mr. Blank reflek­tiert Aus­ter selbst sein Älter­wer­den als Schrift­stel­ler, der vom Markt als Ver­mitt­ler zwi­schen Avant­gar­de und Enter­tain­ment in Beschlag genom­men wur­de und den Betrieb mit Pro­duk­ten belie­fer­te, die nun in der Bestands­auf­nah­me oder im exis­ten­zi­el­len Kas­sen­sturz auf den Urhe­ber zuwei­len bra­chi­al ein­wir­ken. Die Figu­ren aus frü­he­ren Roma­nen suchen den von »John Trau­se« mit sei­nem Text mal­trä­tier­ten »Mr..Blank« heim: Der Poli­zist James P. Flood, die Kran­ken­schwes­ter Anna Blu­me und Samu­el Farr ent­stie­gen dem Roman Im Land der letz­ten Din­ge, Peter Still­man und Dani­el Quinn (der Anklä­ger) tau­chen erst­mals in Stadt aus Glas auf; Mar­co Fogg und David Zim­mer gehö­ren zum Ensem­ble von Mond über Man­hat­tan und aus dem Buch der Illu­sio­nen; und schließ­lich wabert der Auster’sche Grund­ty­pus des Men­schen aus Tex­ten, Fans­ha­we (der sei­nen Ursprung in Natha­na­el Hawt­hor­nes gleich­na­mi­gem Roman hat) in die Figur des Ben­ja­min Sachs in Levia­than. Eine miss­lau­ni­ge Lite­ra­tur­kri­tik nimmt Aus­ter frei­lich die Indienst­nah­me alter Prot­ago­nis­ten übel. Für den Kri­ti­ker des Guar­di­an ist Aus­ters neu­es Buch nach dem öko­no­misch erfolg­rei­chen Roman The Brook­lyn Fol­lies aus dem letz­ten Jahr ledig­lich ein Rück­schritt in obsku­re Ter­ri­to­ri­en, wäh­rend sein Kol­le­ge von der Finan­cial Times das Buch eher als Bon­bon für die Aus­­­ter-Afi­ci­a­no­­dos sieht, die beim Lesen der eige­nen Cle­ver­ness sich ver­ge­wis­sern kön­nen. Ent­täuscht sind auch die Ama­teur­kri­ti­ker aus dem Ama­­zon-Uni­­ver­­­sum. So kann sich bei­spiels­wei­se ein Ama­zo­naut nicht des Ein­drucks erweh­ren, »dass hier nur alt­be­kann­te Ele­men­te recy­celt wer­den, um auf die Schnel­le ein paar Extra­dol­lar zu ver­die­nen«. Hier­bei schwingt ledig­lich ein altes Res­sen­ti­ment gegen die vor­geb­lich man­geln­de Ori­gi­na­li­tät der moder­nen Lite­ra­tur mit, deren Ver­we­bung mit der kapi­ta­lis­ti­schen Waren­ge­sell­schaft ihr ange­las­tet wird. Bereits den Dada­is­ten war­fen ihre kri­ti­schen Zeit­ge­nos­sen vor, an der Kunst sich zu ver­ge­hen, und spä­ter wur­de Wil­liam S. Bur­roughs, der in sei­nem volu­mi­nö­sen »work in pro­gress« eige­nes Mate­ri­al mit diver­sen ande­ren lite­ra­ri­schen Mate­ria­li­en ver­meng­te, regel­mä­ßig des Pla­gi­ie­rens gezie­hen. Der Ama­teur­kri­ti­ker kann nicht ver­ste­hen, dass ein Autor wie Aus­ter nicht vom Schrei­ben las­sen kann, jedoch kein der Welt ent­rück­ter und über den Din­gen ste­hen­der Lite­rat ist, wie ihn Hono­ré de Bal­zac mit der Figur des Dani­el d’Arthez in den Ver­lo­re­nen Illu­sio­nen ent­ge­gen den gesell­schaft­li­chen und öko­no­mi­schen Rea­li­tä­ten ima­gi­nier­te. Die Fra­ge bleibt, inwie­weit der Autor – mitt­ler­wei­le selbst zur Ware im lite­ra­ri­schen Waren­um­schlag­platz der Spät- oder Post­mo­der­ne gewor­den – der »Kor­ri­si­ons­kraft der Ware« (Lothar Bai­er) sich ent­zie­hen kann. Noch mehr aber bleibt zwei­fel­haft, wo eine Kri­tik der Lite­ra­tur­kri­tik über­dau­ern kann, die über das blo­ße Kon­su­men­ten­be­wusst­sein der herr­schen­den Cha­rak­ter­mas­ken des Lite­ra­tur­be­trie­bes hin­aus­reicht, wäh­rend feis­te Ver­tre­ter des Gewer­bes über die media­len und öko­no­mi­schen Umschlag­plät­ze des Betrie­bes zie­hen und mit ihrer allent­hal­ben beschwo­re­nen »Ser­­vice-Men­­ta­­li­­tät« hau­sie­ren gehen, um noch die Res­te einer halb­wegs inte­ge­ren Lite­ra­tur­kri­tik zu ver­hö­kern. Daher sind Ärger­nis­se, wie sie Aus­ter dann und wann anbie­tet, über­aus not­wen­dig. Sie sind ein Affront gegen die geschwät­zi­ge Mit­teil­bar­keit, wie sie aus den Feuil­le­tons und Lite­ra­tur­sen­dun­gen plärrt. Zuerst erschie­nen in literaturkritik.de, Janu­ar 2007 © Jörg Auberg 2007/2024 Biblio­gra­fi­sche Anga­ben: Paul Aus­ter. Tra­vels in the Scrip­to­ri­um. Lon­don: Faber & Faber, 2007. 144 Sei­ten, 9,99 UK-£. ISBN: 9780571232567. Bild­quel­len (Copy­rights) Cover Tra­vels in the Scrip­to­ri­um © Faber & Faber Cover New York Tri­lo­gy © Faber & Faber Cover City of Glass (Gra­phic Novel) © Faber & Faber Trai­ler City of Glass © fif­ty nine pro­duc­tions Aus­schnitt Lite­ra­ri­sches Quar­tett (Nr. 41, 22.02.1996) © ZDF […]
  • Digitalisierung von GegenmachtDigi­ta­li­sie­rung von Gegen­macht6. Mai 2024Digi­ta­li­sie­rung und Macht Intel­li­genz und Orga­ni­sa­ti­on in Zei­ten des digi­ta­len Kapi­ta­lis­mus   von Jona Lar­kin White Künst­li­che Intel­li­gen­zen, die Streiks vor­her­sa­gen (sol­len); digi­ta­le Über­wa­chung und Platt­form­ar­beit: Wie kann heut­zu­ta­ge gegen die­se Macht­in­stru­men­te vor­ge­gan­gen wer­den und wel­ches kön­nen die neu­en(?) Stra­te­gien zu einer gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sie­rung sein? Netz­werk­streiks, digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on und Sin­gu­la­ri­sie­rung Mit die­sen Fra­gen beschäf­tigt sich der Tran­­script-Sam­­mel­­band Digi­ta­li­sie­rung von Gegen­macht: Gewerk­schaft­li­che Kon­flikt­fä­hig­keit und Arbeits­kampf heu­te, in dem sie­ben wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­sen zu dem The­ma ver­öf­fent­licht sind. Her­aus­ge­ber des Ban­des sind der IG-Metal­­ler Fal­ko Blu­men­thal und Mar­tin Oppelt, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter am Lehr­stuhl für poli­ti­sche Theo­rie an der Uni­ver­si­tät Augs­burg. Der Groß­teil der elf Autor:innen des Sam­mel­ban­des wei­sen einen aka­de­mi­schen Hin­ter­grund auf und legen in ihren Tex­ten einen Schwer­punkt auf theo­re­ti­sche Begriffs­be­stim­mun­gen und Ein­ord­nun­gen in aktu­el­le For­schungs­stän­de. Es wer­den recht­li­che Fra­gen dar­über dis­ku­tiert, ob Netz­werk­streiks unter das Recht um Ver­samm­lungs­frei­heit fal­len, Chan­cen und Risi­ken der digi­ta­len Kom­mu­ni­ka­ti­on beleuch­tet und öffent­lich­keits­wirk­sa­me Arbeits­kämp­fe im Span­nungs­feld einer sin­gu­la­ri­sier­ten Gesell­schaft unter­sucht. Kri­ti­scher Exit-Punkt bei Start-up-Unter­neh­men Eine gro­ße Stär­ke des Wer­kes ist der kon­kre­te Bezug zu aktu­el­len Arbeits­kämp­fen wie den Auf­stän­den des Goril­las Workers Coll­ec­ti­ve oder die Kam­pa­gne im Jahr 2021 von der Basis­ge­werkt­schaft IWGB (Inde­pen­dent Workers’ Uni­on of Gre­at Bri­tain) gegen Deli­veroo. Auf­schluss­reich und lesens­wert für alle gewerk­schaft­lich inter­es­sier­ten Men­schen ana­ly­sie­ren Fran­zis­ka Coo­iman und Valen­tin Nie­b­ler die Struk­tu­ren von Start-up-Unter­­neh­­men, die sich vor allem durch Risi­ko­ka­pi­tal finan­zie­ren, das Poten­ti­al von Hyper­wachs­tum auf­wei­sen und das Ziel eines erfolg­rei­chen Exits ver­fol­gen (meist durch einen lukra­ti­ven Bör­sen­gang oder durch die Über­nah­me eines grö­ße­ren Unter­neh­mens). Ein Geschäfts­mo­dell, wie es nur zu häu­fig in der Platt­form­ar­beit und Lie­fer­dienst­bran­che zu fin­den ist und sich des­we­gen die Not­wen­dig­keit auf­tut, die Unter­neh­mens­struk­tu­ren zu begrei­fen und kri­ti­sche Punk­te in der Unter­neh­mens­ge­schich­te fest­zu­stel­len. So konn­te durch die öffent­lich­keits­wirk­sa­me IWGB-Kam­­pa­­g­ne 2021 genau zum Bör­sen­gang von Deli­veroo der Wert der Aktie beträcht­lich gesenkt wer­den.1 Beson­ders emp­feh­lens­wert ist wei­ter­hin der Arti­kel von Tim Lau­mann (ver.di-Mitglied und Brief­zu­stel­ler bei der Deut­schen Post), der sich mit Mög­lich­kei­ten der Streik­vor­her­sa­ge durch das Daten­sam­meln und Künst­li­che Intel­li­gen­zen (Pre­dic­ti­ve Risk Intel­li­gence) beschäf­tigt. In sei­nem 22-sei­­ti­­gen Bei­trag schil­dert er wei­ter­hin die Mecha­nis­men der Arbeits­ver­dich­tung bei der Deut­schen Post, die Durch­set­zungs­stra­te­gien durch digi­ta­le Über­wa­chung sowie einem Stab­li­ni­en­sys­tem und führt aus, wie gegen neue Metho­den auch alte Arbeits­kampf­mit­tel wie der Dienst nach Vor­schrift wir­ken kön­nen. Digi­ta­li­sie­rung von Gegen­macht ist der fünf­te Band der Rei­he Poli­tik der digi­ta­len Gesell­schaft vom Tran­script Ver­lag. Durch die Finan­zie­rung durch den Infor­ma­ti­ons­dienst Poli­tik­wis­sen­schaft (POLLUX) und zahl­rei­cher Uni­ver­si­täts­bi­blio­the­ken steht der Sam­mel­band hier in digi­ta­ler Ver­si­on kos­ten­frei zur Ver­fü­gung oder/und kann für 35 Euro in gedruck­ter Form erwor­ben wer­den. Biblio­gra­fi­sche Anga­ben: Mar­tin Oppelt / Fal­ko Blu­men­thal (Hg.). Digi­ta­li­sie­rung von Gegen­macht. Gewerk­schaft­li­che Kon­flikt­fä­hig­keit und Arbeits­kampf heu­te. Bie­le­feld: Tran­script Ver­lag, 2023. 180 Sei­ten, 35 Euro. ISBN: 978–3‑8376–6545‑1. Zuerst erschie­nen in Direk­te Akti­on, März 2024  Repu­bli­ka­ti­on mit freund­li­cher Geneh­mi­gung der DA-Redak­­ti­on   Wei­ter­füh­ren­de Lite­ra­tur (zusam­mee­en­ge­stellt von Jörg Auberg) Bild­quel­len (Copy­rights) Cover Digi­ta­li­sie­rung von Gegen­macht © Tran­script Ver­lag Kari­ka­tu­ren The March of Intellect  © The Trus­tees of the Bri­tish Muse­um Foto Mobi­le Biblio­thek Archiv Jörg Auberg Nach­wei­se Wer an dem The­ma der Start-up-Unter­­neh­­mens­­struk­­tu­­ren in der Lie­fer­bran­che inter­es­siert ist, sei auch auf die Ver­öf­fent­li­chung „Riders unite!“ von Robin de Greef vom Buch­ma­che­rei Ver­lag hin­ge­wie­sen. ↩ […]
  • Guy de Maupassant: Claire de LuneGuy de Mau­pas­sant: Clai­re de Lune27. März 2024Der Ver­lo­re­ne Guy de Mau­pas­sant und die Tor­tur der See­le von Jörg Auberg In Ray­mond Jeans Roman La Lec­tri­ce (1986, dt. Die Vor­le­se­rin) ver­sucht die arbeits­lo­se Ex-Stu­­den­­tin Marie-Con­s­­tance1, mit der Grün­dung einer Ich-AG als Vor­le­se­rin in einer fran­zö­si­schen Klein­stadt sich zu eta­blie­ren. Ihr ehe­ma­li­ger Pro­fes­sor Roland emp­fiehlt ihr für ihr »Metier« die Ver­wen­dung der Novel­len Guy de Mau­pas­sants. Als Bei­spiel nennt Roland Mau­pas­sants »Greu­el­mär­chen« Die Hand: »Das wirkt garan­tiert!« Ruft er aus. »Die bekann­te Masche, mei­net­we­gen, ein­fa­che Effek­te, etwas dick auf­ge­tra­gen … aber das kommt an. So einen Text mußt du neh­men, wenn du dir ein Publi­kum schaf­fen willst, einen guten fran­zö­si­schen Autor mit siche­rem Stel­len­wert, einen, der wuß­te, wie man Span­nung schafft und thril­ling … da geht jeder mit …«2 Der ers­te Kun­de der Vor­le­se­rin ist der jugend­li­che Eric, der wäh­rend der ers­ten Mau­­pas­­sant-Lek­­tü­­re das Bewusst­sein ver­liert und ins Kran­ken­haus trans­por­tiert wer­den muss, wo die Vor­le­se­rin mit den Vor­wür­fen eines ande­ren Pro­fes­sors kon­fron­tiert wird: »Mau­pas­sant, sagt er, Mau­pas­sant … Wis­sen Sie, wor­an der gestor­ben ist? Aids! Na schön, zu sei­ner Zeit sprach man von Gehirn­ent­zün­dung – das ist genau das, was Sie fast bei dem Jun­gen aus­ge­löst hät­ten. Fin­den Sie nicht, daß er schon genug lei­det?« Trotz allem hat er Ver­lan­gen nach einer Fort­set­zung: »Er liebt ja die Lek­tü­re so sehr!«3   Im Laby­rinth der Emp­fin­dun­gen und Erschüt­te­rung uch in dem von dem renom­mier­ten Über­set­zer Andre­as Nohl im Rah­men der Rei­he »Steidl Noc­turnes« her­aus­ge­ge­be­nen Band Clair de Lune ist die Erzäh­lung Die Hand auf­ge­nom­men, deren nar­ra­ti­ve Phi­lo­so­phie als Inge­ni­um des erzäh­le­ri­schen Pro­jekts Mau­pas­sants begrif­fen wer­den kann, das der Autor als Erbe sei­nes Men­tors Gust­ave Flau­bert über­nom­men hat­te. In sei­nem knap­pen, kon­zi­sen Nach­wort führt Nohl aus: Der sach­li­che Blick des Schrift­stel­lers, der sich nicht zum Innen­le­ben sei­nes Per­so­nals äußert, soll die emo­tio­na­le Wucht des Erzähl­ten kom­men­tar­los und unein­ge­schränkt dem Text zukom­men las­sen und damit die Wir­kung um eine gan­ze Dimen­si­on erhö­hen . Die schein­ba­re ›Käl­te‹ des Erzäh­lers soll die Leser umso tie­fer in das Laby­rinth der Emp­fin­dun­gen und der Erschüt­te­rung locken.4 Der Band mit dem Unter­ti­tel »Unheim­li­che Novel­len« ver­sam­melt neun Erzäh­lun­gen Mau­pas­sant aus den Jah­ren von 1885 bis 1890, in der sich – im Gegen­satz zur Fort­schritts­be­geis­te­rung der Bel­le Épo­que – Mau­pas­sants Wahr­neh­mung der Ver­schrän­kung von Indus­tria­lis­mus, wis­sen­schaft­li­cher Ratio­na­li­tät und impe­ria­ler Poli­tik zuneh­mend pes­si­mis­ti­scher wur­de, wobei auch fami­liä­re Ent­wick­lun­gen wie der geis­ti­ge Ver­fall sei­ner Mut­ter und sei­nes Bru­ders Her­vé und eige­ne gesund­heit­li­che Pro­ble­me (die unter ande­rem auf eine syphi­li­ti­sche Infek­ti­on zurück­gin­gen) eine Rol­le spiel­ten. In der Tra­di­ti­on von Edgar Allan Poe und den »Erzäh­lun­gen des Grau­ens und des Selbst­ver­lusts«5 steht die Novel­le Der Hor­la (zunächst 1886 in der Feuil­­le­­ton-Zei­t­­schrift Gil Blas erschie­nen und ein Jahr spä­ter in einer über­ar­bei­te­ten Fas­sung in einer Buch­aus­ga­be publi­ziert), in der ein namen­lo­ser Erzäh­ler aus Rouen in der fran­zö­si­schen Pro­vinz der Nor­man­die in Form eines Tage­bu­ches sei­ne psy­chi­sche Ver­schlech­te­rung pro­to­kol­liert. »Ich bin wirk­lich krank«, heißt es in einem frü­hen Tage­buch­ein­trag, der an das ein­füh­ren­de Selbst­be­kennt­nis von Dos­to­jew­skis Unter­grund­men­schen erin­nert, obgleich Mau­pas­sants Kran­ker kei­nes­wegs kein frus­trier­ter Zyni­ker ist, son­dern anfangs zufrie­den mit sich und der Welt in einem groß­bür­ger­li­chen Haus mit Gar­ten wohnt, in dem ihn das Unheil zu über­fal­len scheint.6 Die phy­si­sche Krank­heit, die sich nach außen hin als Fie­ber mate­ria­li­siert, dringt als fieb­ri­ge Erschöp­fung ins Inne­re der Psy­che. Zur Erho­lung unter­nimmt der Erzäh­ler eine Rei­se nach Mont-Saint-Michel, wo er einen Mönch trifft, der ihm in einer Unter­hal­tung das Wesen des unsicht­ba­ren »Unfass­ba­ren« vor Augen führt: Der »Wind, der tötet, pfeift, stöhnt, brüllt – haben Sie den schon gese­hen und kön­nen Sie ihn sehen? Und trotz­dem ist er doch da.« Nach sei­ner Rück­kehr liegt der Erzäh­ler angst­er­füllt in sei­nem Bett und spürt, wie die Krank­heit zurück­kehrt, »wie jemand auf mir saß, sei­nen Mund auf mei­nen gepresst, und zwi­schen den Lip­pen das Leben aus mir her­aus­sog. Ja, er sog es mir aus der Brust wie ein Blut­egel. Danach stand er gesät­tigt auf, und ich erwach­te, so zer­schun­den, zer­schla­gen, ver­nich­tet, dass ich mich nicht mehr rüh­ren konn­te.«7 Immer mehr ver­liert sich der Erzäh­ler in der Gewalt des »Hor­la« (des »Hors-la«, »der da drau­ßen«), der ihn in den Wahn­sinn treibt. »Ich bin ver­lo­ren«, gesteht er sich ein. »Jemand hat von mei­ner See­le Besitz ergrif­fen und beherrscht sie, jemand befiehlt alles, was ich tue, alle mei­ne Bewe­gun­gen, alle mei­ne Gedan­ken, ich gehö­re mir nicht mehr, ich bin nur ein ges­sel­ter Zuschau­er und sehe alles alles, was ich tue, mit Ent­set­zen an.«8 Weder Git­ter noch eiser­ne Jalou­sien kön­nen den Hor­la drau­ßen hal­ten, sodass als ein­zi­ge Mög­lich­keit bleibt, das gelieb­te Haus in Flam­men auf­ge­hen zu las­sen, um den Hor­la zu ver­trei­ben. Doch selbst die­se Maß­nah­me ist zum Schei­tern ver­ur­teilt, da der Hor­la von der mensch­li­chen See­le Besitz ergrif­fen hat. Der letz­te Aus­weg, den Hor­la zu besie­gen, ist ein­zig die eige­ne Aus­lö­schung – der Sui­zid. Vom Hor­la zum Ter­ror m Nach­wort zur neu­en Reclam-Aus­­­ga­­be der Novel­le inter­pre­tiert der Über­set­zer Ernst San­der (1898–1976) die Erzäh­lung im Kon­text von Mau­pas­sants fami­liä­rer und per­sön­li­cher Krank­heits­ge­schich­te. Äußer­lich erschien Mau­pas­sant als der erfolg­rei­che, pro­duk­ti­ve Autor, der auf eine Schreib­leis­tung von sechs Roma­nen und fast drei­hun­dert Erzäh­lun­gen zurück­bli­cken konn­te, ehe (mit den Wor­ten Juli­an Bar­nes’) »die Syphi­lis sei­nen Geist umnach­te­te«9. »In Wirk­lich­keit aber war Mau­pas­sant«, schreibt San­der, »ein Kran­ker, der den Gesun­den spiel­te, und sein sin­nen­freu­di­ges Werk auf einem Grund von Kör­per­qual, Unlust, Müdig­keit, Unglau­ben und Angst­zu­stän­den gedie­hen, zu denen sich Abnah­me der Seh­kraft, qual­vol­le Migrä­ne und schließ­lich Wahn­vor­stel­lun­gen gesell­ten. Aber die­se mach­te er sei­nem Werk dienst­bar: So ent­stand eine sei­ner mäch­tigs­ten Novel­len, Le Hor­la .«10. Die auf­wän­di­ge Reclam-Aus­­­ga­­be der Hor­­la-Novel­­le ist mit Fan­­ta­­sy-inspi­rier­­ten Illus­tra­tio­nen des ita­lie­ni­schen Zwil­lings­paars Anna und Ele­na Bal­bus­so bestückt, wel­che die bür­ger­li­chen »Hor­ror­ge­schich­te« mit einem far­­big-grel­­len, sen­sa­ti­ons­hei­schen­den Comic-Sur­­re­a­­lis­­mus über­tün­chen, unter dem das Grau­en der Erzäh­lung Mau­pas­sants ver­schwin­det. Dem Cha­rak­ter der Novel­le kom­men eher die Holz­schnit­te Frans Mase­re­els nahe, wie die alte Aus­ga­be bei Rüt­ten & Loe­ning unter Beweis stellt.11 n der kul­tur­in­dus­tri­el­len Pra­xis geriet der Hor­la schon Anfang der 1960er Jah­re zum far­bi­gen Gräu­el­mär­chen als Vehi­kel für den Hor­ror­spe­zia­lis­ten Vin­cent Pri­ce, der in Roger Corm­ans B‑Film-Fabrik vor allem in Edgar-Allan-Poe-Ver­­­schni­t­­ten reüs­sier­te. Der Film Dia­ry of a Mad­man (1963; dt. Tage­buch eines Mör­ders) ver­hack­stück­te Mau­pas­sants Novel­le zu einem typi­schen Hor­ror­film min­de­rer Güte, wobei die gän­gi­gen Ingre­di­en­zi­en jener Zeit ver­rührt wur­den. Der Hor­la ist ein Mabu­­se-ähn­­li­cher Dämon, der sein Opfer in Besitz nimmt und zum Mord treibt. Das Unheil offen­bart sich in grün leuch­ten­den Augen, wobei der Hor­la nicht mehr als eine erstarr­te, von Ste­reo­ty­pen der Indus­trie gezeich­ne­te Mas­ke ist. Vom Hor­la, den Mau­pas­sants Erzäh­ler nach sei­ner Selbst­zer­stö­rung als neu­es Wesen, als neu­en Her­ren beschreit, bleibt in der indus­tri­el­len Zurich­tung nur eine Frat­ze des Immer­glei­chen. © Jörg Auberg 2024   Biblio­gra­fi­sche Anga­ben: Guy de Mau­pas­sant. Clai­re de Lune. Unheim­li­che Novel­len (Steidl Noc­turnes). Über­setzt von Char­lot­te Braun-Wogan u. a. Her­aus­ge­ge­ben von Andre­as Nohl. Göt­tin­gen: Steidl Ver­lag, 2023. 128 Sei­ten, 18 Euro. ISBN: 978–3‑86841–255‑0. Guy de Mau­pas­sant. Der Hor­la. Über­setzt mit einem Nach­wort von Ernst San­der. Illus­triert von Anna und Ele­na Bal­bus­so. Dit­zin­gen: Reclam, 2023. 80 Sei­ten, 22 Euro. ISBN: 978–3‑15–011456‑8. Bild­quel­len (Copy­rights) Cover Clai­re de Lune © Steidl Ver­lag Cover Der Hor­la © Reclam Ver­lag Sze­nen­fo­to La Lec­tri­ce Archiv des Autors Cover Gil Blas Archiv des Autors Holz­stich Frans Mas­are­el: Der Hor­la © Rüt­ten & Loening/Aufbau Ver­lag Trai­ler Dia­ry of a Mad­man Archiv des Autors Nach­wei­se Der Name der Prot­ago­nis­tin des Romans spielt auf Marie-Con­s­­tance Ques­net an, die letz­te Gefähr­tin des Mar­quis de Sade, die im Tes­ta­ment des Mar­quis für ihre Treue und Hin­ga­be belohnt wer­den soll­te. Cf. Ray­mond Jean, Ein Por­trait des Mar­quis de Sade, übers. Nico­laus Born­horn (Mün­chen: Schnee­kluth, 1990), S. 6–7 ↩ Jean, Die Vor­le­se­rin, S. 16 ↩ Jean, Die Vor­le­se­rin, S. 43 ↩ Andre­as Nohl, Nach­wort zu: Guy de Mau­pas­sant, Clair de Lune (Göt­tin­gen: Steidl, 2023), S. 117 ↩ Nohl, Nach­wort zu: Guy de Mau­pas­sant, Clair de Lune, S. 120 ↩ Mau­pas­sant, Clair de Lune, S. 34; Fjo­dor M. Dos­to­jew­ski, Auf­zeich­nun­gen aus dem Unter­grund, übers. Ursu­la Kel­ler (Mün­chen: Manes­se, 2021), S. 9 ↩ Mau­pas­sant, Clair de Lune, S. 40 ↩ Mau­pas­sant, Clair de Lune, S. 54 ↩ Juli­an Bar­nes, Nach­wort (über­setzt von Ger­trau­de Krue­ger) zu: Guy de Mau­pas­sant, Auf See (Ham­burg: mare­ver­lag, 2012), S. 195 ↩ Ernst San­der, Nach­wort zu: Der Hor­la (Dit­zin­gen: Reclam, 2023), S. 76–77 ↩ Guy de Mau­pas­sant, Der Hor­la: Zehn Novel­len, übers. Chris­tel Gersch (Berlin/DDR: Rüt­ten & Loe­ning, 1989 ↩ […]

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Joseph McBride — Billy Wilder: Dancing on the Edge

Joseph McBride: Billy Wilder: Dancing on the Edge (Columbia University Press, 2021)

Vom Zyniker zum Moralisten Joseph McBride und Noah Isenberg werfen einen neuen Blick auf das Werk Billy Wilders von Jörg Auberg In der klas­si­schen Film­ge­schichts­schrei­bung wird Bil­ly Wil­der immer wie­der als Zyni­ker eti­ket­tiert. In ihrer Geschich­te des Films (1962) sahen die bei­den Film­his­to­ri­ker Ulrich Gre­gor und Enno Pata­l­as in Fil­men wie The Seven Year Itch (1955), Some...

Karl Heinz Roth — Blinde Passagiere

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Der Kampf geht weiter Karl Heinz Roth analysiert die Folgen der Corona-Krise   von Max Henninger Redak­tio­nel­le Vorbemerkung ach wie vor hat die Coro­na-Pan­de­mie den Pla­ne­ten fest im Griff, wobei nicht allein gesund­heits­po­li­ti­sche Fak­to­ren die mensch­li­che Exis­tenz bestim­men, son­dern zuneh­mend auch extre­mis­ti­sche Rackets und ver­schwö­rungs­theo­re­ti­sche »Nar­ra­ti­ve«...

Helmut Böttiger — Die Jahre der wahren Empfindung

Helmut Böttiger: Die Jahre der wahren Empfindung (Wallstein, 2021)

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